Spielen und Lernen verbinden - mit spielbasierten Lernumgebungen (E-Book). Cornelia Rüdisüli
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СКАЧАТЬ ist eine Tätigkeit mit spezifischen Merkmalen und es lässt sich ziemlich trennscharf von anderen Formen des Tuns abgrenzen. Eine Tätigkeit ist dann Spielen (Burghardt, 2011), wenn diese nicht vollständig funktional ist, das heisst mit einem oder mehreren – in der Regel für Nichtspielende von aussen erkennbaren − Merkmalen (Spielfeld, Spielgesicht, besondere Abwandlungen alltäglicher Handlungen) auf das So-tun-als-ob hinweist, in einem Zustand positiver Aktivierung (in der Regel intrinsischer Motivation) ausgeführt wird, eine Kombination von Wiederholung und Variation aufweist, und damit intensives Üben bei stets nur begrenzter Vorhersehbarkeit ermöglicht und in einem entspannten Feld stattfindet, was nicht nur Schutz vor Gefahren, angemessene Behausung und genügend Nahrung bedeutet, sondern insbesondere eine sichere Bindung zu Erwachsenen wie auch gute Freundschaften zu anderen Kindern.

      Spiele sind dieser Definition zufolge nur dann Spiele, wenn sie alle diese fünf Merkmale aufweisen. So ist beispielsweise das Spiel «Monopoly» zwar in hohem Mass funktional, weil der Kauf und Betrieb von Liegenschaften und Betrieben (wie Seilbahnen) sowie auch die Schwankungen von Mietpreisen ein ernsthaftes und damit gesellschaftlich relevantes Thema ist. Jedoch ist das Spiel «Monopoly» deshalb unvollständig funktional, weil kein echtes Geld verloren geht und jeweils neu bei null gestartet werden kann. Dieses Spiel ist für Aussenstehende klar als Spiel markiert – durch ein Spielfeld. Sobald die positive Aktivierung nicht mehr vorhanden ist, zum Beispiel weil ein Kind nach einem verlorenen Haus oder Platz ernsthaft wütend wird, ist es kein Spiel mehr. Deshalb ist es für Kinder wichtig, dass sie im Spiel verlieren lernen. Die Variations- beziehungsweise Kombinationsmöglichkeiten in «Monopoly» (Anzahl Spieler, Anzahl Gebäude, Anzahl teurer Bauplätze, verfügbarer Geldbetrag, aktuelle Aktionskarten) sind dermassen unerschöpflich, dass kaum eine Spielkonstellation einer anderen gleicht. Dadurch haben Spielende die Möglichkeit, immer wieder in leicht veränderten Konstellationen zu überlegen, welche Investitionen sich zu welchem Zeitpunkt lohnen könnten und diese auch zu tätigen. Damit findet sich in «Monopoly» eine gelungene Kombination aus Variation und Wiederholung. Hat ein Kind ernsthafte Sorgen, beispielsweise weil die Mama im echten Leben bedrohlich krank ist, dann kann es sich zu wenig oder gar nicht auf das Spiel einlassen, weil durch die Sorge um die Mutter das Feld zu wenig entspannt ist. Eindrücklich ist dieser Effekt auch bei Gleichaltrigen, deren Beziehungsqualität untereinander ebenfalls eine starke Rolle spielt: Kinder gehen vor allem dann an die eigenen Grenzen und nutzen somit das ganze Lernpotenzial eines Spieles, wenn sie mit den Spielpartnern gut befreundet sind (Weinberger & Stein, 2008). Deshalb sind auch gute Beziehungen zwischen Lehrpersonen und Kindern eine eigentliche Vorbedingung dafür, im Spiel ertragreich lernen zu können. Dabei ist es auch eine Aufgabe der Lehrpersonen, alle Kinder darin zu unterstützen, gute und stabile Freundschaften aufzubauen.

      Spiel ist eine wirksame Vorbereitung auf das Erwachsensein (Pellegrini, 2009; Burghardt, 2011). Es bereitet in vielfältiger Weise auf die Unberechenbarkeiten späterer Lebensphasen (Sutton-Smith, 1978) vor. So hilft die Vorliebe der Kinder für Fantastisches und Unmögliches – zum Beispiel die Beschäftigung mit erfundenen Geschichten – ihnen nachweislich bei der Entwicklung von empathischen Fähigkeiten. Weisberg et al. (2015) halten deshalb das Ausleben fantastischer Ideen und die Schaffung fantasievoller Welten in Spielen in der frühen Kindheit für ähnlich wichtig wie die Babysprache für den Erstspracherwerb. Spielen bereitet also ein Verhaltensrepertoire für unvorhergesehene Situationen («variety of routines») vor und bildet so die Basis für Innovationen (Pellegrini et al., 2007). Zusätzlich bereitet aber auch die Orientierung am Kontrafaktischen (Wie wäre es, wenn…?) auf das spätere Leben vor. Vor allem im Fantasiespiel testen Kinder dieses Potenzial, indem sie ihrer Vorstellung oft freien Lauf lassen und mit Dingen und Gedanken experimentieren, die der Realität widersprechen (Gopnik & Walker, 2013). Eine Vielzahl von Befunden kommt denn auch zum Schluss, dass Symbol- und Fantasiespiel für die spätere Sprachentwicklung einen derart grossen Einfluss hat, dass Kinder ohne oder mit zu wenig Symbol- und Fantasiespielerfahrungen substanziell benachteiligt sind (Lillard et al., 2013). Zudem führt eine Kindheit mit wenig oder keinem Spiel zu substanziellen Verhaltensproblemen. So führt ein Mangel an spielerischem Kämpfen und Herumtollen sowohl bei Menschen als auch bei Rhesusaffen, Katzen oder Ratten zu reduzierten sozialen Kompetenzen (Pellis & Pellis, 2009). Dabei verwundert es auch nicht, dass sich in einer Befragung von jungen Mördern herausstellte, dass sie in ihrer Kindheit kaum Gelegenheit zum spielerischen Kämpfen und Herumtollen hatten (Brown & Vaughan, 2009). Ein Minimum an Spielerfahrungen stellt somit eine Voraussetzung für eine genügende Ausbildung verschiedener für Menschen bedeutsamen Kompetenzen dar.

      Spielintegriertes Lernen ist ertragreicher als herkömmlicher instruktionsbetonter Unterricht. Die Wirkungen dürften unter anderem auf die für das Spiel typische hohe Übungsintensität und die grössere Fokussierung zurückzuführen sein (Hauser 2016, S. 146). Die von Hattie et al. (2014) durchgeführte Metaanalyse von insgesamt 70 Einzelstudien zum schulischen Lernen mit Spiel fand eine Effektstärke von d = 0.5, welche beachtlich ist. Von den 138 untersuchten Einflussfaktoren der Lernleistungen lag damit das Spiel bezüglich der Effektstärke auf Rang 46, also im vorderen Drittel. Spielen im Unterricht lohnt sich demzufolge. Die stärksten Effekte fanden sich bei der Förderung von kognitiven, sprachlichen und affektiv-sozialen Kompetenzen. Damit hat spielbasiertes Lernen Wirkungen auf sehr viele Kompetenzen. Als besonders wirksam zeigte sich das soziodramatische Spiel, also die spielerische Dramatisierung sozialer Phänomene. Derartige Spiele haben in der Regel lernförderliche Wirkungen auf sowohl sprachliche als auch soziale Kompetenzen. Kritisch einzuwenden ist, dass die von Hattie einbezogenen Studien schon älter sind. Das könnte ein Grund dafür sein, dass in diesen Metaanalysen spielbasiertes Lernen im Fachbereich Mathematik noch keine starken Wirkungen aufwies. Jüngere Studien aus den letzten 15 Jahren weisen dafür jedoch beachtliche Wirkungen aus (vgl. weiter unten).

      Jüngere Metaanalysen zum Lernen mit digitalen Spielen stellen ebenfalls beachtliche Lern-Wirkungen fest. Ein Vergleich solcher Spiele mit konventionellen Instruktionsmethoden zeigt ein effektiveres Lernen und auch bessere Leistungen beim Behalten, jedoch keine Vorteile bei der Motivation. Es ist mit einem Gesamteffekt von spielbasiertem digitalem verglichen mit nicht digitalem Lernen von etwa d = 0.3 zu rechnen (Wouters et al., 2013); einer im Vergleich somit etwas geringeren, aber immer noch bedeutsamen Wirkung. Es fanden sich positive Effekte auf bereichsspezifische Einstellungen, Beliebtheit, Engagement und Interesse, entweder bessere oder mindestens gleich gute Lernfortschritte für das Lernen mit digitalen Spielen (Vandercruysse et al., 2012). In den jüngsten Studien zeigten sich für das Lernen mit digitalen Spielen überraschend starke Effekte für drei- bis sechsjährige Kinder (Neumann, 2018; Schmitt et al., 2018). Diese Effekte dürften unter anderem auf die bei modernen Tablets und Apps im Vergleich zu früheren digitalen Geräten deutlich intuitivere Bedienbarkeit – gerade durch jüngere Kinder – zurückzuführen sein. Für die als erzieherisch wertvoll angesehenen digitalen Spiele, die sogenannten «educational games» (auch «serious games») können also Vorteile vermutet werden.

      Die besten Wirkungen zeigen sich für digitale Spiele, die mit anderen Instruktionsmethoden ergänzt werden (Wouters & van Oostendorp, 2013; Wouters et al., 2013). Diese Wirkungen sind am stärksten bei Kindern und halten bis ins frühe Erwachsenenalter an. Sie sind stark bei Spielen zum Spracherwerb, deutlich weniger wirksam für Mathematik. Zudem zeigten sich deutlich höhere Effekte bei mehrfachem als bei einmaligem Spiel und bei Spielen in einer Gruppe statt allein. Die Befunde, wonach die Kombination aus Spielen und Instruktionsmethoden die besten Wirkungen erzielen, gelten auch für nichtdigitale Spiele. So fanden Siraj-Blatchford & Sylva (2004) die stärksten Lernerträge in frühpädagogischen Institutionen für eine ausgewogene Kombination von kindinitiierten und lehrpersongeführten Aktivitäten.

      4.1 Freispiel, offener Unterricht, Selbstregulation

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