Dem Neuen entgegen leben. Группа авторов
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Название: Dem Neuen entgegen leben

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783957446046

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СКАЧАТЬ ja so wenig zu essen gab, hatten alle Familien unseres Hauses außer den Gartenflächen auch Hühner, die frei herumliefen, und vor allen Dingen Kaninchen als willkommene Fleischlieferanten. Von einer Familie bekam ich ein Kaninchen geschenkt, und der Mann baute mir sogar einen eigenen Stall auf vier hohen Holzbeinen auf. Mein Kaninchen war einfarbig grau und durch das viele Anfassen und Streicheln von mir ganz zahm und zutraulich. Eines Morgens, als ich mein Kaninchen füttern wollte, war der Stall leer. Ich war entsetzt und prüfte all die vielen anderen Ställe der Kaninchen der Hausbewohner, aber es war nirgends. Ich habe furchtbar geweint und immer nur gedacht, dass mein Kleines gestohlen und geschlachtet würde, wie all die anderen Kaninchen auch. Das ganze Haus tröstete mich und man versprach mir ein neues, sobald ein neuer Wurf alt genug wäre. Aber ich wollte kein neues Kaninchen mehr. Dann geschah das Unglaubliche: Eines Morgens saß mein Kaninchen wieder in seinem Ställchen. Es war unzweifelhaft meines; denn es war einfarbig grau, zahm und hörte auf seinen Namen. Ich konnte vor Glück gar nicht aufhören zu weinen. Auch in diesem Falle hat sich nie herausgestellt, wo es gewesen war und wer es mir – vielleicht gerührt durch meine Trauer – wiedergegeben hatte.

      In meiner Erinnerung war es eine wunderbare Zeit, als unser Haus so voll war. Ich war nie alleine. Bemerkenswert fand ich in späteren Jahren, dass auch meine Familie das überquellende Haus nicht nur lästig, sondern auch als Bereicherung empfunden haben muss; denn mit allen Flüchtlingsfamilien – bis auf eine – blieben die Kontakte auch nach deren Auszug aus unserem Haus bestehen. Ich selbst war tief gerührt, als so viele der damaligen Flüchtlinge bei den Beerdigungen meiner Urgroßmutter und Großeltern in den folgenden Jahrzehnten anwesend waren.

       Erwartungen

      Erwartung kann eine sehr belastende Hürde sein, wenn einem selbst bewusst ist, was andere von einem erwarten. Mir war als kleinem Mädchen sehr bald klar, dass die ganze Familie mich in allem und jedem mit meinem im Krieg gefallenen Vater verglich. Das begann mit meinem Aussehen und ging weiter über meine Leistungen und meinen Werdegang. Meine Groß- und Urgroßeltern erwarteten von mir, dass ich tadellos durch die Schule kam. Es war für alle selbstverständlich, dass ich Abitur machen und dann studieren würde. Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich in meiner Jugend Formulierungen wie: „Das hätte dein Vater jetzt nicht, oder anders oder besser gemacht, gesagt oder getan“ gehört habe. Ich hörte aber auch: „Das hätte deinen Vater aber gefreut“ oder auch „traurig gemacht.“

      Das war ein Kapitel, das mich oft sehr belastete, so dass ich mich in vielen Situationen selbst zu fragen begann: „Was hätte dein Vater jetzt wohl dazu gesagt?“ Erst sehr viel später, als ich schon erwachsen wurde, wurde mir klar, dass man im Vergleich mit einem Toten nur geringe Chancen hat, selbst zu bestehen.

       Gerdas leiblicher Vater

      Mit zunehmendem Alter allerdings wurde es für mich leichter. Ich war eben kein Junge und es ließ sich nicht alles vergleichen – weil ich nun mal ein Mädchen war. Außerdem absolvierte ich ja problemlos die Schule, und meinen Freiheitsdrang mit beginnender Pubertät badete in erster Linie meine Mutter aus, ohne dass der Rest unserer großen Familie so viel davon mitbekam – jedenfalls glaube ich das.

      Es hat mir unendlich geholfen und war mein größtes Glück, dass ich einen zweiten Vater bekam, dass ich zwei Brüder bekam, die mich alle so liebten, wie ich war, die keine Vergleichsmöglichkeiten hatten und daher auch keine Erwartungen in mich setzten, die mich unter Druck gesetzt hätten.

      An der Erwartungshaltung der Familie insgesamt aber änderte sich bis heute nicht sehr viel – man erwartete schlicht, dass ich mich so verhielt, wie es sich gehörte. Ich durchlief die Schule, die Universität, den Beruf, bekam die Kinder und zog sie groß – und da ich das alles bis heute mache und also die Erwartungen aller erfülle, ist die Welt in Ordnung – solange ich nicht auf die absurde Idee verfalle, Weihnachten ohne die ganze Familie oder meinen Geburtstag in der Schreibgruppe, statt zu Hause feiern zu wollen.

       Der 8. Mai …

      Mit den Eltern konnten wir Kinder über die Erfahrungen des 3. Reiches sprechen, nachdem wir alt genug geworden waren, um die Katastrophe zu verstehen und zu ermessen, was dies für uns Deutsche bedeutete.

      Im Schulunterricht wurde die neuere Geschichte ausgeblendet, jedenfalls in den unteren Klassen. Das änderte sich erst, als wir 1957 bedingt durch die berufliche Versetzung meines zweiten Vaters – mein leiblicher Vater war im Krieg gefallen – der Berufsoffizier war, nach Frankreich zogen. Wir Kinder kamen auf eine internationale Schule, auf der es auch zwei deutsche Lehrer gab, die das 3. Reich im deutschen Geschichtsunterricht, den die deutschen Schüler zusätzlich erhielten, nicht aussparten. Hier in Frankreich erlebte ich erstmals, wie der 08. Mai 1945, der Tag der deutschen Kapitulation, festlich begangen wurde. Man feierte den „Sieg über Deutschland“.

      Zunächst war ich ganz verwirrt; denn ich wusste nicht recht, wie ich damit umgehen sollte. Dann empfand ich, einmal aufmerksam geworden, die in diesen Tagen vor und nach dem 08. Mai zunehmend antideutsche Stimmung in der Schule. Das war auch nur zu verständlich; denn der Krieg war ja erst seit 11 oder 12 Jahren vorbei, also eigentlich erst seit ganz kurzer Zeit. Wir deutschen Schüler bemühten uns, in diesen Tagen durch ganz besonders nettes und freundliches Verhalten gegenzusteuern, und unser deutscher Lehrer versuchte, in Vorträgen aufzuklären und für Entspannung zu sorgen.

      In diese Zeit fiel auch ein Ereignis, das mich zutiefst berührte: In meiner Klasse war neben vielen anderen Nationen auch ein italienischer Junge, der besonders nett war und in der Klasse neben mir saß. Je besser mein Französisch wurde, desto besser verstanden wir uns. Er war, wie wir wussten, jüdischen Glaubens. Eines Tages erschien er nicht mehr zum Unterricht und von unserem Klassenlehrer wurde uns lediglich mitgeteilt, dass er die Schule verlassen habe. Ein Grund wurde uns nicht genannt.

      Wenige Tage später jedoch kam mein Vater abends ganz erschüttert nach Hause und erzählte uns, dass er morgens im Dienst von dem Direktor unserer Schule angerufen worden sei und dieser ihn um ein Gespräch am Spätnachmittag nach Schulende gebeten habe; denn mein Vater war Elternvertreter für die deutschen Schüler an der Schule. Selbstverständlich fuhr mein Vater sofort nach Dienstschluss in die Schule und begab sich zu Monsieur Tallard, unserem Direktor. Monsieur Tallard eröffnete ihm, dass er wenige Tage zuvor Besuch von den Eltern dieses italienischen Jungen aus meiner Klasse gehabt habe. Die Eltern hätten ihm erklärt, dass sie Juden seien und ihre Familien im Krieg ganz entsetzlich unter dem deutschen Nationalsozialismus gelitten hätten. Zahlreiche Familienmitglieder seien in Konzentrationslagern umgekommen. Und nun hätten sie zu ihrem Entsetzen gehört, dass auch deutsche Schüler diese Schule besuchten und dass ihr Sohn sogar in seiner Klasse neben einem deutschen Mädchen säße. Sie hatten Monsieur Tallard aufgefordert, sofort dafür Sorge zu tragen, dass die deutschen Schüler die Schule verließen und dass vor allen Dingen ihr Sohn nicht mehr mit deutschen Schülern zur Schule gehen und die Schulbank teilen müsse. Der Direktor, ein sehr weltoffener und kluger Mann, hatte den Eltern erklärt, dass sie sich doch in Kenntnis der Tatsache, dass es sich bei diesem Gymnasium um eine internationale Schule handele, für diese Schule für ihren Sohn entschieden hätten und jedes Kind, gleich aus welchem Land, das Recht hätte, diese Schule zu besuchen. Er habe sich große Mühe gegeben, so versicherte er meinem Vater, dieses aufgebrachte Elternpaar zu beruhigen und ihnen sein Mitgefühl für das im Dritten Reich erlittene Unrecht auszudrücken, er habe ihnen aber gleichzeitig erklären müssen, dass er nicht in der Lage sei, Schüler einer Nation von der Schule zu verweisen. Daraufhin hätten die italienischen Eltern sich entschlossen, ihren Sohn von der Schule zu nehmen. Nun hatten wir also die Erklärung für den plötzlichen Verlust unseres Klassenkameraden. Und nicht nur das, wir waren СКАЧАТЬ