Dem Neuen entgegen leben. Группа авторов
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dem Neuen entgegen leben - Группа авторов страница 7

Название: Dem Neuen entgegen leben

Автор: Группа авторов

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783957446046

isbn:

СКАЧАТЬ spürt ein sich entwickelndes Kind genauso mit. Wie seine Mutter mussten alle Frauen tapfer sein! Auch die nächtlichen Bombenangriffe auf die Stadt oder die Evakuierungen in weniger gefährdete Landstriche mussten viele erdulden. Die Flucht in fremde Gegenden, in denen sie als „Flüchtlinge“ galten, blieb Mutter und Großmutter zum Glück erspart!

      Ich kam am 13. August 1944, einem Sonntagmorgen, zur Welt. In der Universitätsklinik Homburg/Saar. Bis kurz zuvor hatte meine Mutter dort als Krankenschwester ab und zu gearbeitet. Nach der Geburt packten Helferinnen mich mit anderen Säuglingen in einen großen Wäschekorb und brachten die „wertvolle Fracht“ in den Luftschutzkeller der Klinik. Meine gerade schlafende Mutter ließen sie in der Aufregung zurück. Ein Drama gab es, als meine Mutter aufwachte und um mich Angst bekam!

      Nach einigen Tagen holte uns meine Großmutter nach Hause. So wuchs ich als dritte Generation Frauen heran. Meine Mutter bekam irgendwann Nachricht von meinem Vater, „getürmt“ aus den Fängen des Feindes. Er musste sich jedoch noch mit Briefen aus der Feder meiner Mutter begnügen – erst viel viel später durfte er zum Fronturlaub nach Hause, um seine Ehefrau und sein erstes Kind zu begrüßen.

      Nach dem Krieg, inzwischen war das Jahr 1947, wollte sich mein Vater als Arzt niederlassen. Das wurde ihm nicht gestattet, da das Saarland zu der Zeit unter französischer Verwaltung stand, mein Vater als Deutscher galt und deshalb keine Praxis eröffnen durfte. In der angrenzenden Pfalz fand er schließlich eine verwaiste Arztpraxis in einem Dorf. Die dortige Verwaltung erlaubte ihm die Niederlassung als praktischer Arzt. Meine Eltern verzogen mit meiner inzwischen geborenen Schwester nach Rheinland-Pfalz, quasi ins Ausland.

      Mich ließen sie zurück in Homburg, bei meinen Großeltern. Das empfand ich zunächst als großen Verlust: kleine Schwester weg, Mama weg und der noch kaum vertraute Vater auch schon wieder weit weg! Kinder trösten sich. Ich tröstete mich, da mir meine Großmutter ja blieb! Großvater ging sechs Tage in der Woche zur Arbeit, von morgens bis abends war ich mit Oma alleine in der Wohnung, im Garten, auf dem Markt beim Einkaufen. Klingt alles heil und gut, war es aber nicht!

      Oma wollte mich ganz, sie ließ mich nicht zu anderen Kindern, aus Angst, mir passiere etwas. Den Tod ihrer beiden Söhne konnte sie nicht verwinden, ihr Mann konnte oder wollte nie mit ihr darüber sprechen. So „erlebte“ i c h durch sie immer wieder den Schrecken, den sie mir durch ihre Erzählungen nahebrachte. Sie erzählte mir auch Märchen, sang mit mir Lieder. Sie sang gut, sie konnte auch Gedichte und Balladen. Aber sie erzählte auch immer wieder „Kriegsgeschichten“! Wenn ich fieberte, musste ich das Gehörte ganz grauenvoll nacherleben: Dann sah ich „Tannenbäume am Himmel“, Vorzeichen kommender Fliegerangriffe! Feuer, Feuer... und erwachte schreiend oder wimmernd.

      Meine Großmutter hatte keine Therapie bei einem Arzt oder einem Therapeuten! Sie prahlte sogar, dass sie nie einen Doktor brauche, dass sie sich immer mit „Hausmitteln“ helfen könne. So sah ich auch nie einen Kinderarzt, selten meine Eltern. Die waren sehr mit ihrer Arbeit und dem weiteren Kindersegen beschäftigt. Ihre Älteste beklagte sich nie am Telefon, wünschte sich nie, zu ihnen und den Geschwistern zu gelangen. Es ging ihr ja gut! Und Oma wurde über den Verlust ihrer Söhne getröstet, abgelenkt und beschäftigt durch das heranwachsende Kind.

      Als viele Jahre später meine Seele erkrankte, ich nach und nach in eine schwere Depression abglitt, wusste ich lange Zeit nicht, wo die Ursache für die Erkrankung zu suchen war. Erst mit Hilfe von Psychologie wurde mir selbst klar, dass auch ich ein Opfer von Krieg und Schrecken geworden bin. Die enorme Vorstellungskraft eines kleinen Kindes bzw. meine junge Seele konnte die Kriegsfolgen nicht verkraften.

      Heute empfinde ich mich als geheilt. Gott sei Dank!

       Gerda Blume

       1942 in Delmenhorst geboren. Ihr Vater war schon vor ihrer Geburt gefallen. Als sie sieben Jahre alt war, heiratete die Mutter ein zweites Mal. Der neue Vater brachte einen zwei Jahre älteren Bruder mit. Ein Jahr später wurde noch ein gemeinsamer jüngerer Bruder geboren. Nach dem Abitur studierte sie Jura und wurde Rechtsanwältin. Sie ist mit einem Arzt verheiratet und hat drei Söhne und sieben Enkel, für die sie ihre Geschichten schreibt.

       Hunger und etliche Diebereien

      Wir hatten nach dem Krieg unser ganzes Haus voller Flüchtlingsfamilien, mit Kindern, die auf die verschiedenen Zimmer des Hauses nach bestem Vermögen verteilt waren. Da das Haus ursprünglich nur für eine – wenn auch große – Familie ausgerichtet war, war es mit dem Kochen schwierig; denn alle Familien mussten in der großen Küche meines Elternhauses kochen. Das ging nur im Schichtdienst.

      Schwierig war auch die Toilettenfrage; denn es gab in der großen Eingangsdiele eine geräumige Gästetoilette und im Küchentrakt des Hauses eine weitere kleine. Im ersten Stock gab es ein sehr großes Badezimmer mit Toilette und zwei weitere einzelne Toiletten. Es gab aber in allen Schlafzimmern kein fließendes Wasser, sondern Waschtische, auf denen wunderbare mit bunten Blumen bemalte Waschschüsseln und Wasserkannen aus Porzellan standen. Wie das damals mit so vielen fremden Menschen – es waren insgesamt sechs Flüchtlingsfamilien, alle mit vier bis sechs Personen – überhaupt geklappt hat, weiß ich heute nicht mehr.

      Ich erinnere mich vor allen Dingen an die vielen Kinder, die mitgekommen waren, so dass ich an Spielgefährten keinen Mangel hatte. Als Einzelkind hatte ich mir immer Geschwister als Spielgefährten gewünscht und nun war in kurzer Zeit das ganze Haus voll davon, und ich fand es herrlich.

      Mein Großvater funktionierte unseren riesigen Garten, der mein Elternhaus umgab, zu Kartoffel- und Gemüsegärten um, so dass jede Familie einen eigenen Garten zugewiesen bekam, in dem sie anpflanzen konnte, was sie wollte. Rasenflächen und gepflegte Kieswege, wie vorher, gab es damals nicht mehr. Lediglich Bäume durften nicht gefällt werden, um etwa Platz für Ackerflächen zu schaffen. Die Flüchtlinge kamen teilweise aus dem Osten, aber auch aus der schwer zerstörten nahegelegenen Stadt Bremen.

      In dieser schweren Zeit war es meinem Großvater gelungen, von einem Bauern in der Nachbarschaft ein Schwein zu organisieren, das in der Waschküche zerlegt und portioniert wurde. Es wurde gemeinsam eingekocht, in Gläser gefüllt, gepökelt und geräuchert oder zu Würsten verarbeitet. Alle Hausbewohner waren glücklich; denn es besserte das tägliche Gemüse- und Kartoffeleinerlei auf.

      Eines Morgens kam meine Großmutter zusammen mit einer Ostpreußin völlig entsetzt aus dem Keller: der Vorratsraum, in dem das Fleisch in Gläsern und die Würste aufbewahrt wurden, war leer. Das Problem wurde im ganzen Hause lebhaft diskutiert; denn es konnte schließlich nur ein Mitbewohner gewesen sein, da es keine Einbruchsspuren von außen gab und kein Fremder so einfach ins Haus gelangen konnte. Der Täter wurde nie gefunden.

       Gerda mit ihrer Mutter

      In unserem Hause wohnte zu der Zeit auch eine Familie aus Oberschlesien, die von den umliegenden Bauernhöfen die Schafswolle aufkaufte. Frau Jacziewski, so hieß die Familie, spann die Wolle, wusch und trocknete sie und fertigte daraus wunderbare Pullover, Jacken und Socken an. Solch eine weiß-braune Schafwolljacke ist mit mir durch meine ganze Kindheit gegangen, sie wuchs einfach mit. Einmal hatte Frau Jacziewski große Mengen frisch gesponnener und anschließend gewaschener Wolle auf die Wäscheleine zum Trocknen gehängt. Da es Sommer und sehr warm war, ließ sie die noch nasse Wolle über Nacht auf der Leine draußen hängen. Am nächsten Morgen war die gesamte Wolle verschwunden. Die mühsame Spinnarbeit vieler, vieler Tage war umsonst gewesen. Die Wolle tauchte СКАЧАТЬ