Jahrhundertwende. Wolfgang Fritz Haug
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Название: Jahrhundertwende

Автор: Wolfgang Fritz Haug

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783867548625

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СКАЧАТЬ der Indianer, der ein Weißer sein will und die Juden hasst; der Jude, der die Asche seiner verstorbenen Frau (versprochenermaßen und blödsinnigerweise) nach New York bringen und dort in einem Park verstreuen will (nicht ganz blödsinnigerweise, weil die Verstorbene dort kurzzeitig glücklich war, mit einem andern); das Mädchen, das einen Mann will, aber eine Pflegerin braucht, sodass bisher kein Mann sie wollte.

      Handlung: Agon zwischen dem Juden und dem Indianer; die Spastikerin als Schiedsrichterin und Prämie in einer Person. Erinnert an Brechts Dickicht der Städte. Gekämpft wird nach der Regel, wer verliert, gewinnt. Gottlose Frömmigkeiten. Ein Endspiel ohne die Konsequenz und Geometrie des beckettschen. In dieser Wüste gibt es Wasser. Macht den Eindruck des witzig Hingekitschten. Das Material nicht richtig verwendet.

      Lustprämien: Blasphemie, Sexvokabular, aber ohne Spaß. Was alles Sagbar wird. Projektionsfläche (nicht Identifikationsfiguren): in kosmischer Ausgesetztheit konfrontiert mit dem, was »letztlich« jeder allein angehen muss. Letztlichkeit (das Ultimative des Daseins). Momente der Wahrheit, zugleich saurer Kitsch: Ontologisierung durch Vermittlungslosigkeit. Und alles das auch wieder nicht. Aufgeweichter Beckett, konsumierbar – längst Rezeptions- und Geschwätzgewohnheiten.

      Henning Schaller, von dem das Bühnenbild stammt, erkannte mich nicht wieder. Er hatte die Veranstaltung im Friedrichstadtpalast vom Dezember 1989 geleitet.

      Dario Fos Lieblingszitat: »Wenn du nicht weißt, woher du kommst, wirst du schwerlich verstehen, wohin du gehen wirst.« (Gramsci) Fo!

      22. April 1991

      Die Friedrichstadt-Passage soll abgerissen werden. »Wenn 1,4 Milliarden Mark auf teurem Grund investiert werden sollen, sind 85 Mio Mark Gebäudewert und 25 Mio Mark Abrisskosten nur ein untergeordneter Posten in der Kalkulation.« (FAZ) – Herrensprache.

      23. April 1991

      Die Sojusgruppe forderte am Wochenende Ausnahmezustand mit Parteien- und Streikverbot, widrigenfalls soll Gorbatschow abgesetzt werden. Aber inzwischen weiten die Streiks sich aus. Für heute ist ein Generalstreik in Weißrussland angekündigt, mit Gorbatschows Rücktritt als Streikforderung. Die Leute sollen nur mehr lachen beim Namen G, und zwar böse. So habe ich selbst es schon vor einem Jahr auf dem Polizeirevier des Arbat gespürt.

      Kohl, der große Vereinigungskanzler, zahlt jetzt die Rechnung, die Lafontaine verfrüht präsentiert hatte. Die Sozialdemokraten reden von Regierungswechsel.

      24. April 1991

      Wechselbalg-Waren. – Als Indikator für die Fäulnis der sowjetischen Gesellschaft berichtet Kerstin Holm (keine unverdächtige Zeugin), dass es auf einem Moskauer Markt kaputte Glühbirnen zu kaufen gibt, das Stück zu 1 Rubel, deren »Gebrauchswert« darin besteht, dass man sie am Arbeitsplatz in eine Lampe schraubt und die funktionierende mitgehen lässt.

      Der schlingernde und schwindende Gorbatschow hat wieder einmal einen Kompromiss schließen können: sein Antikrisenplan ist, mit Zugeständnissen versehen, von acht Republikchefs, darunter Jelzin, unterzeichnet worden. Noch immer beim Umstellen von der Befehlsadministration auf eher horizontale Vereinbarungen, die von beidseitigem Vorteil sind. Marx war zu schnell mit seinem Spott über Bentham. Gewiss fangen nun alle Probleme des Marktes wieder von vorne an, aber die Probleme der Despotie lauerten im blinden Fleck von Marx, dem Wie einer nicht marktförmigen großräumigen Vergesellschaftung der Produktion.

      Merkwürdigerweise stiegen zur Zeit des Anschlusses der DDR die deutschen Auslandsinvestitionen, während ausländische Investitionen in Deutschland sanken. An der DDR wurde verdient, aber (noch) nicht dort investiert. Die Vorbereitungen für den »gemeinsamen Markt« gingen vor. Ende 1989 waren es 185 Mrd DM Direktinvestitionen westdeutscher Unternehmen im Ausland, vor allem in Frankreich und Großbritannien. In Osteuropa 1/2 Mrd. Europäisches Kapital übertraf erstmals mit 45 Mrd DM das amerikanische (40 Mrd DM).

      In der FAZ schimpft Barbier auf die FDP, die, wohl als Reaktion auf den politischen Gegenwind, den Ausdruck »soziale Offenheit« in ihre Phraseologie aufgenommen hat: »Die Botschaft einer liberalen Partei müsste doch lauten: ›Nichts sichert das Soziale so sehr wie eine marktwirtschaftliche Politik.‹ Nur für diese Botschaft wird die FDP auf Dauer gebraucht.« – Ob »soziale Offenheit« ein Wink an die SPD ist, also die Koalitionsfrage mit dieser aufmacht?

      Kohl, der Sieger von 1989/90, sieht nicht mehr gut aus. Im Osten wirkt der kapitalistische Marktkult verheerend. In der FAZ dekretiert diese Ideologie heute: »Im Vergleich zu Westdeutschland werden in den neuen Bundesländern zu viele Menschen beschäftigt.« Sartres Zuvielsein kriegt Bedeutungszuwachs. Dabei wird mitgeteilt, dass die Zahl der Erwerbstätigen in der ehemaligen DDR vom ersten Quartal 89 bis Ende 90 um 1,7 Mio zurückgegangen ist. Könnte es sein, dass dieses »Verschwinden« von Arbeitsbevölkerung bereits aus den Arbeitslosenzahlen herausgerechnet ist? Der Durchschnittsbruttolohn lag Ende 90 bei 1357 DM oder bei knapp 37 Prozent des westdeutschen. Die Produktivität wird mit 28,5 Prozent der westdeutschen angegeben.

      *

      Gestern die Überarbeitung des Sartre-Buchs abgeschlossen. Nur das neue Vorwort steht noch aus. Es müsste gelingen, die Weise zu bestimmen, wie der Absurdismus in die geistige Situation nach dem Zusammenbruch des Sozialismus neu eingeschrieben ist. Wenn es keine Alternative (oder keinen Glauben an eine mögliche Alternative) mehr gibt, dann sind viele dagegen, ohne ändern zu wollen. Muss nicht das wie ein Generator des Absurden wirken?

      26. April 1991

      Gestern und heute mit Gerhard Scheumann einen Aufruf »Rettet die MEGA« besprochen und schließlich geschrieben. Scheumann, der als »Schnauze des Regimes« abgestempelt wird, deshalb letztes Jahr aus der PDS ausgetreten ist und auch das Kapitel Film in seinem Leben beendet hat, ein Musterbeispiel freigesetzter Kraft. Von ihm lerne ich, dass die DDR-spezifischen Anoraks, neben den Jeans die wahre Volkskleidung, »Frischhaltebeutel« genannt wurden.

      Unser Kultursenator Rohloff soll Wekwerth zum Rücktritt von der Intendanz des BE aufgefordert haben. Der aber widersetzt sich, schon weil er dann nicht einmal Arbeitslosengeld kriegen würde. Wekwerth inszeniert übrigens gerade den Schwejk. Bin neugierig darauf.

      Vor einigen Tagen habe ich gehört, dass Ehrenfried Galander, der einen Teil der ökonomischen Manuskripte im Rahmen der MEGA betreute, jetzt Gebrauchtwagenhändler ist. Es verschlägt mir die Sprache. Klaus Schulte, der mich heute besuchte, rechnet damit, dass die vorenthaltene machbare Verarbeitung von Geschichte und Zusammenbruch des Sozialismus durch seine bisherigen Träger »fürchterliche Spätfolgen haben wird, moralische Schäden größten Ausmaßes«.

      27. April 1991

      Im Septemberheft 1989 von »Sinn & Form« eine Rede Werner Mittenzweis auf Jürgen Kuczynski lesend, finde ich lauter Eigenschaften als notwendig gelobt, die mir abgehen: sich beim Schreiben von Büchern nie in Klausur begeben, Kritik richtig dosieren, sich nie ins Abseits drängen lassen.

      2. Mai 1991

      Vor der Vereinigung hat eine öffentliche Diskussion Biedenkopfs mit DDR-Intellektuellen stattgefunden, eingeleitet von Christa Wolf. »Sinn und Form« hat eine schriftliche Fassung abgedruckt, die sich rückblickend fast wie eine Anhörung liest, durch die Konsens für eine politische Kandidatur beschafft wird. Ich lese sie zur Vorbereitung eines Referats bei der PDS.

      Biedenkopf erklärt, СКАЧАТЬ