Gesang der Lerchen. Otto Sindram
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesang der Lerchen - Otto Sindram страница 22

Название: Gesang der Lerchen

Автор: Otto Sindram

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783927708464

isbn:

СКАЧАТЬ werden. Jacob blieb nichts weiter übrig, als sein Gespann so schnell wie nur möglich über die Kreuzung zu bringen. Hochoben auf seinem Bock sitzend, knallte er mit der Peitsche, grüßte die erschrockene Majestät und das Reitervolk und war auch schon vorbei. Im Augenwinkel sah er noch, wie der Kaiser von seiner mit Samt und Seide bespannten Bank glitt und sich auf den Boden der Equipage warf. Komisch, dachte Jacob, der Hohe Herr muss wohl sehr ängstlich sein und den Peitschenknall falsch gedeutet haben.

      Als Jacob zur Brauerei zurückkam und abschirren wollte, empfingen ihn der Stallmeister und die ganze Direktion. Ein kaiserlicher Reiter hatte schon die Nachricht von dem Vorfall überbracht und vom allerhöchsten, allergnädigsten Zorn berichtet. Jacob wurde sofort entlassen, er durfte nicht einmal mehr die Pferde abschirren. Jetzt musste er ganz schnell eine neue Arbeit und sehr bald auch eine neue Unterkunft für seine Familie finden. Josepha hatte ihm geschrieben, dass der Herr Baron sie bedränge, und nachdem sie sich ihm verweigerte, verlange er, dass sie bald die Kate freimachen müssten für den neuen Kutscher.

      In der Brauerei arbeitete ein Masure, der Jacob einen Aufruf einer Zeche aus dem Ruhrgebiet zeigte. Der Masure war Junggeselle und wollte ursprünglich ins Ruhrgebiet wandern, nun aber lieber doch in Berlin bleiben.

      »Masuren!«, las Jacob laut. »In rheinländischer Gegend, umgeben von Feldern, Wiesen und Wäldern, den Vorbedingungen für gute Luft, liegt abseits vom großen Getriebe des Industriebezirks eine ganz neu erbaute Kolonie aus modernen Häusern. Jedes Haus besteht aus zwei getrennten Wohnungen. Die Zimmer sind schön groß und luftig. Die Decken sind drei Meter hoch. Zu jeder Wohnung gehört ein trockener Keller, so dass sich die eingelagerten Früchte, Kartoffeln usw. dort sehr gut halten werden. Ferner gehört dazu ein geräumiger Stall, wo sich jeder sein Schwein, seine Ziege oder seine Hühner halten kann. Zu jeder Wohnung gehört auch ein Garten von über zwanzig Quadratmetern. So kann sich jeder seinen Kohl und seine Kartoffeln selber ziehen. Es gibt Wasserleitungen und Kanalisation. Abends werden die Straßen elektrisch beleuchtet.«

      Jacob fuhr zum Gut, zeigte Josepha den Aufruf, sie schrieben an die Zechenverwaltung, und bald schon befanden sie sich auf dem Wege in ihre neue Heimat. Josepha lebte sich im Ruhrgebiet schnell ein. Sie fühlte sich wohl in der Kolonie und freute sich besonders über die neue Wohnung. Das erste Mal in ihrer Ehe besaß sie eine richtige große Wohnküche, ein Schlafzimmer nur für sich und Jacob sowie zwei Zimmer für die Kinder, in denen Jungen und Mädchen getrennt schliefen. Und sie besaßen einen Stall, in dem sie ein Schwein halten konnten. Jacob wurde gleich unter Tage beschäftigt. Er arbeitete zuerst als Schlepper und verdiente nur einen Teil von dem, was ein richtiger Bergarbeiter bekam. Nach einer kurzen Anleitung durch einen erfahrenen Kumpel aber durfte er als Hauer »vor Ort« arbeiten. Die Arbeit fiel ihm schwer; besonders die Wärme, der Staub und die schlechte Luft machten ihm zu schaffen.

      »Wenn du einen Furz lässt, sorgt das Wetter dafür, dass alle hier was davon haben«, sagte ihm der Kumpel.

      Dazu kam die Gefahr, jederzeit von herabstürzendem Gestein erschlagen zu werden. Wenn Jacob durch sorgfältigen Ausbau mit Stempelholz die Gefahr verringern wollte, konnte er beinahe nichts verdienen. Der mit dem Steiger ausgehandelte Lohn erlaubte kaum Sicherheitsarbeiten. Als die anderen Kumpel das erfuhren, schimpften sie mit ihm.

      »Lass dich von dem Laufhund bloß nicht übers Ohr hauen!«

      »Laufhund?«, fragte Jacob.

      »Der Steiger«, und sie erzählten ihm, dass sie erst kürzlich für einen besseren Lohn in den Streik getreten waren und dass seitdem endlich auch das »Nullen« abgeschafft worden sei.

      »Was ist das, das ›Nullen‹?«

      »Wenn einige Steine im Wagen waren, bekamst du den ganzen Wagen nicht angerechnet; du hast für die Katz gearbeitet und für die Grubenbarone«, erklärten ihm die Kumpel.

      Mit der Zeit gewöhnte Jacob sich an die Verhältnisse, wusste sich zu verkaufen, verdiente gutes Geld und sah, dass es mit der Familie vorwärts ging.

      Josephas Ehrgeiz war es, allen Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Sie dachte praktisch und wollte später einmal Nutzen von ihren Kindern haben. Die Ansiedlung von immer mehr Handwerksbetrieben und Geschäften, seit Hamborn die Stadtrechte bekommen hatte, kam ihrem Wunsch entgegen.

      Jupp, der Älteste, wurde Tapezierer und Maler; Grete, die Zweite, kam zu einer Schneiderin in die Lehre. Kat, Mariechen und Hännes gingen noch zur Schule, die kleine Lisa lernte gerade das Laufen. Jupp war der Erste, der nach der Lehre zusätzlich zu Jacobs Lohn Geld heimbrachte. Bald verdiente auch Grete.

      Die Zeit verging, die Kinder wuchsen heran. Kat bekam eine Lehrstelle als Köchin, Mariechen ging bei einem Kaufhausbesitzer in Stellung, Hännes half nach dem Schulunterricht beim Zeitungaustragen, Lisa kam in die Schule. Es ging ihnen gut.

      Da begann der Krieg. Josepha freute sich nicht darüber, sie beteiligte sich auch nicht an den Straßenfesten in der Neuen Kolonie und verbot es ebenfalls ihren Kindern. Sie wurde die Ahnung nicht los, dass sie dafür, dass es ihnen bisher so gut gegangen war, noch ein großes Opfer werde bringen müssen. Wie alle anderen hoffte sie aber auch, dass in höchstens sechs Wochen der Krieg vorbei sein würde.

      Aber der Krieg dauerte. In der ersten Zeit ging es ihnen noch weiterhin gut. Sie schlachteten ihr Schwein, pökelten es ein und lebten eine ganze Weile von dem Fleisch. Als der Krieg ein Jahr alt wurde, meldete sich auch bei den Krügers die Not. Die Kinder aßen das mit Kartoffeln gestreckte Kriegsbrot und klagten über die dünnen Scheiben. Josepha teilte das auf den Marken erhältliche Fleisch ein, so dass Jacob den größten Anteil bekam, die Jungen weniger große und die Mädchen die kleinsten Stücke erhielten. Sie selber erklärte sich ab sofort zu einer Vegetarierin.

      Im zweiten Kriegsjahr wurde Jupp eingezogen. Schon nach einem Monat bekamen sie einen Brief von seinem Kompanieführer, dass Joseph Krüger für Kaiser und Vaterland auf dem Felde der Ehre gefallen sei. Josepha konnte nicht weinen. Sie zog schwarze Kleidung an und trug seither ihr ganzes langes Leben lang schwarz. Jacob sagte nicht viel. Er zog sich nach der Arbeit immer öfter in die Dachkammer zurück, die er sich als Schusterstube eingerichtet hatte, und schusterte für die Familie und die Nachbarn.

      Der Krieg ging schließlich zu Ende, die Not aber blieb. Josepha und die Mädchen mussten viel Zeit und Geduld aufbringen beim Schlangestehen, um das, was ihnen laut Lebensmittelkarten zustand, auch wirklich zu bekommen. Die jungen Bergarbeiter, wenn sie nicht gefallen waren, kehrten in die Neue Kolonie zurück und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Josepha dachte an Jupp und bekam schmale Lippen. Die Mädchen traten nach und nach in den Ehestand. Alle heirateten standesgemäß Bergarbeiter. Hännes beendete seine Lehre als Bäcker und Konditor und wohnte ganz beim Bäckermeister. Bald wohnte nur noch Lisa zu Hause. Josepha dachte schon daran, zwei Kostgänger zu nehmen, da passierte das mit Lisa.

      Kurz nach der Geburt der kleinen Guste war Lisa wieder schwanger geworden. Erneut war es ein Mädchen, das sie Hilde nannten. Josepha gab dem jungen Paar ein zweites Zimmer und behielt nur noch ihre Schlafkammer. Jacob wohnte ganz in der Dachkammer. Gekocht wurde weiterhin zusammen, und gemeinsam lebten sie auch in der Wohnküche. Nur wenn Paul sehr betrunken heimkam, schloss Josepha die Wohnküche von innen ab und ließ ihn nicht hinein. Lisa war bald zum dritten Mal schwanger, und Josepha war besorgt.

      »Willst du so weitermachen? Dann müssen wir eine größere Wohnung nehmen, mit einer zweiten Dachkammer.«

      Hilde aber wurde nur ein halbes Jahr alt und starb noch vor der Geburt des dritten Kindes.

      An einem bitterkalten Wintertag, der Rhein war zugefroren, bekam Lisa ihr drittes Kind. Es wurde wieder – wie schon die ersten beiden Kinder – zu Hause geboren. Die Geburt war schwer; da das Kind querlag. СКАЧАТЬ