Название: El Raval
Автор: José R. Brunó
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783960082033
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Die in die Jahre gekommene Conchi war schnell gefunden und wie immer sehr gesprächig.
»Ich habe so einige Freier gesehen, die bei ihr herumlungerten. Die Melisa hat einige Stammkunden gehabt«, sprudelte es aus ihr heraus.
»Kannst du uns einige Namen nennen?«
»Leider kenne ich einige auch nur flüchtig und kann dir nur sagen, wie sie aussehen. Die Melisa hatte immer den kleinen Friseur Bernardo aus der Peluquería in der Carrer Sant Pau zu Besuch und noch so einige Moros.«
Mit Moros waren die Nordafrikaner gemeint, die im Barrio Chino unter besonderer Beobachtung standen. In der Mehrzahl waren es Marokkaner, die aus den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta zugewandert waren.
»Der Sohn des marokkanischen Metzgers aus der Carrer den Robador lungerte hier am Abend auch herum, ich glaube der gehörte auch zu ihren Stammfreiern«, sagte Conchita mit einem neidischen Unterton.
»Wie spät war es denn, als du sie gesehen hast?«
»Es muss so um Mitternacht gewesen sein.«
Der Todeszeitpunkt, den Doc Montes aufgrund der Körpertemperatur ermittelt hatte, lag zwischen drei und vier Uhr.
»Die Tat ist in den frühen Morgenstunden geschehen, Conchi, eigentlich interessiert mich die Zeit nach Mitternacht.«
»Darüber weiß ich nichts, aber du solltest einmal den Cobrador de Frac befragen, der übernachtet manchmal bei ihr«, sagte Conchita schnippisch.
Cobradores de frac waren Schuldeneintreiber, die sich mit einem Frack bekleideten und einen schwarzen Zylinder auf dem Kopf trugen. In ganz Spanien gefürchtete Männer, die von Amtswegen beauftragt waren, Schulden einzutreiben. Ihre schwarze Kleidung war kompromittierend und löste überall großes Aufsehen aus. Eine sehr merkwürdige aber wirksame Methode, Schulden einzutreiben. Die Scham war groß, und die Vorstellung, dass eines Tages der schwarze Mann vor ihrer Haustür stehen würde, machte einige Leute zu braven Zahlern.
Allerdings gab es da noch den Stadtteil El Raval, das Barrio Chino. Hier hatte sich seit einigen Jahren der Schuldeneintreiber nicht mehr sehen gelassen. Nicht nur, weil die Kinder schreiend hinter ihm herliefen und ihm die Luft aus den Reifen seines klapprigen SEAT gelassen hatten, sondern weil die kompromittierende Kleidung des Schuldeneintreibers absolut seine Wirkung verfehlte. Hier hielt sich die Scham, Schulden zu haben in Grenzen.
Pep schaute Conchita eine Weile an und schüttelte ungläubig den Kopf. »Cobrador de frac? Jetzt ist es aber gut, Conchi, ich habe schon seit Jahren hier keinen mehr gesehen.«
»Der hat aber immer bei ihr übernachtet, wenn er hier in der Gegend war.«
»Und dann wartet er im Hausflur, um sie umzubringen? Was ist das denn für ein Blödsinn?«
Es sah so aus, als ob Conchita alle Leute anschwärzen wollte, die ihr irgendwann einmal zu nahe getreten waren und Pep hatte das Gefühl, die Konversation schleunigst beenden zu müssen. Die Einzigen, die es zurzeit zu verhören galt, waren der Friseur und der Fleischer.
Für die beiden noch unerfahrenen Inspektoren, die eigentlich noch gar keine Indizien hatten und vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen schienen, war eines bewusst, ein Motiv war nicht zu erkennen.
Hier war ein Serientäter am Werk, der sich wahllos unter den Huren eine aussuchte, um sie bestialisch zu ermorden. Er hatte wohl keine Beziehung zu seinen Opfern, er beraubte seine Opfer nicht und war an Sex nicht interessiert. Es war ein Albtraum, aus dem man nicht so schnell wieder erwachen sollte. Und eines war klar: Der Täter würde nicht aufhören zu töten, bis er gefasst würde.
Als die beiden Inspektoren am späten Abend den Friseurladen in der Carrer Sant Pau betraten, war der Salon noch voller Leute, die alle darauf warteten, frisiert oder rasiert zu werden. Die Türen und Fenster standen offen, um ein wenig Luft hineinzulassen. Es war außergewöhnlich warm und in dem kleinen Friseursalon roch es nach Tabak und billigem Rasierwasser.
Die Ventilatoren unter der Decke des Raumes wirbelten die stickige Luft durch den Raum und sorgten eigentlich nur wenig für Erfrischung. Die wartenden Kunden diskutierten heftig über Fußball.
Die Gespräche verstummten sofort, als die beiden Polizisten den Raum betraten. Jeder hatte so einiges zu verbergen und überhaupt, man wollte mit der Polizei nichts zu tun haben.
»Bernardo, wir haben was mit dir zu besprechen«, sagte Pep zu dem kleinen Mann, der eifrig damit beschäftigt war, einem Kunden die Haare zu schneiden.
»Worum geht es denn?«, fragte der kleine Friseur unschuldig und zugleich etwas nervös und legte den Zigarettenstummel, den er in seinem Mund trug, in einen Aschebecher.
»Das werden wir dir schon sagen. Entweder, wir nehmen dich jetzt mit oder du beantwortest mir jetzt sofort einige Fragen. Lass mal deinen Chef weitermachen und wir unterhalten uns draußen vor der Tür.«
Bernardo tat, wie ihm geheißen, und als er auf die Straße trat, stellte Pep fest, dass der Friseur mit seinem schmutzigen weißen Kittel noch kleiner war als er ihn in Erinnerung hatte.
Er mochte wohl kaum einen Meter sechzig groß sein und er konnte sich nicht vorstellen, wie der kleine Mann eine Frau wie Melisa umbringen könnte.
»Wann warst du am Mittwoch bei Melisa?«
Der kleine Friseur schaute den Inspektor verdutzt an. Er schien etwas verwundert, dass man schon herausgefunden hatte, dass er am Tatabend bei der Ermordeten gewesen war.
»Ich war in der Zeit von elf Uhr bis elf Uhr dreißig bei Melisa, ich habe sie nur eine halbe Stunde gesehen«, sagte Bernardo nervös. »Als ich ging, war sie noch munter wie ein Fisch.«
Er hatte sicherlich etwas zu verbergen, aber Mord, das war eine Nummer zu groß für den kleinen Friseur.
»Was rauchst du für eine Zigarettenmarke?«
»Ich rauche Ducados«, bemerkte Bernardo.
Der Friseur hätte zwar die Möglichkeit, mit einem scharfen Rasiermesser jemandem die Kehle durchzuschneiden, aber zum einen war er Rechtshänder und zum anderen konnte man mit einem Rasiermesser keine Stichverletzungen verursachen. Bernardo passte also nicht wirklich ins Täterprofil.
Eigentlich hatten die beiden Hurenmorde, die Vorgesetzten von Pep und Xavi nicht besonders beunruhigt.
Prostituierte lebten immer noch am Rande der Gesellschaft, und wenn man den Täter nicht gerade auf frischer Tat erwischte, wurden die Fälle ganz schnell zu den Akten gelegt. In der Vergangenheit kamen Kapitalverbrechen nicht an die Öffentlichkeit, weil es im ehemaligen Franco-Regime Verbrechen dieser Art nicht geben durfte. Solange kein öffentliches Interesse bestand, wurde gar nicht erst ermittelt. wollte.
Allerdings hatte sich die Situation ein wenig verändert Der Mord an Melisa Agramontes hatte es auf die erste Seite der Tageszeitung La Vanguardia geschafft. Die Medien waren der Meinung, dass der Bürger ein Recht habe, die Wahrheit zu erfahren. Die Tageszeitungen forderten endlich ihr Recht auf freie Berichterstattung und wollten selbstverständlich Details wissen. Pressekonferenzen wurden gefordert und denen, musste sich Lopez wohl oder übel stellen.
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