Название: Traumzeit für Millionäre
Автор: Roman Sandgruber
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990401842
isbn:
Die Stahlfedern zum Schreiben der Briefe und der unzähligen Akten lieferte Karl Brandauer. Sein Unternehmen hatte Standorte in Wien und in Birmingham. Das englische Monopol für Stahlschreibfedern mit Mittelloch und Schlitzen wurde von dem aus Ulm nach Wien zugewanderten Carl Kuhn und dessen Schwiegersohn, dem aus Württemberg stammenden Carl Brandauer, nicht nur erfolgreich durchbrochen. Brandauer gelang es sogar, ins Zentrum der englischen Metallindustrie nach Birmingham vorzustoßen. 1862 gründete er dort seine eigene Federnfabrik. Die Federn wurden in Birmingham erzeugt, die Federhalter in Wien. Mit ansprechenden Modellen aus Metall, Elfenbein, Perlmutter, Glas oder Holz wurde den Produkten aus England eine exquisite und wienerische Note verpasst. Exportiert wurde vor allem nach Deutschland, England, Russland und in die Balkanländer. Wegen des 1. Weltkriegs musste die gesamte Produktion wieder in Wien zusammengefasst werden. Das englische Werk war verloren. Doch erst unter dem Nationalsozialismus wurde 1938 die „Carl Kuhn AG. Erste Österreichische Schreibfedern- und Federhalterfabrik“ aufgelöst.162 Die englische Firma besteht unter anderen Eigentümern weiter und pflegt das Brandauer-Erbe liebevoll.
Kreise um Wittgenstein
Die Konsumgüterindustrien beanspruchten vor 1914 etwa 50 Prozent der Wertschöpfung der österreichischen Industrie. Aber die Beschleunigung kam zuletzt immer mehr vom Produktionsgüterbereich. Die „schwersten“ Industriellen waren naturgemäß die Schwerindustriellen. An 37. Stelle des Einkommensrankings findet man den Eisenindustriellen Karl Wittgenstein. Doch würde man alle Mitglieder der Familie Wittgenstein zusammenzählen, würden sie ziemlich gleichauf mit den Gutmann an die dritte oder vierte Stelle vorrücken. Karl Wittgenstein und seine Geschwister konnten auf dem riesigen Vermögen aufbauen, das der aus Deutschland zugewanderte Hermann Wittgenstein in weniger als 20 Jahren geschaffen hatte. Alle seine Kinder, mit Ausnahme der etwas behinderten Clothilde, die als einsame Morphinistin in Paris endete, darunter die drei Söhne Paul, Louis und Karl, gehörten 1910 zu den tausend größten Steuerzahlern der Habsburgermonarchie. Hermann Wittgenstein hatte ihnen als Immobilienhändler, Generalpächter der Esterházyschen Güter und Partner der Figdorschen Handels- und Bank-Firma ein riesiges Vermögen hinterlassen. Paul und Ludwig führten die väterlichen Unternehmen im Immobilienhandel und der Güterverwaltung weiter, Karl baute sich in der Eisenindustrie ein neues Betätigungsfeld auf. Die Töchter waren ausgezeichnete Partien.163 Die Enkel ragten durch ihre musischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten heraus. Von den Urenkeln kennt man nur noch „Wittgensteins Neffen“, dem Thomas Bernhard ein literarisch-skurriles Denkmal gesetzt hat.164
Hermann Wittgensteins jüngster Sohn Karl war als Achtzehnjähriger 1865 aus dem Elternhaus ausgerissen und mit einem gefälschten Pass und ohne Geld nach Amerika gegangen, wo er sich zwei Jahre in verschiedensten Stellungen, als Nachhilfelehrer, Kellner oder Schiffssteuermann, durchschlug. Nach der Rückkehr absolvierte er in Wien ein paar Semester Technikstudium und arbeitete als Konstrukteur, bis ihn Paul Kupelwieser, der Schwager seiner Schwester Berta, 1872 in das Walzwerk Teplitz/Teplice holte. 1877 war er dort bereits Generaldirektor, 1884 hatte er die Aktienmehrheit der Böhmischen Montan-Gesellschaft, 1885/86 übernahm er auch die Prager Eisenindustriegesellschaft und 1897 war er nach der Erringung der Kontrolle über die Alpine Montangesellschaft Herr des größten Eisenkonzerns der Habsburgermonarchie. Doch schon ein Jahr später legte er nach einer dreimonatigen Weltreise alle seine operativen Funktionen nieder und zog sich völlig in das Privatleben zurück. Seit 1906 an Krebs erkrankt, starb er am 20. Jänner 1913.
„Eisenfressende Bestie“ oder liebender Familienmensch? Karl Wittgenstein und seine Frau Leopoldine, geborene Kallmus. Foto: K. u. k. Hofatelier Adèle, um 1900.
Karl Wittgenstein war sicher nicht jener Selfmademan, als der er gerne hingestellt wurde oder sich auch selbst stilisierte. Das Riesenvermögen, das schon sein Vater Hermann den Kindern hinterlassen hatte, vergaß er gerne zu erwähnen. Alle seine Geschwister waren bereits Millionäre. Der Amerikaaufenthalt hat ihn tief geprägt, wohl auch wegen der harten Arbeit, mit der er sich durchschlagen musste, viel stärker aber durch den Sozialdarwinismus und Räuber-Kapitalismus, den er dort kennen gelernt hatte. Gut aussehend, sportlich, ein blendender Fechter und Reiter, musikalisch, witzig, ein entschlussfreudiger Techniker und brillanter Geschäftsmann, hätte er es doch ohne das ererbte Geld und das noch wichtigere Netzwerk nicht schaffen können. Neben ihm blieb wenig Luft zum Leben. Seine Entschlusskraft war gewaltig. Wie er dem Fürsten Fürstenberg zuvorkam, um sich die Rechte am Thomasverfahren, dem Schlüssel zur modernen Verwertung der böhmischen Eisenerze, zu sichern, ist ein Beispiel seines enormen Verhandlungsgeschicks und Durchhaltevermögens. In einer feuchten Tafelrunde, Punkt Mitternacht, in der Minute, als die Sperrfrist abgelaufen war, schlug er zu.165 Man hat ihm oft Rücksichtslosigkeit vorgeworfen, wie er sich Mehrheiten sicherte, die Börse manipulierte, Unternehmen sanierte und wegrationalisierte, das Eisenkartell einsetzte und den vielen kleinen Eisenerzeugern und Eisenverarbeitern das Leben immer schwerer machte.166 Wittgenstein war ein Meister des Umgangs mit den Instrumenten des organisierten Kapitalismus. Er hatte es verstanden, einen Kreis verlässlicher Weggefährten um sich zu scharen, Max Feilchenfeld in der Escomptegesellschaft, Anton Kerpely als Generaldirektor der Alpine, Georg Günther in der Böhmischen Montangesellschaft, Wilhelm Kestranek bei der Prager Eisenindustrie. Wittgenstein hat sie alle reich gemacht. Es war ein Weg über viele Leichen. Die Alpine Montan Gesellschaft war, als er sich 1896 die Aktienmehrheit erkämpfte, ein kriselndes Unternehmen. Er betrieb ein scharfes Rationalisierungsprogramm und verzehnfachte den Börsenwert. Die Feilenhauer, Nagelschmiede und Sensenwerke zerbrachen unter seinem Druck.167 Karl Kraus, nie um eine sarkastische Pointe verlegen, schrieb über seinen engsten Weggefährten, den Stahlmanager Kestranek, der von hünenhafter Gestalt war, unter Ausnutzung der feinen Unterschiede der deutschen Rechtschreibung: „Er ist aus Eisen und stahl.“168
Die aus einer alten Frankfurter Handelsfamilie stammenden Brüder Albert und Emil Böhler hatten 1870 mit der k. k. privilegierten Gussstahlfabrik des Freiherrn Mayr-Melnhof in Kapfenberg einen Alleinvertretungsvertrag für deren Stahlprodukte ausgehandelt. 1872 erwarben sie das Puddlings- und Walzwerk Bruckbacherhütte bei Waidhofen/Ybbs und 1894 das Gussstahlwerk in Kapfenberg. Bis 1875 waren auch die jüngeren Brüder Otto und Friedrich als zusätzliche Gesellschafter eingetreten. 1899 wurde das Unternehmen, inzwischen weltberühmt für seine Edelstahle und Schmiedeprodukte, in eine AG umgewandelt. Mit Friedrich Böhlers Tod im Jahre 1914 endete die eigentliche Geschichte von Böhler als Familienunternehmen. In der Hyperinflation nach 1918 geriet das Unternehmen immer mehr in den Einflussbereich des Deutschen Stahlvereins. Der starke Mann im Unternehmen war bis 1938 der von Friedrich Böhler eingesetzte Otto Friedländer, dem dieser mehr vertraute als seinen Neffen, der aber wegen seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten sofort entfernt wurde. Gleichzeitig war dies das Ende der Familiengesellschaft. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs, vor der endgültigen Verstaatlichung, war die Familie Böhler nur mehr mit etwa 8 Prozent beteiligt.169
Krupp ist auch in Österreich ein klingender Name. Die österreichischen Krupp waren zwar nicht so reich wie ihre deutschen Verwandten. Bertha Krupp hatte 1910 das höchste Einkommen Deutschlands. Arthur Krupp lag in der österreichischen Einkommensskala nur an dreißigster Stelle. Sein Einkommen von 906.012 Kronen war nur ein Zwanzigstel der Einkünfte von Bertha Krupp. Hermann Krupp, der Sohn von Friedrich Krupp und jüngere Bruder von Alfred Krupp, war 1843 nach Österreich gekommen, um hier seine neue Technik des Walzens von Besteck zu etablieren. Er tat sich mit Alexander Schoeller zusammen. Krupp brachte die Technik, Schoeller das Kapital. Die beiden waren zu je 50 Prozent am neuen Unternehmen beteiligt. Zu den Kunden des gewalzten, silberähnlichen СКАЧАТЬ