Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Nacht über der Prärie

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Исторические приключения

Серия:

isbn: 9783938305607

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      Ella vermochte die Natur dieser Freude nicht ganz zu verstehen. Ella war im Süden daheim, und ihr Elternhaus war ein Lehmbau auf den kahlen Felsen, von denen man über Mais, Schafe und Wüste blicken konnte. Aber in Queenies Heimat gab es nicht Schafe, sondern ungesattelte Pferde und schwarze Rinder, nicht Mais, sondern ein paar Kartoffeln oder Korn, und die Hütten waren nicht aus Lehm, sondern aus Holz; sie standen auf den Hügeln oder in den Tälern, die das harte Büschelgras bewuchs. Die Freundschaft der beiden Mädchen war etwas Neues; sie wussten es und freuten sich daran. Ihre Stämme, Büffeljäger und Maisbauern, wohnten weit voneinander entfernt, und dennoch beschimpften sie einander auch jetzt noch, wie es vor Jahrtausenden die Nomaden und die Ackerbauern taten, obgleich die Büffeljagd längst der Vergangenheit angehörte und von Kriegen nicht mehr die Rede war.

      Ella hatte ein eigentümlich flaches Gesicht, als ob Stirn, Mund, Augen, Nase ein Einziges bildeten. In Queenies Zügen unterschied sich alles deutlicher.

      »Das Merkwürdige bleibt«, sagte Ella, ihre Gedanken abschließend, »dass bei dir alles so verschieden ist und doch in Harmonie.«

      Die Mädchen verständigten sich auf englisch, denn keine kannte die Stammessprache der anderen.

      Queenie hatte die Decke beiseite geschoben und sich zusammengekuschelt wie eine junge Katze. »Du siehst es nicht richtig, Ella. Bei mir ist nichts verschieden. Es ist alles eine Einheit, weil es alles in der Mitte ist … durchschnittlich, würde Mr Lazy Eye sagen, weil er nicht weiß, was das ist, eine Mitte. Ich bin ein mittleres Mädchen, mittelgroß, unauffällig, weil mein Körper und meine Glieder und meine Augen eben so sind, wie sie nach den Maßen sein sollen – mittelbegabt, weil ich das sehe, was ein Mädchen der Prärie seit vielen hundert Sommern und Wintern eben zu sehen und zu erkennen pflegt, und weil ich imstande bin, die genaue Hälfte von dem zu begreifen, was die weißen Männer und Frauen uns erzählen. Vielleicht kommt es auch daher, dass mein Vater eine mittlere Ranch hat, in der sich alles die Waage hält, das Vieh, die Pferde, die Kartoffeln, das Gärtchen, die Mutter und die Kinder. Ich habe nicht viel und auch nicht wenig gelernt. Ich bin nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Tänzerin.«

      »Aber du bist wie eine Kugel, rund, in sich geschlossen, deshalb bist du vollkommen, und das macht uns alle verrückt.«

      Queenie lachte wieder. Sie hatte das volle Lachen der Jugend, nicht mehr und nicht weniger. »Wenn ihr keinen triftigeren Grund habt, verrückt zu werden –!«

      »Die Burschen träumen von dir, Queenie. Ich bewundere dich, dass du so standhaft bleibst.«

      »Ich bin nicht tugendhaft, Ella. Es hat nur der noch nicht zu mir gefunden, der mich verführen kann. Und was das Runde betrifft … du bist viel runder als ich.«

      »Weiche mir nicht aus. Ich will zufällig einmal ernsthaft sein. Ich bin rund, ja, von Natur, ganz und gar, und es geht bei mir alles zusammen, das Alte und das Neue, die Geheimnisse und das Wissen, die guten Katchina, unsere Ahnen und Geister, die aus der Erde kommen, und Christus, der aus dem Grabe steigt, der Mais und die Kunst. Es ist alles ein großes buntes Spiel. Aber das ist es bei dir nicht. Du hast irgendeinen starken Reifen, mit dem du das, was nicht zusammengehört, zusammenzwingst … aber wiederum zwingst du es so leicht, als ob keine besondere Kraft dazu gehörte, oder deine Kraft ist so stark, dass das Schwere ein Spiel wird …«

      »Hör auf, Ella, du spinnst.«

      »Und du fängst dich in den feinen Fäden. Was ist das?«

      Ella hielt einen kleinen vertrockneten Kaktus in die Höhe. Queenie glitt aus dem Bett, und ehe Ella es sich versah, war ihr der Kaktus aus den Fingern gewunden. Queenie zuckte vor Zorn. Es lagen ihr Worte auf den Lippen, die die Freundschaft für immer zerstören würden. Aber sie sprach sie nicht aus.

      Sie verwahrte den Kaktus in einem kleinen Lederbeutel, dann lief sie hinüber in den Baderaum und ließ sich die Brause eiskalt über den Rücken rinnen. Sie musste etwas wegwaschen. Hatte Ella spioniert? Oder hatte sie etwa selbst diesen Kaktus achtlos liegengelassen, nachdem sie die Stachelspitzen in ihre Haut gedrückt hatte? Sie spürte ihren eigenen Körper auf einmal auf eine neue Art. Sie musste Abschied nehmen von der Zeit, in der sie noch ein Kind gewesen war oder noch das Kind gespielt hatte.

      Als Queenie in das Zimmer zurückkam, ging Ella in das Bad. Danach war von dem Kaktus und von dem, was sich darum abgespielt hatte, nicht mehr die Rede.

      Um acht Uhr fünfundvierzig standen die Mädchen und Jungen mit ihrem wenigen Gepäck an der Haltestelle und warteten auf den Überlandbus.

      Für die letzte Strecke ihrer Reise hatte Queenie sich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Flugkarte gekauft. Zwar hatte sie ursprünglich alles Geld des »Interessenten« ihren Eltern bringen wollen, aber dann war sie der Versuchung erlegen und hatte einige Dollars abgezweigt. Sie hatte ihre Flugkarte schon von der Kunstschule aus vorbestellt und den Eltern geschrieben, dass sie einen Tag früher in New City eintreffen werde. Zur elterlichen Ranch ging zwar keine Post, aber Queenie hoffte, dass ihr Bruder Henry in diesen Tagen, in denen Post von ihr erwartet werden konnte, zur Agentursiedlung ritt und auf dem Postamt nachfragte.

      Nun saß sie in der Propellermaschine der Frontier Airlines, die in ihrem Namen die Erinnerung daran bewahrten, dass die Orte, die sie anflogen, vor noch nicht langer Zeit Grenzgebiet zwischen Wildnis und Zivilisation gewesen waren und in blutigen Jahren zum Wilden Westen gezählt worden waren.

      Queenie hatte einen Fensterplatz. Tief unter ihr dehnte sich schon heimatliches Land, endlose Prärie unter dem Nachthimmel; nur hin und wieder erschien für das Auge der Zaun einer Ranch, noch seltener eines der einsamen Häuser. Die Sandfurchen an den Präriehügeln, in denen im Frühling und nach Gewittern das Wasser herunterschoss, lagen ausgetrocknet und gaben dieser Prärie, die schon seit Tausenden und Abertausenden von Jahren bestand, etwas Aufgerissenes, Bloßes und Wildes. Nur zweimal erkannte Queenie Gruppen schwarzer Punkte, das war schwarzes Vieh, und es waren Büffel, die wieder gezüchtet wurden, weil sie die Unbilden von Witterung, Sturm, Schnee, Hitze am besten überstanden, das karge, harte Gras, wenn nicht mit Lust, so doch ohne Widerwillen weideten und neben dem Fleisch das wertvolle Fell lieferten.

      Queenie schloss die Augen, und für einen flüchtigen Augenblick wurde sie ganz Tashina. Sie träumte davon, wie Hunderttausende von Büffeln über die Hügel und Täler gezogen waren und Tausende von braunhäutigen Jägern das heilige Tier erlegt hatten, um Nahrung, Kleidung, Zelte zu gewinnen. Dann waren die Watschitschun gekommen, diese Geister in Menschengestalt, die sich Weiße nannten, und sie hatten mehr Wild erlegt, als sie brauchten. Mit ihren Repetiergewehren hatten sie die Büffelherden nicht gejagt, sie hatten gemetzelt. Tashinas Großväter hatten um ihr Land gekämpft, aber sie waren besiegt worden. Die weißen Männer hatten die Prärie, die Wälder, Berge und Flüsse geraubt. Sie hatten New City gebaut und der Erde das Gold aus dem Leibe gerissen. Die großen Häuptlinge waren gefallen, ermordet worden, gestorben, und von manchen kannten ihre Kinder und Kindeskinder nicht einmal das Grab. Die Nachkommen lebten nun auf dürrem Land, das man ihnen als Reservation übriggelassen und immer wieder beschnitten hatte. In allem mussten sie den weißen Männern, dem Superintendenten und seinen Beamten, gehorchen; für jeden Schritt brauchten sie die Erlaubnis und das Geld der weißen Männer; arm waren sie trotz aller Renten und verbrieften Verträge, und sie wurden gehalten wie Unmündige.

      Auf Geheiß der weißen Männer aber besuchte Queenie die Kunstschule für Indianer. Sie wollte nicht undankbar sein, denn sie genoss dort, fern der Reservation, eine gute Ausbildung und ein gutes Leben. Aber sie wollte eine Indianerin bleiben, wie der Sprecher der Schüler bei der Schulabschlussfeier gesagt hatte, und sie wollte einmal denen helfen, die darbten.

      Queenie СКАЧАТЬ