Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Nacht über der Prärie

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Исторические приключения

Серия:

isbn: 9783938305607

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      »Ja.«

      »Sonst noch etwas?«

      »Die Schulferien beginnen. Der Stammesrat schlägt vor, den Schülern, die jetzt für drei Monate aus den Internaten nach Hause kommen, eine Gelegenheit zu nützlicher Arbeit und etwas Verdienst zu verschaffen. Wenn sie zu lange herumlungern, kommen sie auf Abwege.«

      »An das Dezernat für Ökonomie. – Ich danke.«

      Der Superintendent verabschiedete seinen Stellvertreter mit einem Blick. Dieser ging, die Akten unter dem Arm, zur Tür, klinkte sie leise auf und drückte sie ebenso leise wieder hinter sich zu. Etwas straffer aufgerichtet, als es sonst in Büros üblich war, wies er die Sekretärin an, die Vorlage des Stammesrates Mr. Haverman, dem Dezernenten für Ökonomie, zu bringen, und zwar sogleich, da die Schulen in wenigen Tagen schlössen. Das Mädchen zwang sich, die Augen nicht auf den Sprecher zu richten. Sie hatte die Lider gesenkt, erhob sich gehorsam, nahm die Mappe in Empfang und trippelte auf ihren weißen Schuhen mit den hohen Hacken zur Tür. Die Büros der einzelnen Dezernate befanden sich im Nebenhaus.

      Nick Shaw sah ihr einen Augenblick nach. Das Bild des künstlich gelockten schwarzen Haares, des braunen Nackens nahm er nur unbewusst in sich auf. Er fragte sich im stillen, ob das Mädchen schon etwas Neues über Joe King erfahren habe. Während er dem Superintendenten berichtet hatte, war ihm so gewesen, als ob im Sekretariat ein Besucher vorgesprochen habe. Die Polstertür ließ kaum einen Laut durch, aber in dem einstöckigen Holzhaus erzeugte jeder Schritt in dem Dielenboden Schwingungen, die Nick Shaw bis hinauf in die Knie zu fühlen meinte. Er war an diesem Tage sehr nervös.

      Aber er unterdrückte jede Frage, so wie das Mädchen jeden Blick unterdrückt hatte. Nick hatte die Erfahrung gemacht, dass Indianer ihn stets täuschten, wenn er sie ausforschen wollte. Man musste warten, bis sie selbst sprachen und über eine Reihe unwichtig erscheinender Bemerkungen endlich zum Wichtigen kamen. Eine solche Wartezeit dehnte sich im Ablauf eines geordneten Verwaltungsmechanismus, wie Shaw ihn rings um sich in Gang zu halten liebte, oft übermäßig lang. Der Beamte seufzte leicht und begab sich in sein benachbartes, an der Rückseite des Hauses gelegenes Dienstzimmer, das zweckmäßig, wenn auch mit einem Polstersessel weniger als das des Superintendenten ausgestattet war. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und vertiefte sich in die Akten.

      Als es klopfte und auf sein »Bitte« niemand eintrat, stand er auf und ging zur Tür. Aber er fand niemanden davor. Die Sekretärin war noch nicht zurück. Auf einem der Warteplätze hatte sich eine Indianerin niedergelassen. Nick Shaw hielt es für ausgeschlossen, dass sie geklopft hatte. Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt. Er fragte die Frau, was sie herführe. Sie wollte einen Brief für den blinden indianischen Richter abgeben, für Ed Crazy Eagle.

      »Warten Sie, die Sekretärin wird das erledigen.«

      Die Frau verfiel wieder in eine teilnahmslos wirkende Haltung. Shaw kehrte an seinen Schreibtisch zurück und steckte sich eine Zigarette an, obgleich er es nicht liebte, im Dienst zu rauchen. Es gehörte sich nicht. Er drückte die Zigarette wieder aus. Irgendwo in dieser Prärie musste es einen Punkt völliger Korrektheit geben, und dieser Punkt war das Dienstzimmer Nick Shaws.

      Er hörte das Geräusch eines Wagens, der eben auf der Straße vorbeifuhr. Der Motor war alt, etwas zu laut.

      Shaw unterzeichnete eine Vorlage für den Superintendenten.

      Der Wagen, den Shaw gehört hatte, hielt vor einem der gleichförmigen einstöckigen Holzhäuser, die die Agenturstraße hinter Vorgärten säumten. Das Haus stand am Ende der Straße. Es war das kleine, einfache Gebäude des Stammesgerichts. Der Blinde stieg aus und fand ohne Mühe den ihm bekannten Weg in das Haus. Im letzten Raum linker Hand traf er den alten indianischen Richter, der den Rang eines »Gerichtspräsidenten« an dem bescheidenen Stammesgericht einnahm. Die Stimmen hatten ihm schon verraten, dass vor dem alten Richter zwei Polizisten standen. Sie hatten in ihrer Stammessprache gesprochen, aber als der Blinde eintrat, der die Stammessprache nicht kannte, gingen sie dazu über, englisch zu sprechen.

      »In New City«, sagte der eine, ein starker und großer Mensch, dessen Stimme von oben herunter tönte.

      »In den Slums, wahrscheinlich bei der Schwester«, ergänzte der kleinere, aber nicht weniger stämmige Mann.

      »Harold Booth hat ihn gesehen.«

      Der Blinde hatte sich auf einen der schäbigen Stühle gesetzt. »Wir können nichts tun als warten«, hörte er den alten Richter sagen.

      »Die Polizei in New City ist informiert.« Der lange Polizist sprach überlaut, weil er sich bewusst war, nicht gefragt zu sein. Der Blinde legte die Hand zusammengeballt auf den Tisch.

      »Wird Stonehorn gesucht?«

      »Ja und nein.« Der alte Richter hatte sich dem jungen Mann zugewandt. »Noch hat er kein neues Verbrechen begangen, aber wenn er zurückkommt, geschieht der nächste Mord. Wir sind verantwortlich.«

      »Hat er Eltern?«

      »Es ist eine Verbrecherfamilie.«

      Der Blinde horchte auf. Er hörte den alten Richter zum ersten Mal mit scharfer Stimme sprechen.

      »Wer ist Harold Booth?« fragte Crazy Eagle nach einer Pause.

      »Der Jüngste der Booth-Familie. Von der großen Ranch vor den Badlands. Fünfundzwanzig Jahre.«

      »Hat er mit Stonehorn schon zu tun gehabt?«

      »Sie hassen sich.«

      »Was hatte Harold in New City zu suchen?«

      »Viehkauf. Der Vater hat ihn hingeschickt.«

      Der Blinde glaubte die missbilligenden Blicke der beiden Polizisten körperlich zu fühlen. Eben darum stellte er noch eine Frage, aber er gab auch eine Erklärung dazu.

      »Ich gehöre erst seit einem Vierteljahr zu eurem Stamm und eurer Reservation. Drei Monate sind nicht genug, um euch kennenzulernen. Sagt, wie alt ist dieser Joe King, den ihr Stonehorn nennt?«

      »Dreiundzwanzig. Aber ich sage dir mehr als das. Seine Mutter hat den Vater ihres Mannes erschlagen. Ihr Mann war im Gefängnis; ein Trinker und Gewalttäter. Die Schwester ist in den Slums von New City verheiratet. Stonehorn selbst war aufsässig und faul als Schüler. Er kam ins Gefängnis, weil er gestohlen, weil er einen weißen Lehrer bedroht und eine Bande gebildet hatte. Als er freigelassen wurde, ist er ein Tramp und ein Gangster geworden. Er hat wegen versuchter Beihilfe zu schwerem Raub gesessen. Schon in einem zweiten Falle steht er unter Mordverdacht. Nur aus Mangel an Beweisen musste ihn das Gericht der weißen Männer vor kurzem erneut freisprechen.«

      »Hat irgend jemand bei uns hier persönlich Angst vor ihm?«

      »Ja, Harold Booth. Die beiden haben sich schon in der Schule geschlagen. Harold ist ein großer, kräftiger Mann in den Zwanzigern, ein richtiger Indian-Cowboy auf der Ranch und gut im Football. Aber Stonehorn ist heimtückisch und gewandt wie ein Raubtier. Harold hat Angst.«

      »Kann jemand nach New City fahren und mit Stonehorn sprechen, ehe ein Unglück geschieht? Gibt es irgend jemand, der Einfluss auf ihn hat?«

      »Er lässt sich für keinen von uns blicken. Er hasst uns alle. Es war nur ein Zufall, dass er gesehen wurde. Vergiss auch nicht, was ich dir gesagt habe: Er hat nicht nur irgendwelche Verbrechen auf eigene Faust begangen. Er ist ein Gangster geworden, und СКАЧАТЬ