Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich
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Название: Nacht über der Prärie

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich

Издательство: Автор

Жанр: Исторические приключения

Серия:

isbn: 9783938305607

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      »Sie ist in den Slums von New City bei ihrer Tochter gestorben. Unsere Familien hier dulden keine Mörderin unter sich.«

      »Sie war nicht zum Tode verurteilt?«

      »Nach dem Gesetz habe ich sie freigesprochen, ich, verstehst du? Notwehr. Aber für unsere Familien hier ist nach uralter Überlieferung ein Mord ein Mord. Ein Vatermord. Da gibt es kein Erbarmen. Auch der Ehemann wollte sie nicht mehr bei sich dulden.«

      »Ihr Sohn Joe King hat die Reservationsrechte?«

      »Wir haben sie ihm noch nicht abgesprochen. Sein Vater, der alte King, lebt hier, und er hatte seinen Sohn wieder zu sich genommen, als er selbst aus dem Gefängnis kam.«

      Der Blinde fragte nicht weiter. Er stand auf. Ohne Hilfe zu beanspruchen, ging er in die kahle Kammer, die sein Arbeitsraum war. Dort hatte sich schon ein Helfer und Betreuer eingefunden, ein runzliger Mann von etwa sechzig Jahren. Er las dem Blinden das Schreiben der Indianerin vor, das die Sekretärin auf Anweisung von Nick Shaw unterdessen gebracht hatte. Eliza Bighorn, so hieß die Frau, sollte mit Gefängnis bestraft werden, weil ihr achtjähriger Sohn drei Tage unentschuldigt von der Schule ferngeblieben war. Eliza verteidigte sich.

      Irgend jemand hatte ihr den Brief geschrieben. Sie wohnte weitab, der Schulbus kam nicht bis zu ihrem Haus. Sie besaß weder Pferd noch Auto. Der Junge hatte wieder einen epileptischen Anfall gehabt. Es gab keine Nachbarn, und Eliza selbst musste auf die zwei kleineren Kinder achtgeben. Sie konnte ihr Haus nicht verlassen, nur um nach einem langen Marsch eine Entschuldigung bei der Schule vorzubringen. Wegen drei Tagen!

      »Den Brief an das Hospital«, entschied der Blinde. »Die Schwestern sollen sich um die Frau und um den epileptischen Jungen kümmern, auch wenn keine Autostraße dorthin führt.« Er sprach entschieden, aber doch nicht mit soviel eindringlicher Aufmerksamkeit, wie man sie selbst in geringfügigen Angelegenheiten bei ihm gewohnt war.

      Nach einigem Schweigen zeigte es sich, wohin seine Gedanken abgeirrt waren. »Runzelmann, warum nennt ihr Joe King auch Stonehorn?«

      Der Helfer ließ sich zu einer Auskunft herbei. »Die Mutter seiner Mutter war eine aus dem Geschlecht des Inya-he-yukan, des Steins mit Hörnern, von dem wir nur Gerüchte und Sagen kennen. Wir wissen nicht, ob es ihn je gegeben hat. Aber sie nannte ihren Sohn nach ihm, als er die Schläge des Großvaters überlebte.«

      »Der Großvater hasste diesen Enkel?«

      »Der Großvater liebte den Brandy, und Stonehorn ist schon mit zwei Jahren wild und böse wie eine Raubkatze gewesen.«

      »Wir müssen arbeiten. Ist weitere Post da?«

      Auf diese Weise hätte Ed Crazy Eagle nicht abschließen dürfen. Er wusste es selbst, kaum dass er die Worte gesprochen hatte. Nun würde Runzelmann nicht so leicht wieder den Mund öffnen, vielleicht in dieser Sache nie wieder.

      »Es ist keine weitere Post da. In einer halben Stunde beginnt der erste Termin.«

      Die halbe Stunde verlief ungenutzt.

      Aus dem Zimmer des alten Richters kamen die beiden indianischen Polizisten heraus. Crazy Eagle hörte sie durch den schmalen Korridor gehen und das Haus verlassen. Draußen sprang der Motor des Jeep an. Die Polizei benutzte dieses Fahrzeug, um in der Prärie auch ohne Weg und Steg vorwärts kommen zu können.

      Als es hoher Mittag wurde und die Beamten auf die Uhr schauten, waren auch die Vormittagstermine auf dem Gericht erledigt. Crazy Eagle entschloss sich, noch zu den Fachdezernaten hinüberzugehen. Das Wohlfahrtswesen verwaltete eine blondierte Frau. Sie machte einen intelligenten Eindruck, war angenehm gerundet und so mit dem nötigen Schwergewicht versehen, um viele Leute mit wenig Geld zu versorgen. Eine magere alte Indianerin verließ eben das Wohlfahrtsbüro. Kate Carson freute sich, als der Blinde – ohne Begleiter – eintrat.

      »Ed«, sagte sie hinter der Barriere, die den Raum teilte, »hier spielen sie alle verrückt, weil Joe King gesehen worden ist. Gestern war der Vater bei mir und hat sich seine Rente geholt. Er wird sie versaufen, und es kann wieder Schlägereien geben. Das kenne ich seit fünfzehn Jahren, es ändert sich nichts. Überhaupt ändert sich noch viel zu wenig. Aber deshalb wollte ich nicht zu Ihnen hinüberkommen. Es geht um unsere Teenager, die jetzt in den Ferien zu Hause sein werden. Stonehorn kann sich unter ihnen aussuchen, wen er will. Viele bewundern ihn im stillen – fürchte ich.«

      Ed hatte sich einen Stuhl vor die Barriere gerückt.

      »Es gäbe schon Beschäftigung für die Jungen und Mädchen. Aber Haverman«– er deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung des Nebenzimmers –, »Haverman ist zu schwerfällig, und er sieht sich nicht genug auf anderen Reservationen um, was dort gemacht wird. Er kann auch nicht mit unseren Leuten zusammenarbeiten, scheint mir. Er regiert immerzu.«

      Die füllige Blondine erhob sich auf eine höchst eigenartige Weise, als ob sie an ihrem Schopf in die Höhe gezogen würde. Sie starrte aus dem Fenster. Das konnte der Blinde nicht sehen, aber an der Richtung eines Lautes, den sie ausstieß, erkannte er, wohin sie blickte.

      »Was gibt es da draußen?«

      Kate Carson wandte sich verblüfft um. »Woher wissen Sie denn … Himmel … er kommt zu uns. Tatsächlich … Das muss sofort ausgenutzt werden.«

      Kate Carson puderte sich schnell die Nase. Es war ein glutheißer Tag, in ihrem Zimmer gab es keine Klimaanlage, und obgleich sie sich keinen Augenblick vom Stuhl gerührt hatte, war ihre Gesichtshaut nass von Schweiß.

      Der Blinde lauschte, er hatte ein feineres Gehör als andere. Die Haustür wurde auf- und zugemacht, leiser noch, als Nick Shaw das vermochte. Kaum hörbare Schritte gingen durch den Korridor. Entweder trug jemand Mokassins, oder die Schuhe waren von weichem, bestem Leder. Die Schritte waren raumgreifend, wie ein großer und sehniger Mensch sie mühelos macht. Jemand trat in das Nebenzimmer ein, ohne anzuklopfen.

      »Allmächtiger«, flüsterte Kate Carson, »er ist es! Und wie er sich herausgeputzt hat! Wie ein Spanier. Schwarze Jeans, das Hemd glänzt weiß, ein schwarzer Cowboyhut … der Bursche ist erst vor zwei Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen worden … wo und wie er sich das Geld schon wieder organisiert hat … weiß der Teufel!« Sie versuchte zu lauschen, aber es war nichts zu hören.

      »Gehen wir hinüber, Ed?«

      »Das wäre falsch.«

      »Wollen Sie die Polizei verständigen?«

      »Wozu?«

      Kate Carson atmete tief und unruhig. Ihr ganzer Körper geriet in Bewegung. »Wir müssen den Augenblick doch nutzen, Ed. Mit ihm sprechen …«

      »Sieht er gut aus?«

      Kate Carson begriff die Ironie nicht. »Ja.«

      »Wir müssen abwarten, mit wem er sprechen will. Soll ich ihn verhaften lassen, weil er wieder heimgekommen ist?«

      »Heim! Zum besoffenen Vater, und im Hause nichts zu essen … Übrigens ist er nach seiner Entlassung schon wieder rumgelungert, und also haben Sie als Richter das Recht … oder die Pflicht …«

      »Jedenfalls nicht die Pflicht, schon im ersten Augenblick alles zu verderben.«

      »Ihre Ruhe, Ed, möchte ich auch einmal haben.«

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