Название: Rattentanz
Автор: Michael Tietz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Edition 211
isbn: 9783937357447
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Die Männer auf der anderen Seite des Talkessels sahen entsetzt zu, wie die mit jeder Sekunde langsamer werdende Maschine immer noch viel zu schnell auf ihr Dorf zuraste. Wie flatternde Wimpel umspielten Flammen die linke Seite des Rumpfes, ehe eine zweite Detonation auch diese Tragfläche abriss und ein weiteres klaffendes Loch im Rumpf der Maschine hinterließ. Passagiere wurden herausgeschleudert. Nur um wenige Meter verfehlte der Airbus das über dem Dorf thronende Windrad.
Der Donner der Explosion wehte wie nahes Geschützfeuer zu Frieder Faust und den anderen, brach sich an den Hängen der umliegenden Hügel und kam schwächer zu ihnen zurück. Fast zeitgleich ging die erste abgerissene Tragfläche hoch. Das Rollen der ersten Explosion noch in den Ohren, sahen die Männer, wie eine schwarze Rauchsäule aufstieg und als gewaltiger Pilz den blauen Maihimmel beschmutzte. Dann schossen Stichflammen aus dem, was einmal eine Tragfläche war. Eine leichte Morgenbrise nahm sich des Rauches an und trieb ihn nach Osten und der Donnerschlag der zweiten Explosion erreichte die Ohren der Männer. Der Rumpf der flügellosen Maschine schlitterte weiter, drehte sich dabei in Längsrichtung um die eigene Achse und das Heck riss ab.
Wellendingen wurde nach Nordosten hin, jene Richtung, aus der die Explosionsgeräusche über den Ort rollten, von einem steil aufsteigenden Höhenzug begrenzt. An seinem Scheitelpunkt ging dieser Höhenzug – das Hardt – in eine hügelige Hochebene über. Das Hardt war ein schmaler Waldsaum, Naturschutzgebiet, mit seltenen Orchideen. Der Torso des Airbusses rutschte, schon träge und faul, mit letzter Kraft darauf zu.
Wie eine weggeworfene Fackel schlitterte der Rumpf über ein bestelltes Feld, pflügte das junge Grün keimenden Getreides unter, und erreichte einen uralten, kleinen Steinbruch. Erschöpft kroch die Nase des Airbusses über die Abbruchkante und kam fast zum Stillstand. Dann neigte sie sich doch nach vorn und stürzte kopfüber in die Grube. Im Todeskampf kreischte und quietschte Metall, als es über den steinigen Grund schlitterte. Dann brachte ein dumpfer Faustschlag die Reste des Flugzeugs zum Stillstand. Salutschüsse imitierend explodierten durch Hitze und den harten Aufschlag die noch unversehrten Fenster und spien winzige Granatsplitter aus.
»Wenn sie jetzt zur Seite kippt, rollt sie genau ins Neubaugebiet.«
Christian Stadler hielt seinen Hut mit beiden Händen, als sei er auf einer Beerdigung. Geistesabwesend knetete er die breite Krempe.
»Genau.«
Aber der lodernde Torso blieb standhaft und mit eingeschlagener Nase an den Berg gelehnt stehen. Von seinen ehemals fast vierzig Metern Gesamtlänge waren nur noch zweiundzwanzig übrig. Diese lehnten jetzt kopfüber im alten Steinbruch und ragten etwa fünfzehn Meter über den Höhenrücken hinaus – ein loderndes Mahnmal, wacklig und Furcht einflößend. Und wenn das Auge weiter nach Nordosten wanderte sah es den breiten Graben, den die schlingernde Maschine in den Boden gefressen hatte, brennende Tragflächen und, wie von Riesenhand achtlos über das Land gesät, Körper und Gepäckstücke.
Der Absturz des Passagierflugzeuges versetzte den Maihimmel zurück in den von Gott gewollten Zustand. Ruhe. Kondensstreifen schwanden und das Jubilieren der Vögel wurde von keinem durchstartenden Triebwerk mehr unterbrochen. Frieder Faust näherte seinen Wagen dem lodernden Wrack bis auf zweihundert Meter. Dann, sie bogen um eine kleine Baumgruppe, spürten die Männer die sie anspringende Hitze und Faust stellte den Motor ab.
»Komm. Ein kleines Stück noch.« Es war Bubi, der drängelte. Er fotografierte wild drauflos und verfluchte innerlich den Geiz seiner Eltern, die ihm nur eine Kamera mit einem unbrauchbaren dreifachen Zoom geschenkt hatten.
Faust schüttelte den Kopf. »Ist zu gefährlich.« Er ließ den Pick-up zur Baumgruppe zurückrollen. Sofort nahm die Hitze ab.
»Kann mir nicht vorstellen, dass das einer überlebt hat.« Mettmüller wischte sich mit dem behaarten Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Faust fragte: »Und wenn doch?« Aber Mettmüller zuckte nur mit den Achseln.
Nach und nach trafen aus dem Dorf immer mehr potenzielle Helfer ein. Und Schaulustige. Und viele waren auch beides. Einem ungeschriebenen Routenplan folgend sammelten sie sich hinter der kleinen Baumgruppe bei Frieder Faust, Mettmüller und den anderen.
Bubi, auf der Jagd nach dem perfekten Bild, hatte die anwachsende Gruppe verlassen. Hinter Bodenwellen und Sträuchern vor der Hitze schutzsuchend, hoffte er, noch näher an das Inferno heranzukommen.
»Das muss die vierte oder fünfte Maschine sein, die hier in der Umgebung vom Himmel gefallen ist. Und wie es aussieht«, der Neue musterte den Himmel, »wie es aussieht, hat irgendwer oder irgendwas ganze Arbeit geleistet.« Denn der Himmel war leer.
Aus einem Kleinbus stieg eine Handvoll Menschen. Es waren Mitarbeiter der Bonndorfer Fleischfabrik. Dort hatten sie alles stehen und liegen gelassen. Unterwegs hatten sie Martin Kiefer aufgelesen. Martin Kiefer war Eva Segers erster Mann. Im Gegensatz zum größten Teil seiner Umwelt war er zutiefst davon überzeugt, dass er das war, was gemeinhin als toller Hecht bezeichnet wurde. Die dunklen Haare hielt er kurz geschoren und er achtete penibel auf die korrekte Länge seines Dreitagebartes, der ihm etwas Abenteuerliches gab, wie er fand. Außerdem kaschierten die Stoppeln sein wachsendes Doppelkinn. Dank seines Vaters und dessen florierender Offsetdruckerei war Geld kein Thema. Kiefer war mittelgroß und sein Körper befand sich gerade in einem Übergangsstadium zwischen kräftig und fett.
Kiefer kam zu Christian Stadler. Etwas abseits spielte der nervös mit seinem Hut.
»Ganz schöner Mist das.«
»Kannst du laut sagen.« Die Freunde, sie hatten die Schulbank und ihre Pausenbrote, später dann oft die Zeche und manches Mädchen miteinander geteilt, begrüßten sich und musterten die Umgebung.
»Wie im Krieg.«
»Blöder Zufall.«
»Zufall? Komm, vergiss es! Ein Absturz – meinetwegen. Zwei, wenn wirklich alles saudumm läuft, aber das hier«, Stadlers ausgestreckter Finger zeigte zuerst auf die Trümmer in der Nähe, die Rauchsäule über der Oberen Alp und schließlich auf den erschreckend menschenleeren Himmel, »das hier ist kein Zufall!«
»Und das ist ja noch nicht alles.« Faust trat heran.
»Wie, noch nicht alles?«, fragte Kiefer.
»Habt ihr noch Strom in Bonndorf?« Kiefer schüttelte den Kopf.
»Und funktionieren eure Telefone, eure Handys?« Kiefer zuckte die Achseln, kramte aber umgehend sein Handy hervor. Er drückte einige Tasten, doch der kleine Kasten ignorierte seine Befehle und lächelte nur milde in sich hinein.
»Siehst du.« Faust wirkte verzweifelt. In einer der riesigen Taschen seiner schwarzen Zimmermannshose fand er seinen Flachmann, nahm einen tiefen Schluck und schüttelte sich.
»Du auch?« Christian Stadler winkte ab, Kiefer griff gierig zu.
»Ich weiß nicht, was hier abgeht«, Faust schraubte, nach einem zweiten Schluck, die Flasche langsam zu, »aber irgendwas läuft hier vollkommen falsch. Flugzeuge stürzen ab, der Strom ist weg, es läuft kein Wasser mehr, Telefone tot – selbst mein Navigationssystem streikt!«
»Vielleicht Terroristen?«
»Terroristen?« СКАЧАТЬ