Rattentanz. Michael Tietz
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Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

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СКАЧАТЬ des dahinjagenden Ungetüms. Und sie ignorieren das monotone Surren und Brummen laufender Düsentriebwerke.

      Erst als ihr Vater sie darauf aufmerksam machte, fiel Sybilla die Stille auf. Und jetzt, da sie die Stille wahrnahm, bekam diese etwas Beängstigendes. Es war nicht nur das Nichtvorhandensein eines Geräusches, es waren die Informationen und Tatsachen, die das Gehirn mit diesem Geräusch verband. Waren das Heulen und Jaulen der Triebwerke zu hören, funktionierten diese, trieben die Maschinen an und rasten ihrem Ziel entgegen. Aber ebenso eindeutig fielen die Schlussfolgerungen aus, wenn die Triebwerke schwiegen.

      4

      07:07 Uhr, Wellendingen

      Susanne Faust versuchte den Schock, den der Flugzeugabsturz zurückgelassen hatte, mit Routine zu bekämpfen. Sie war mit Lea ins Haus zurückgekehrt und hatte das Kind an den Tisch gesetzt. Dann räumte sie die Spülmaschine ein und, als sie den Knopf drückte und nichts passierte, wieder aus. Sie öffnete den Wasserhahn, um das Geschirr vom Frühstück von Hand zu spülen aber aus dem Hahn kam nur ein kurzes, heiseres Fauchen, einige Tropfen Wasser, dann nichts mehr. Susanne starrte den Wasserhahn an. Schließlich packte sie Leas Schulbrote ein und machte sich mit ihr, wider besseres Wissen, auf den Weg in die kleine Dorfschule. Sie ahnte, dass der Unterricht heute ausfallen würde, aber sie hatte Eva versprochen, die Kleine zur Schule zu bringen. Die Dorfschule für die erste und zweite Klasse lag im Zentrum des Ortes, unmittelbar neben dem Geburtshaus von Konstantin Fehrenbach, dem großen Sohn Wellendingens, der in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts für ein paar Monate Reichskanzler sein durfte. Oder musste.

      Im Süden, über der kleinen Hochebene, die »Obere Alp« genannt wurde, dort wo das Flugzeug vor wenigen Augenblicken abgestürzt war, mäanderten Rauchschwaden in den Himmel und wer darauf wartete, dass Sirenen in Wellendingen oder dem nahen Bonndorf Rettungsmannschaften zusammenschrien, der wartete vergebens. Es blieb still.

      Frieder Faust war nach dem ersten Schrecken ebenfalls ins Haus zurückgerannt. Er hatte Bubi noch tief schlafend im Bett vorgefunden und ihm die Decke weggerissen.

      Die Probleme zwischen ihnen hatten begonnen, als der Bengel anfing zu pubertieren, und das war ziemlich spät gewesen. Vor sieben Jahren hatte Bubi die ersten Pickel bekommen sowie jeweils ein dunkles Haar an seinem Kinn und am Ansatz seines damals wie heute unbedeutenden »Ladykillers«, wie er ihn nannte. Damals war er bereits fünfzehn gewesen. Ein Alter, in dem andere ihre Pubertät gerade abschüttelten wie die zu eng gewordene Haut der Kindheit und sich mit stolzgeschwellter Brust langen Zöpfen und knospenden Brüsten zuwandten. Aber nicht Bubi.

      »Komm!«, befahl Faust. »Mach, dass du rauskommst!«

      Bubi, aus dessen Bett es streng nach Schlaf und Masturbation roch, rollte sich wie ein Embryo zusammen. »Das Bewerbungsgespräch ist auf nächste Woche verschoben«, knurrte er verschlafen und tastete mit geschlossenen Augen nach seiner Decke.

      »Vergiss das Bewerbungsgespräch. Auf der Oberen Alp ist ein Flugzeug abgestürzt. Irgendwo zwischen Golfplatz und Mauchen, schätze ich.«

      Bubi war plötzlich hellwach. Es war unschwer zu erkennen, wie der schmächtige Körper sich schlagartig straffte, seine verklebten Augen aufleuchteten und es in seinem Kopf unter den strohblonden, kurzen, dünnen Haaren arbeitete.

      »Zieh dich an. Ich warte im Pick-up.«

      »Ich hole noch schnell meine Kamera.«

      »Kamera?« Faust schien seinen Sohn nicht verstanden zu haben.

      »Wir holen noch ein paar Männer und dann schauen wir, ob wir da oben vielleicht noch jemanden retten können. Du wirst deine Kamera nicht brauchen.«

      »Und ob ich die brauche!« Bubi behielt sein verschwitztes T-Shirt an und sprang in seine Jeans. »Die Bilder, die ich mache, maile ich ans Fernsehen und verkaufe sie. Du sagst doch immer, ich soll endlich selbst Geld verdienen.«

      »Beeil dich«, sagte Faust und ging. Bubi stürzte mit der Digitalkamera in der Hand hinterher und gemeinsam fuhren sie vom Hof.

      Der 23. Mai war ein Mittwoch und die meisten Männer hatten schon vor sieben ihre Häuser verlassen und sich auf den Weg zur Arbeit gemacht. Wellendingen selbst bot gerade noch einem Landwirt, einer Familie, die die alte Mühle betrieb, einem kleinen Bauunternehmen und ein paar Handwerkern genug Einkommen, um davon leben zu können. Die anderen waren in Firmen im drei Kilometer entfernten Bonndorf, in Donaueschingen, Waldshut oder der Schweiz untergekommen. Ein Job in der Schweiz hatte den Vorteil, dass die dort gezahlten Gehälter deutlich über dem deutschen Niveau lagen. Auch Frieder Faust arbeitete oft jenseits der Grenze und er prahlte gern damit, dass sein Haus fast abbezahlt sei.

      Frieder und Bubi fuhren von Haus zu Haus. Wer nicht bereits auf der Straße stand und zu der nahen Rauchsäule hinstarrte, kam auf ihr Hupen hin aus dem Haus. Schnell saßen auf der Ladefläche des Pickups neben Bubi, der den Beifahrersitz für den alten Bernhard Hall freimachen musste, Jürgen Mettmüller, Uwe Sigg und Eugen Nussberger und diskutierten über die Katastrophe. Einen Zusammenhang zum Ausfall von Strom und Telefon hatte noch keiner hergestellt. Bubi ignorierte das Gespräch, so wie die anderen ihn geflissentlich ignorierten. Er kontrollierte die Kameraeinstellungen und prüfte immer wieder den Akku.

      »Ich sage euch, früher oder später musste das mal passieren.« Jürgen Mettmüller beugte sich zu den anderen vor. Der Rothaarige war Mitte vierzig, Förster in den umliegenden Wäldern und Hobbyimker. Seine beiden Söhne studierten in Tübingen und Dresden. »Geht ja gar nicht anders, wenn jeden Tag über unseren Köpfen einige Hundert Vögel ihre Warteschleifen drehen.« Der Luftraum über dem Südschwarzwald diente in der Tat seit einigen Jahren den auf Zürich anfliegenden Maschinen als Einflugschneise. Bei schlechtem Wetter oder hohem Verkehrsaufkommen kreiste oft ein gutes Dutzend Maschinen gleichzeitig in unterschiedlichen Flughöhen. Wie Bussarde warteten sie über Wellendingen auf ihre Landeerlaubnis. »Bin nur gespannt, ob die Schweizer Entschädigung zahlen.«

      »Vergiss es«, winkte Uwe Sigg ab. Sigg, Mitte dreißig und arbeitslos, war klein und untersetzt mit unbändigen blonden Locken. »Die haben ihre Flugbahnen auf deutsches Gebiet verlegt, lassen über uns ihr überflüssiges Kerosin ab, weil sie genau wissen, dass in Stuttgart oder Berlin alle die Schwänze einziehen. Sobald ein Deutscher den Mund aufmacht, heißt es gleich: fremdenfeindlich.«

      »Genau.« Eugen Nussberger nickte und zog an seiner billigen Zigarre. Er inhalierte den Rauch, aber auf halbem Weg wurde dieser von einem seiner berühmten Hustenanfälle mit Nachdruck wieder hinausgeschleudert. »Genau«, röchelte Nussberger noch einmal und spie geübt etwas nicht mehr ganz flüssiges Gelbes auf die Straße. Mit nikotingelben Fingern fuhr er sich durch das grau melierte Haar und nickte. Beides – sein vielsagendes Genau und ein gefährlich brodelnder Husten – waren so ziemlich der komplette Wortschatz des Endfünfzigers, den vor zwei Jahren der Zustand seiner mitgenommenen Lunge in den Vorruhestand geschickt hatte.

      Frieder Faust fuhr die schnurgerade den steilen Berg Richtung Süden aus dem Dorf kletternde Straße hinauf, wobei er abwechselnd sein Handy und das Navigationsgerät verfluchte. Beide Errungenschaften glotzten ihn mit schwarzem Auge an und versagten jegliche Kooperation. Streik.

      Auf der Pritsche des Mitsubishis hielten sich die Männer an den Seitenplanken fest und glichen in einmütiger Choreographie die Bewegungen des Wagens aus.

      Während Uwe Sigg weiter sein Wissen über die Schweizer Mentalität, deren prinzipiellen Egoismus und die Deutschfeindlichkeit aller Schweizer orakelhaft darlegte (Sigg war vor sechs Monaten von seiner damaligen Firma in Schaffhausen fristlos wegen Arbeitsbummelei gekündigt worden), während Nussberger СКАЧАТЬ