Rattentanz. Michael Tietz
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Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

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СКАЧАТЬ finsteres Mittelalter. Aus Hell wurde Dunkel und aus lärmender Geschäftigkeit lähmende Ruhe.

      Unter seinem offenen Fahrerfenster lagen inzwischen fünf Kronkorken und der sechste flog gerade hinterher. Gut, dass er die Bierkiste gestern Abend nicht mehr ausgeladen hatte.

      Frieder hatte von seinem über dem Dorf gelegenen Beobachtungsposten aus zusehen können, wie die Menschen am Abend wieder im Gasthaus zusammenkamen. Ab und zu hatten sich die Lichtkegel eines Scheinwerferpaares durch den Ort geschlängelt. Aber er hatte keine Lust, zu ihnen zu gehen. Er wollte seine Ruhe, seinen gewohnten Alltag. Er wollte nicht in der vordersten Reihe stehen.

      Da unten verschwand das Dorf langsam unter dem schwarzen Tuch der Nacht. Das war seine Heimat. Geburtsort und der Platz in dieser Welt, mit dem all seine Erinnerungen in irgendeiner Weise zu tun hatten. Wellendingen war sein Anfang, war sein Weg und vermutlich würde hier irgendwann auch sein Ende auf ihn warten. Dieser Ort und die Menschen hier hatten aus ihm den gemacht, der er heute war: ein Endvierziger, endlich geachtet und respektiert, Vater eines erwach senen Sohnes (Frieder nahm beim Gedanken an Bubi einen tiefen Zug aus der Flasche), Zimmermann und, wenn ihm nicht bald eine gute Ausrede einfallen würde, auch noch so etwas wie Ortsvorsteher.

      Ortsvorsteher! Führer!

      Blödsinn!

      Morgen wird das große Lachen einsetzen! Alle werden vor ihren Fernsehern sitzen und sie werden miteinander telefonieren und sich halbtot lachen bei der Erinnerung an diesen Albtraum. Sie werden sich an ihren Schreck und die Angst, die sie heute umtreibt, nur noch dunkel erinnern, über ihr mangelndes Gott- und Staatsvertrauen lächeln und sich dafür schämen, dass sie bereit waren, auf einen wie Faust zu hören. Faust und ihr Führer! Ha!

      Er hatte gelernt, sich im Hintergrund zu halten. Es war eine beinahe überlebenswichtige Maxime geworden, die Fausts Kindheit und Jugend geprägt hatte. Denn Unauffälligkeit bedeutete für einen, der nach Kuhstall roch und die abgenähten Kleider seiner älteren Schwestern auftragen musste, dass das Leben einigermaßen erträglich blieb. Unauffällig blieb er auch, als seine Altersgenossen schon längst ein Mädchen nach dem anderen abschleppten – Fausts unbeholfene Bemühungen wurden erst durch Susanne belohnt und sie wurde, selbst unauffällig, bald seine Frau. War das ein Fehler?

      Er öffnete die Tür, stellte die Bierflasche auf dem Armaturenbrett ab und stieg aus, um Wasser zu lassen.

      Die frische Luft und das Stehen machten ihn schwindlig. Nur mit Mühe schaffte er es, einigermaßen ruhig stehen zu bleiben, während er in weitem Bogen Richtung Dorf pinkelte. »Ich piss auf euch, Freunde!«, murmelte er angetrunken. »Ich piss auf euch und darauf, euer Oberguru zu werden!«, und es fiel ihm sichtlich schwer, das Gleichgewicht zu halten. Er hatte sich an diesen angenehmen Zustand gewöhnt, genau wie Susanne und Bubi. Er war dabei nie volltrunken, nein, Faust wuss te genau, wo seine Grenzen waren. Aber diese Grenze schlich sich je des Jahr ein kleines Stück weiter weg. Er brauchte immer noch ein wenig mehr, um diesen Zustand seliger Schwere zu erreichen, ohne den ihm ein Einschlafen am Abend inzwischen kaum noch möglich schien.

      Er sah hinauf zum Himmel, sah die Klarheit des Sternenlichtes, die Milchstraße und, ein winziger leuchtender Punkt nur, der unbeirrt von Süd nach Nord durch das Sternengewirr marschierte, einen Satelliten, vielleicht war es aber auch die vielgerühmte internationale Raumstation. Vor drei Tagen erst war von Baikonur aus eine Trägerrakete mit zwei Russen, einem Franzosen und einem Nigerianer zu den drei Langzeitastronauten der ISS gestartet.

      Faust sah das kleine Licht und hob die Hand zum Gruß. »Arme Schweine.« Dann kletterte er mit offenem Hosenstall zurück in seinen Pick-up und öffnete die nächste Flasche.

      »Prost!«

      30

      22:52 Uhr, Wellendingen, Gasthaus Krone

      Bubi Faust war einer der etwa einhundert Menschen, die noch bis spät in die Nacht im Gasthaus Krone zusammensaßen. Unter der Decke des niedrigen Raumes hingen dicke Rauchschwaden. Der Wirt hatte die Fenster geöffnet. Das Leeren der Aschenbecher hatte er aufgegeben. Berthold Winterhalder hatte genug damit zu tun, flüssigen Nachschub aus dem Keller zu holen. Er machte den Umsatz seines Lebens, einzig sein Vorrat an Kerzen war viel zu gering. Die Frauen und Männer saßen dicht gedrängt und diskutierten die Vorkommnisse dieses Tages. Viele Familien hatten, in der Hoffnung auf eine (warme?) Mahlzeit, den Weg in die Wirtschaft gefunden und viele waren gekommen, nur um nicht allein zu sein. Aber allen gemeinsam war der Wunsch nach Gesprächen mit Freunden und Bekannten, nach den Meinungen der anderen zu diesem Tag. Sie suchten reflektorisch die Gemeinschaft und verließen die gepflegte Einsamkeit ihrer Einfamilienhäuser und Wohnungen.

      »Eines ist sicher«, sagte Martin Kiefer zu Bubi, »wenn der Laden morgen nicht wieder läuft, dann war das heute erst der Anfang.«

      Der alte Georg Sattler, der neben ihnen saß, starrte trotz seiner Zuckerkrankheit in ein Glas Cola. Vom Gespräch der anderen nahm er keine erkennbare Notiz.

      »Wie meinst du das?«, fragte Bubi.

      »Na, der Anfang eben. Wenn wir nicht aufpassen, haben wir bald das totale Chaos. Wird lustig, wenn jeder macht was er will. Keine Aufpasser mehr, keine Polizei, kein Militär. Nur noch der Mensch, sein Wille und seine Kraft.«

      »Du bist doch besoffen, Martin«, sagte der Wirt. Er stellte ein weiteres Bier vor Kiefer ab und fügte den Strichen auf seinem Bierdeckel einen weiteren Strich hinzu. »Solchen Schwachsinn zu erzählen. Bringt doch nichts, auch noch Öl ins Feuer zu gießen. Die Leute bekommen nur Panik.« Und schon kümmerte er sich um die Gäste am Nachbartisch.

      »Der Mensch, sein Wille und …?«, fragte Bubi.

      »Seine Kraft«, vollendete Kiefer und lächelte. »Kraft ist etwas Schönes. Wenn man sie richtig einsetzt, wird aus ihr Macht. Und Macht macht sexy.«

      »Sexy. Du hast vielleicht Probleme.« Bubi nippte an seinem Wasser. »Ganz schöner Mist das Ganze.«

      »Geht so.«

      »Geht so?« Bubi verdrehte die Augen. »He, weißt du eigentlich, dass ich heute die Bilder meines Lebens geschossen habe? Und – kann ich was mit ihnen anfangen? Kann ich sie verkaufen, an irgendeinen gierigen Fernsehsender verkaufen? Morgen ist die ganze Arbeit wahrscheinlich wertlos! Morgen haben die bestimmt ihre eigenen Reporter überall hingeschickt, morgen ist mein ganzer Dreck nicht mehr aktuell – Schnee von gestern.«

      »Gut möglich.«

      »Soll ich dir mal was sagen, Martin? Ich dachte ein paar Stunden wirklich, das wäre meine Chance aus diesem Nest hier rauszukommen!« Bubi kratzte sich hinterm Ohr. »Weißt du, ich hab echt keinen Bock so zu enden wie mein Alter! Den ganzen Tag buckeln und dann, mit sechzig, wenn du Glück hast, machst du den Schirm zu und fertig. Das war’s.«

      Kiefer lächelte und nickte.

      Die Tür wurde aufgerissen und Christoph Eisele kam herein.

      »Oh, unser Beerdigungsunternehmer kommt!« Uwe Sigg, der, seit sie den Bagger bei Wünsche abgeholt hatten, eine Zeitlang unauffindbar gewesen war, prostete Eisele zu. »Komm her, Mann, ich geb dir einen aus!«

      »Eine Dusche wäre mir lieber! Läuft denn bei niemandem mehr Wasser?«

      »Geh an den Bach. Der läuft noch!«

      »Oder warte, bis es regnet.«

      Bubi СКАЧАТЬ