Название: Rattentanz
Автор: Michael Tietz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Edition 211
isbn: 9783937357447
isbn:
Eva duckte sich hinter dem Herd als sie Ritters Stimme hörte.
»Spinnst du, wir brauchen sie lebend, du Idiot!« Er riss Mehmet die MP weg und stieß ihn aus dem kleinen Raum.
»Los, fangt sie!«
Dass er nicht schon früher draufgekommen war, ärgerte er sich. Wo sonst, wenn nicht auf einer Intensivstation, würde es Schmerzmittel geben!
Mehmet durchquerte mit einigen kräftigen Sprüngen die wenigen Meter bis zum Herd. Eva schüttelte ihre Überraschung und das Entsetzen endlich ab, rannte zum Ausgang, während Mehmet über die Arbeitsfläche der Küche setzte. Er kam genau in der von ihm auf dem Boden verursachten Schweinerei an, rutschte aus und landete weich auf dem Koch.
»Idiot!«, zischte Fuchs, der mit wehendem Mantel an ihm vorbeirannte.
Eva eilte durch den dunklen Gang, nahm die Abkürzung an den Aufzügen vorbei ins Treppenhaus. Sie sah nicht mehr zurück. Mit wenigen Schritten rannte sie zwei Etagen empor und an einem Mann im Bademantel vorbei, der rauchend im Wartebereich stand und die Asche seiner Zigarette genüsslich auf den Boden streute.
»Schwester, mein Urinbeutel ist voll!«, rief er ihr mit erhobenem Arm hinterher.
Eva rannte den fast dreißig Meter langen Flur zu ihrer Station, riss die erste der Türen auf und stand vor dem Eingang zum Aufwachraum. Aufwachraum, dachte sie, Einschlafraum wäre treffender! Sie sah sich um. Sie musste diese Tür irgendwie verriegeln, musste die drei Verrückten daran hindern, hier einzudringen! Die Tür öffnete nach innen. Wenn sie nur irgendetwas so davorlegen könnte … Ihr Blick fiel auf die Betten mit den Toten. Ohne langes Überlegen schnappte sie das erstbeste Krankenbett und rollte es quer vor die Flügeltür. Dann arretierte sie die Bremsen.
Aber wenn sie die Scheiben einschlagen, kann einer von ihnen hereinklettern.
Sie rannte zurück in den Aufwachraum und sah sich um. Aber die Regale und Schränke, die als Barrikade infrage kämen, waren fest eingebaut. Einige Stühle und Hocker standen herum, sonst nichts.
Fast nichts!
Ohne weiter nachzudenken bückte sie sich und packte die Leiche einer alten Frau an den Armen. Die Frau war schwerer als Eva vermutet hatte. Sie war schon fast kalt und als Eva sie auf die Bettbarrikade stemmte, schlugen ihre Arme wie Pendel gegen Evas Beine. Aber Eva wusste, dass dies ihre einzige Chance war. Sie musste sich verbarrikadieren, quasi mit Leichen einmauern, um die Verrückten fernzuhalten. Sie musste das Kind retten, sich retten. Hans weiß doch noch gar nichts von dem Baby!
Ihr war schwindelig – vor Hunger, vor Anstrengung, wegen des Kindes in ihr. Aber sie ging zurück und zerrte einen Mann mit offener Operationswunde aus seinem Bett und über den glatten Boden zur Tür. Leiche um Leiche zerrte sie durch den Raum. Weiter und immer noch eine. Evas Arme schmerzten und ihr rann der Schweiß vom Körper und ihr Geruch vermischte sich mit dem Geruch von Erdbeercreme und Tod und Blut.
26
21:32 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen
Fuchs und Mehmet hatten den deutlich längeren Weg durch den Speisesaal genommen. Auch sie waren die Treppen hinaufgerannt und als sie den Raucher trafen und ihn fragten, wo die Schwester hin wäre, begann dieser, über seinen vollen Urinbeutel zu schimpfen und dass er nie wieder in diese Klinik gehen würde. Mehmet rannte einfach auf gut Glück einen (falschen) Flur entlang, Fuchs folgte ihm, als Ritter den Wartebereich erreichte.
»Hier entlang, ihr Idioten!« Ritter humpelte auf Evas Versteck zu. Als er, Fuchs und Mehmet fast gleichzeitig die Tür erreichten, schraken sie zurück: durch die Milchglasscheiben hindurch grinsten sie die Grimassen der Toten an.
Eva brachte auf der anderen Seite der dünnen Tür eine weitere Tote und zerrte sie auf den Leichenberg. Da hörte sie, wie durch einen Vorhang gedämpft, die Stimme des kleinen Türken.
»Die spinnt, die Tussi, die hat sie nicht alle!« Seine Stimme überschlug sich. »Die hat sich mit Toten verbarrikadiert!«
»Gut beobachtet«, lobte Ritter und humpelte einen Schritt zurück. »Komm, du schießt doch so gern.« Er hielt Mehmet die MP hin.
Der riss ihm die Waffe aus der Hand und begann unmittelbar zu ballern. Die ersten Projektile bohrten sich in die Decke, die nächsten holten große Stücke Putz von den Wänden, bevor Mehmet endlich die Tür traf. Zwei Kugeln fanden ihr Ziel, eine davon zerbeulte nur den Türrahmen, die zweite traf die rechte Scheibe. Sie durchschlug sie und dünne Risse mäanderten wie feine Äderchen nach allen Richtungen. Dann gab die Waffe nur noch hohles Klicken von sich.
»Verdammter Dreck!«, schrie Mehmet und warf die MP zu Boden.
»Leer?«, fragte Fuchs süffisant.
»Ja, Mann, siehst du doch!«
»Und die restliche Munition liegt im Wagen. Und mit dem sind Mario und Alex sicher längst über alle Berge.«
»Und wo ist meine Bullenpistole?«, fragt Mehmet.
»Die liegt unten in der Küche auf dem Tisch!«, sagte Ritter.
Mehmet rannte wie ein Verrückter den dunklen Flur zurück. Als er ins Treppenhaus einbog und die ersten sieben Stufen in einem Satz nahm, kam ihm ein Mann entgegen, den er zuerst nicht erkannte, wegen der Dunkelheit und der privaten Kleidung, die der jetzt trug. Es war der Mann, den Ritter jagte!
Vor ihm stand Joachim Beck, der Bulle!
Beck war mindestens genauso überrascht wie der kleine Türke. Beide blieben wie angewurzelt stehen. Sie taxierten sich in dem spärlichen Restlicht, das noch durch die hohen Fenster ins Treppenhaus sickerte. Keiner sagte ein Wort, keiner bewegte sich. Mehmet, fünf Stufen oberhalb von Beck, hatte den Vorteil eines Angriffes von oben auf seiner Seite, während Beck dem Teenager an Kraft und Kampftechnik überlegen war. Also stand es unentschieden.
Beck war am Nachmittag wie betäubt durch Donaueschingen getorkelt, benommen von der Todesangst, die er neben der Leiche hatte ausstehen müssen. Wäre diese Krankenschwester nicht gewesen, Ritter hätte ihn sicher erlegt wie ein kränkelndes Stück Wild.
Er war an geplünderten Banken vorbeigekommen und an Supermärkten, aus denen biedere Rentner bergeweise Toilettenpapier schleppten und Kinder sich hemmungslos an der Seite ihrer Eltern bedienten. Ein Mann, der Kleidung nach Handwerker, montierte in einem Geschäft in aller Seelenruhe das gesamte Regalsystem ab und verstaute es in seinem Kleinbus. Vom Eigentümer oder Geschäftsführer war weit und breit nichts zu sehen. Joachim Beck taumelte weiter, vorbei an der Stadtkirche, in die Menschen strömten, um zu beten. Sie zündeten Kerzen an, die die Chancen ihrer Gebete eine Etage weiter oben verbessern sollten.
Das Fürstlich Fürstenbergische Schloss glich einem Selbstbedienungsladen. Vor dem Portal parkten Kleinlaster und Pkw mit Anhänger und immer mehr Menschen kamen, durchsuchten die prunkvollen Säle und Aufgänge und nahmen mit, was ihnen brauchbar oder wertvoll erschien. Oder einfach nur schön.
Beck war sich der geänderten Zeiten und auch seiner Ohnmacht durchaus bewusst. Er ignorierte das Chaos und die Gesetzesübertretungen, die an diesem СКАЧАТЬ