Rattentanz. Michael Tietz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Rattentanz - Michael Tietz страница 33

Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

isbn:

СКАЧАТЬ Bänke – hellblau und mit abwaschbarem Stoff bezogen. Beck schloss die Augen. Das monotone Klappern, das von den Stricknadeln der alten Frau kam, beruhigte ihn etwas. Sein Kopf dröhn te wie ein leerer Kochtopf, der über den Steinboden in der Küche rollt. Ob die Nase wohl wieder gerade würde? Er betastete den geschwollenen Klumpen mitten in seinem Gesicht und das blutunterlaufene Auge. Selbst mit Hilfe der Finger war es nicht möglich, die Lider so weit auseinander zu drücken, dass er hätte sehen können. Salms Krawatte hatte sich dunkel verfärbt, aber die Wunden bluteten nicht weiter.

      Als er vor fünf Jahren aus der Nähe von Stuttgart nach Donaueschingen kam, war Joachim Beck dreiundzwanzig. Er war allein und, wie ihm beim Anblick all der Menschen um ihn herum bewusst wur de, auch bis heute allein geblieben. Es gab hier niemanden, um den er sich Sorgen machte, keinen, der sich um ihn sorgte. Eigentlich schade. Und erleichternd! Er wohnte am anderen Ende der Stadt, in einer kleinen Dreizimmerwohnung unterm Dach. Außer einer günstigen Miete hatte die Wohnung den Vorteil, dass er von seiner erhöhten Position aus am Abend einer Frau im Nachbarhaus beim Ausziehen zusehen konnte. Wenn sie ihn ließ! Denn manchmal, so kam es ihm vor, flanierte sie zuerst absichtlich vor dem Fenster ihres hell erleuchteten Schlafzimmers, um dann, wenn sie gerade dabei war die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, mit sadistischer Freude die Vorhänge langsam zuzuziehen. Sie erinnerte ihn an Manuela, seine Schwester.

      Wieso war heute alles so völlig danebengelaufen? Beck dachte an Wegmann, di Sario und Meinhoff. Waren sie tot? So wie Storm? Und was war aus den anderen geworden? Interessierte es jemanden? Beck schüttelte (in Gedanken) den Kopf. Nein. Im Moment beschränkten sich die Interessen der Menschen nur noch auf das, was ihnen wirklich wichtig war. Und das waren in der Regel die Partner, Kinder und Eltern und man selbst. Wer würde da nach ein paar Polizisten fragen?

      Vom Treppenhaus drang Lärm herüber. Männerstimmen.

      »Du solltest zu einem Doktor gehen, Jungchen.« Die hohe, aber trotzdem angenehme Stimme der Alten tanzte im Singsang der Russlanddeutschen. »Deine Gesicht sieht nicht gesund aus.« Ihre Brille saß auf der rundlichen Nasenspitze. Sie blinzelte ihn kurz über die schmale Fassung hinweg an.

      Richtig! Dr. Stiller.

      »Ja. Danke.« Er stand mühsam auf und schenkte der alten Frau ein Lächeln.

      »Wird bestimmt wieder gut, deine Gesicht!«, lächelte sie zurück und kümmerte sich wieder um die wirklich wichtigen Dinge.

      Die Intensivstation, auf der Dr. Stiller hoffentlich arbeitete, befand sich am Ende eines schmalen Flurs. Unterwegs passierte Beck den Eingang zu den Operationssälen, die alle auf Hochtouren liefen. Beck war gerade dabei, die zweiflügelige Milchglastür zur Station aufzuwuchten, als er hinter sich Schreie hörte. Beck drehte sich um und konnte gerade noch erkennen, wie der Bodybuilder, den er im Hinterhof des Reviers glaubte abgehängt zu haben, in den Wartebereich humpelte, gefolgt von drei oder vier Männern. Die meisten von ihnen um die zwanzig oder wenig darüber. Sie lachten, während Besucher und Patienten schrien und versuchten, das Treppenhaus zu erreichen oder in die Stationsflure zurückzuweichen.

      Da erkannte Beck den Jungen, der ihm in der Sparkasse seine Waffe entrissen und dann auf ihn geschossen hatte. Der Junge fuchtelte mit einer Pistole in der Luft rum. Dann zeigte einer der anderen Männer in seine Richtung!

      Daniel Ritter hatte die Ärztin in der Ambulanz mit körperlicher Präsenz gebeten, ihm die Scherbe aus dem Oberschenkel zu entfernen. Seine Begleiter räumten derweil eine der Kabinen und trugen die Frau, die mit gebrochenem Bein auf der Liege lag, in den Flur. Nach der regelrechten Hinrichtung Storms vor dem Polizeirevier hatte dort einen Moment Stille geherrscht. Die Steinewerfer, vielleicht dreißig Jugendliche, starrten auf Ritter und den durchlöcherten Polizisten zu seinen Füßen. Das war etwas anderes, als sich in der Rolle des Schlächters durch ein Videospiel zu ballern! Das war keiner der blutrünstigen Filme, die nach Mitternacht liefen (Achtung! Diese Sendung ist für Zuschauer unter sechzehn Jahren nicht geeignet!)! Das hier war die Wirklichkeit! Es war real, fand statt und der Mann da auf dem Gehweg war tatsächlich tot! TOT!

      Ritter hatte in die Runde geschaut. He, er war der Held!

      »Was glotzt ihr so? War doch bloß ’n Bulle!«

      Einige traten den Rückzug an, es reichte! In jeder Hand noch einen Stein, war ein Junge mit im Schritt nasser Hose in einem Hauseingang verschwunden, während eine Siebzehnjährige mitten auf der Straße zusammenbrach und hysterisch zu weinen begann. Der Junge mit dem südländischen Aussehen kam auf Ritter zu und hielt ihm Becks leer geschossene Heckler & Koch P7 hin. »Gibt’s da drin frische Munition?« Seine brüchige Stimme holperte noch unentschlossen zwischen Kindheit und Erwachsensein hin und her.

      »Klar, Mann.« Er hatte ihn MANN genannt! »Da ist ’n ganzer Schrank voll!«

      Mehmet grinste, war dann über Storm hinweggestiegen und an Ritter vorbei ins Revier gegangen.

      »Los, kommt rein. Ist alles da, was wir brauchen!«

      Das Mädchen schlug wild um sich und schrie: »Mörder! Ihr seid alle Mörder!« Sie wurde von vier Teenagern weggebracht. Sie wehrte sich, versuchte sich zu befreien und schrie: »Die kriegen euch! Euch alle kriegen sie!«

      Aber Ritter lachte nur und warf ihr eine Kusshand zu.

      »Oder willst du lieber …?« Dabei hatte er obszön mit der geschlossenen Hand den Lauf seiner Maschinenpistole gerieben. Drei lachten über Ritters guten Witz, dann folgten sie ihm und Mehmet ins Revier, um sich zu bewaffnen. Jeder Einzelne der fünf war bereits einmal Gast in diesem Raum gewesen.

      Mehmet, in Donaueschingen geborener Sohn türkischer Einwanderer, hatte man mit neun Jahren erstmals festgenommen. Wegen zweier Kaugummis. Sein Vater hatte ihn windelweich geprügelt. Bei den folgenden Diebstählen beteiligte er seinen alten Herrn an der Beute. Mal brachte er ihm eine Flasche Schnaps mit − die der brave Moslem natürlich nicht anrührte, sondern an einen Penner verkaufte −, mal fiel ein Hemd oder ein Paar Wischerblätter ab. Zuletzt brach er Autos auf und räumte aus, was sich irgendwie verkaufen ließ oder er passte die Kleinen hinter der Schule ab und erleichterte sie um ihr Taschengeld. Davon hatte er seinem Vater nichts abgegeben.

      Mehmet, fast fünfzehn, wirkte trotz des dunklen Flaums über seiner Oberlippe jünger. Er war klein und zierlich und hatte die schulterlangen, pechschwarzen Haare dick eingegelt und straff zusammengebunden.

      Hermann Fuchs war ebenfalls in der Sparkasse mit dabei gewesen. In der Innentasche seines weiten Mantels trug der bisherige Sozialhilfeempfänger zwanzigtausend Euro in einem dicken Geldbündel. Der Start in ein neues Leben! Er konnte seine Verhaftungen wegen Trunkenheit oder Erregung öffentlichen Ärgernisses, vor allem aber die Nächte in der Ausnüchterungszelle des Reviers, nicht mehr zählen.

      Mario, neunzehn, und Alex, zweiundzwanzig, waren Brüder, aufgewachsen bei ihrer Mutter, die machte, was ihre Söhne wollten, seit Alex ihr vor neun Jahren sein Taschenmesser an die Kehle gesetzt hatte und darauf hin dann auch das erbetene Geld fürs Kino bekam. Sie waren mehr oder weniger zufällig zum Revier gekommen, angelockt vom Geschrei der Menschen.

      »Du blutest, Alter.« Mario hatte sich eine Maschinenpistole über die Schulter geworfen, drei volle Magazine in die Hose gesteckt und dabei auf Ritters Bein gezeigt.

      »Weiß ich, Mann. War der Scheißbulle, der abgehauen ist.«

      Mario zuckte die Schultern. »Solltest vielleicht ins Krankenhaus, oder?«

      Die anderen, inzwischen ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet, standen im Halbkreis um ihren Helden herum und nickten.

      Zwei СКАЧАТЬ