Rattentanz. Michael Tietz
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Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

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СКАЧАТЬ so viel melodramatischen Sülz erzählen? Die Stimme von Nummer drei war eine Mischung aus Abscheu und Langeweile.

      Du verstehst nichts davon!, rügte Nummer zwei. Und, ehrlich hingerissen: Ich fand schön, was er gesagt hat. Ach, richtig schön. Donnerschläge krachten plötzlich aus unmittelbarer Nähe über Tho mas herein.

      Eine Stimme rief: »Hallo? Ist jemand da drin?«

      Dann erneutes Klopfen, laut, aufdringlich, gefährlich.

       Er hat uns gefunden, gefunden, gefunden!!!

       Vielleicht sind das unsere Retter? Vielleicht aber auch nicht. Hätten wir die Treppe genommen, wie ich gesagt habe, dann …

      Komm, Tommy, hihi, rufe, so laut du nur kannst! Sag ihnen, dass wir hier auf unser Ende warten! Los, Tommy, los! Rufe. Los, ruf doch endlich!

       Nein! Bleib, wo du bist, sonst bringst du uns alle in Gefahr!

       Denk an deine Kraft! Nur du kannst dich retten, nur du kannst deine Kraft finden und entfalten!

      Jetzt ruf doch! Biiiitte!

      »Halleluja, wenigstens einer, den wir nicht ruinieren müssen!«, rief da eine Männerstimme. Es folgte ein Klatschen gegen die Kabinentür, dann entfernten sich Schritte.

      Thomas blieb lange sitzen. Er zitterte und sein Puls raste durch seinen Körper. Er hielt sich weiter die Fäuste an die Ohren und erwartete jeden Moment neue Donnerschläge, neues Weinen, Schreie, Hilferufe und quietschendes Metall.

      Aber diesmal hielt die Stille an, war es eine ehrliche Ruhe, wenn es die denn gibt. Aber, da es eine trügerische Ruhe gab, musste Ruhe auch ehrlich sein können. So, wie diese Ruhe.

      Nach Sekunden, Minuten oder nach Stunden, er hatte jegliches Zeit gefühl in der Dunkelheit verloren, kehrte sein Leben zu ihm zurück. Und mit ihm Hunger. Und Durst. Quälender, brennender Durst!

      11

      10:21 Uhr, Krankenhaus Donaueschingen, Haupteingang

      Der geräumige Eingangsbereich der Klinik hatte sich währenddessen in eine Hexenküche verwandelt. Immer mehr Leicht- und Schwerverletzte kamen aus der Stadt und der nahen Umgebung. Es kamen Patienten, die sich bei dem Versuch, die offensichtlich defekten Wasser- und Stromanschlüsse zu reparieren, verletzt hatten, Menschen, denen der abrupte Verlust ihrer gewohnten Lebensumstände (kein Radio, kein Fernsehen, keine Telefon- und Internetverbindungen, keine funktionierende Kaffeemaschine, keine Mikrowelle, kein Licht) der maßen zusetzte, dass sie von Angehörigen mit Herzrasen oder Atemnot eingeliefert wurden. Bei der Mehrzahl der Kranken handelte es sich allerdings um Unfallopfer.

      Ausgefallene Ampelanlagen waren zwar die einzige direkte Auswirkung des nunmehr schon dreistündigen Stromausfalls, jedoch führten Verunsicherung und Angst dazu, dass Verkehrsregeln plötzlich nicht mehr anerkannt wurden, die Autofahrer unkonzentriert fuh ren oder aber ein Verhalten zeigten, das ihnen im Normalfall völlig fremd gewesen wäre. Die sich schnell herumsprechende Nachricht von den abgestürzten Flugzeugen tat ein Übriges, um aus Ordnung Chaos und aus dem antrainierten Miteinander einer funktionierenden Gesellschaft ein egoistisches Gegeneinander zu machen.

      Der große Wartebereich am Haupteingang hatte sich mit Leichtverletzten, vor allem aber mit Angehörigen gefüllt, die sich aus Sorge um ihre Kranken und abgeschnitten von jeder Kommunikationsmöglichkeit auf den Weg gemacht hatten, in der Klinik nach ihrem Mann, der Frau, einem Elternteil oder Kind zu sehen. Erschienen zuerst nur wenige Menschen, so strömten jetzt immer mehr in das Haus, wie von einem unsichtbaren Magneten angezogen. Als nun das Stimmen gewirr immer lauter und ungeduldiger wurde, sah sich der Klinikleiter genötigt einzugreifen. Verwaltungsleiter Tröndle stieg auf einen niedrigen Tisch, von dem man eilig die Blumenkübel geräumt hatte, und versuchte Ordnung in das zunehmende Chaos zu bringen. Obwohl er nach mittlerweile fünfzehn Jahren in verschiedenen leitenden Positionen gewohnt war, vor größeren Menschenansammlungen zu sprechen, kam er sich doch seltsam vor. Er war mittelgroß, schlank und die grauen Haare, die der Endvierziger vermehrt bei sich entdeckte, hatte er letztens tönen lassen. Wie immer trug Tröndle einen tadellos sitzenden dunklen Anzug. Nur die grellgelbe Krawatte, von seiner Frau ausgesucht, wirkte dem Ernst der Lage nicht angemessen.

      »Hören Sie!«, probierte er, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. »Hören Sie bitte! Wir haben alles im Griff!« Die Gespräche verstummten. »Ihren Angehörigen geht es gut. Der Klinikbetrieb läuft dank unserer Notstromaggregate reibungslos weiter. Auch die Versorgung unserer Kranken ist gesichert.« Das Pochen in seinen Schläfen ließ nach. Allmählich fühlte er sich wieder Herr der Lage. »Im Haus befinden sich Medikamente und Nahrung, die, sollte nicht bald alles wieder beim Alten sein, mehrere Tage reichen werden. Bitte«, er zeigte auf vier im Hintergrund stehende Krankenschwestern, »bitte, wenn Sie Angehörige besuchen wollen, wenden Sie sich an die Schwes tern. Kranke oder Verletzte warten bitte hier. Wie Sie sehen«, Tröndles Blick wanderte durch den Raum, dann hatte er gefunden, wonach er suchte, »wie Sie sehen, kümmern sich hier zwei unserer erfahrenen Ärzte um die leichter Verletzten und sorgen für eine schnelle Aufnahme Schwerverletzter.« Aus den Reihen der Wartenden antwortete unzufriedenes Murmeln.

      »Haben Sie auch Wasser?«, wollte eine junge Frau wissen, die mit ihrer kleinen Tochter an der Hand darauf wartete, dass man sie zu ih rem gestern am Blinddarm operierten Mann ließ.

      Wasser – das bedeutete, dessen war sich der Klinikleiter bewusst, das wirkliche Problem in der momentanen Situation. Im Wirtschaftshof der Klinik befand sich zwar noch ein Vorrat von etwa fünfhundert Flaschen Mineralwasser, womit man die etwa einhundertachtzig Patienten des Hauses sicher zwei, drei Tage mit dem notwendigen Minimum an Flüssigkeit versorgen konnte. Aber was war mit den Toiletten? Diese waren jetzt schon ein Problem, da die Patienten sie zwar weiterhin benutzten, aber nicht mehr spülen konnten. Aus dem zweiten Stock wurden bisher vier, aus dem ersten zwei verstopfte Toiletten gemeldet und überall ekelten sich Patienten davor, den Exkremen ten des vorigen Benutzers die eigenen Ausscheidungen hinzuzufügen.

      »Die Versorgung unserer Patienten mit ausreichend Flüssigkeit ist kein Problem!«, antwortete Tröndle. »Fließend Wasser haben zwar auch wir nicht, aber ich denke, dass sich die Situation bald wieder normalisieren wird und …«

      »Wissen Sie, was überhaupt los ist?«, wurde er unterbrochen. Er war dem Fragesteller fast dankbar. »Wissen Sie, warum nichts mehr funktioniert? Und stimmt das, was man erzählt – das mit den Flugzeugen?« Die Fragen kamen von einem älteren Mann mit verbundener Hand. Seine tiefe Schnittwunde am linken Zeigefinger, die er sich gegen acht Uhr bei dem vergeblichen Versuch zugezogen hatte, nach Großvätersitte eine Scheibe Brot abzuschneiden, hatte man gerade genäht.

      »Ja«, antwortete Tröndle »das mit den Flugzeugen scheint wahr zu sein. Es sind inzwischen zwei Überlebende schwer verletzt eingeliefert worden, deren Maschine bei Blumberg zerschellte. Sie werden gerade operiert. Und auf Ihre andere Frage: nein, wir wissen nicht, was los ist. Wir wissen leider auch nicht mehr als Sie. Es tut mir leid.« Er klang hilflos.

      In diesem Moment hörten alle einen gellenden Schrei. Das Gemur mel der vielen erstarb schlagartig und man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können.

      Dann ein zweiter Schrei, länger anhaltend, der in haltloses Schluchzen überging und schnell näher kam.

      Tröndle, noch immer auf seiner erhöhten Position, sah fragend zu einem Mann aus der Finanzabteilung seiner Klinik, der am Ausgang zum Treppenhaus stand. Der zuckte nur die Schultern, als von den Las tenaufzügen СКАЧАТЬ