Rattentanz. Michael Tietz
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Название: Rattentanz

Автор: Michael Tietz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Edition 211

isbn: 9783937357447

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СКАЧАТЬ nahm Herrn Banholzer, als die Flasche schon geraume Zeit leer war, die nun nutzlose Sauerstoffmaske ab. Bis zu diesem Moment hatte der Patient gleichmäßig und ruhig geatmet, war seine Haut rosig und die faden Witze, die er ununterbrochen riss, nicht besser oder schlechter als sonst. Im Schein einer kleinen Taschenlampe, die sich am Schlüsselbund der Krankenschwes ter befand, erzählte er Anekdoten aus seinem Leben, riss zweideutige Witze und freute sich, wenn die Schwester dabei rote Wangen bekam. Als ihm aber die Schwester die Sauerstoffmaske abnahm, verwandelte sich sein Zustand innerhalb von Sekunden. Keinen Sauerstoff zur Verfügung zu haben war für ihn gleichbedeutend mit Atemnot, was sein Unterbewusstsein auch innerhalb weniger Sekunden umsetzte. Banholzer hechelte unvermittelt wie ein abgehetzter Hund. Das führte dazu, dass sein Blut nun tatsächlich mit weniger Sauerstoff versorgt wurde als der Einhundertsechzig-Kilo-Mann benötigte. Seine Herzfrequenz schnellte in die Höhe und der Blutdruck stieg in gefährliche Regionen.

      Die Schwester, selbst ängstlich und mit der Situation völlig überfordert, versuchte ihren Patienten durch ruhiges Zureden zu beruhigen: »Sie müssen tief durchatmen. Irgendwann wird jemand den Fahrstuhl öffnen und dann bekommen Sie auch wieder besser Luft.« Doch damit hatte sie nur noch mehr Nahrung in Banholzers lustig knattern des Panikfeuerwerk geworfen! Plötzlich wurden ihm die Enge der Kabine und die Dunkelheit bewusst. Seine weit aufgerissenen Augen suchten die Decke nach Lüftungsschlitzen ab. Wieder und wieder versuchte die Schwester, über den Notrufapparat Hilfe zu erreichen, aber das andere Ende der Leitung blieb stumm und Banholzers hochroter Kopf verfärbte sich zügig blau. Die Krankenschwester schrie und hämmerte gegen die Metalltür. Sie brach sich mehrere Fingernägel bei dem vergeblichen Versuch ab, die Tür mit den Händen zu öffnen.

      Der nun tatsächlich eingetretene Sauerstoffmangel versetzte Banholzer in Todesangst. Er griff sich an den wulstigen Hals, als könne er so mehr Luft in seine Lungen hineinlassen, sein Japsen wurde schneller und flacher. Dann setzte er sich kerzengerade im Bett auf, ließ links und rechts seine Beine heraushängen und versuchte etwas zu sagen. Was er der Welt noch hatte mitteilen wollen, erfuhr niemand mehr. Um 8:53 Uhr verschied der Hypochonder Anton Banholzer aus Vöhrenbach an einem akuten Herzinfarkt in Aufzug fünf.

      Die sofort und äußerst unprofessionell ausgeführten Wiederbelebungsversuche der ihn begleitenden Krankenschwester blieben vergebens. Als die Techniker auch diesen Aufzug gegen Viertel vor zehn endlich so weit geöffnet hatten, dass ein Mensch den schmalen Spalt passieren konnte, vermochte der Arzt, der bereits seit zehn Minuten wartete, nur noch den Tod des Patienten festzustellen. Der Arzt und die in Tränen aufgelöste Schwester verließen den Fahrstuhl, während für die Leiche Anton Banholzers aufgrund seines Gewichts und seiner Größe die halb offene Tür ein unpassierbares Hindernis darstellte und er bis auf Weiteres in seinem Bett sitzen bleiben musste.

      Langsam entspannten sich die Gesichtszüge des Hypochonders.

      Beim dritten der zum Zeitpunkt des Stromausfalls in Bewegung befindlichen Fahrstühle handelte es sich um einen der kleinen Personenaufzüge. Er hing offenbar zwischen Keller und Erdgeschoss fest. Aus dem Kabineninneren waren keine Lebenszeichen zu vernehmen, auch gab es auf die Rufe und das Klopfen der Techniker keine Reaktionen.

      »Halleluja, wenigstens einer, den wir nicht ruinieren müssen!«, rief einer der Männer und schlug fast zärtlich mit der flachen Hand gegen die fest verschlossene Schiebetür. Und, im Weggehen: »Ich glaub’, irgendjemand würde uns die Köpfe abreißen, wenn wir den auch noch ruiniert hätten.«

      »Möchte nicht wissen, was so ’ne Tür kostet.« Sein Kollege zuckte unwissend mit den Achseln und wuchtete die schwere Brechstange auf seine Schulter.

      Thomas Bachmann kauerte in der hintersten Ecke seiner Kabine. Er presste noch immer beide Fäuste gegen seine Ohren, obwohl das hysterische Weinen der Frau und ihre Hilferufe längst verklungen waren. Ebenso dieses grauenvolle Röcheln und Keuchen. Nummer zwei hatte gewusst, woher diese Stimmen kamen! Es ist der Tod, Thomas! Er kriecht durch die Aufzugsschächte und verschlingt alle, die sich zu erkennen geben!

      Ach, könnte er mich doch hören, der Toooood!, jammerte Nummer drei. Hihihi, du − lieber, kleiner Onkel Tod, / ich wünsche mir, ich wär’ dein Brot! / Und jetzt beende unsre Qual, / denn heute, da sind wir dein Mahl!, dichtete er mit mäßigem Talent.

      Zuerst waren da die beiden Stimmen. Fremde Stimmen, die nicht aus seinem Kopf zu ihm sprachen, sondern sich aus einer undefinierbaren Ferne leise Gehör verschafften. Thomas wusste nicht, ob die Stimmen von Anfang an hier waren oder ob sie erst später einsetzten. Als er sie schließlich bewusst wahrnahm, versuchte er sie zu verstehen, legte das Ohr an verschiedene Stellen der Kabinenwände und lauschte, aber die Stimmen blieben fern und unverständlich und so verlegte er sich schließlich aufs Zuhören. Irgendwann aber verstumm te die eine, die männliche Stimme. Oder verwandelte sie sich? Aus Worten wurde Keuchen, aus Sätzen Röcheln!

      Hörst du die Stimme des Todes?, flüsterte Nummer drei. Hörst du, wie er sich durch die Gedärme des sterbenden Krankenhauses quält? Er kicherte. Es ist der Toood! Er kommt, uns zu holen, hihi. Endlich hat er uns gefunden …

      Sei still!, fuhr Nummer zwei dazwischen. Sie hatte Angst. Vielleicht, wenn wir uns ganz leise verhalten, übersieht er uns und geht zu den anderen. Hier ist genug Siechtum und Tod, genügend Fäulnis, die ihn an locken sollte. Sei still, und er wird uns nicht finden.

      Thomas befolgte den Rat und verkroch sich in eine der hinteren Ecken der Kabine. Er verhielt sich still und versuchte sich klein und unsichtbar zu machen. Dann kamen ihre Schreie, ihre Rufe nach Hilfe! Und das Röcheln erstarb. Jetzt hat der Tod etwas gefunden, hihihi. Ein leckeres kleines Frühstück vielleicht. Klingen ihre Hilferufe nicht wundervoll? So viel Angst, so viel Verzweiflung. Aaah, welch’ Leckerbissen werden wir erst für ihn sein!

      Thomas hörte fernes Klopfen und Hilferufe, aber sie wurden schwächer und zerflossen letztendlich in Resignation und Stille. Köstliche Stille.

      Ohhh, jetzt ist er fort. Nummer drei klang ehrlich enttäuscht. Und er hat uns vergessen.

      Vergessen! Was immer sich da in den Aufzugsschächten befand, es hatte ihn vergessen, hatte ihn übersehen und er war gerettet! Thomas klammerte sich an diese Hoffnung und er spürte, wie neuer Mut in ihm erwachte. Er lauschte, aber alles blieb still.

      Stille kann etwas Wundervolles sein, wenn sie beruhigt und vom Ende einer Bedrohung erzählt, wenn sie tröstend Ängste erstickt und sich wie eine Arznei über die geschundene Seele legt. Dann ist Stille der Rettungsanker.

      Aber gerade als Thomas sicher zu sein glaubte, die Gefahr überstanden zu haben, kreischte ein ohrenbetäubendes Quietschen und Ächzen durch den Schacht. Donnerschläge fuhren dazwischen und rollten zu ihm herab. Thomas sank sofort wieder in sich zusammen. Er zitterte in seiner Kabinenecke und weinte. Er hatte Todesangst, wein te lautlos und ohne Tränen. Wie Hammerschläge tönte es, dazwi schen glaubte er Stimmen zu hören, angestrengte Stimmen, die kämpften und sich mühten. Dann ein markerschütterndes Krächzen, wie von zerberstendem Metall, gefolgt vomn hemmungslosen Schluchzen einer Frau.

      Das Schluchzen entfernte sich. Die anderen Stimmen gingen weg. Erneute Stille.

      Trügerische Stille?

      »Ist es endlich vorbei?«, hörte er sich fragen.

      Nummer eins zögerte. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wir wissen nicht, was kommt und was war. Thomas, er sah auf, als hätte er einen Gesprächspartner aus Fleisch und Blut vor sich, wir wissen nicht, was kommt. Aber du, nur du allein, kannst allem widerstehen, wenn du nur an dich glaubst! Kraft kann nur aus dir entstehen und nur du bist in der Lage, deine Kraft zu finden und zu nähren, Thomas! Rette uns, beschwor ihn die vertraute, tiefe Stimme, rette СКАЧАТЬ