Der weiße Adler. Thomas Wünsch
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Название: Der weiße Adler

Автор: Thomas Wünsch

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: marixsachbuch

isbn: 9783843806138

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СКАЧАТЬ in denen das Bestreben nach einer Vermehrung des allgemeinen Nutzens zum Vorschein kommt. Der Breslauer Bischof Thomas II. sprach das in seiner Urkunde für die (Bischofs-)Stadt Neisse/Nysa von 1290 auch explizit an; notabene im selben Jahr, in dem der Bischof die Landeshoheit für sein Bistumsland vom Herzog von Breslau erreichte. Und wir haben die Siedlungen selbst, deren Ausstattung und regionale Anordnung sehr wohl einen Plan erkennen lassen. An den Beispielen von Breslau, Krakau und Posen hat man neben urbanistischen Elementen wie Ring, regelmäßiges Straßennetz, Vorstädte, Stadtviertel und Parzellen auch soziale Organisationsformen wie Zünfte und kirchliche Stiftungen ermittelt. Insgesamt wird man von einer »offensiven Territorialkonzeption« (PETER JOHANEK) der Landesherren sprechen können, bei der zwar die Interessen von Herzog/König/Bischof einerseits und den Bürgern/Siedlern andererseits in dieselbe Richtung gingen, der Wille des Herrschers aber ausschlaggebend war.

      Dass es bei der deutschrechtlichen Gründung (Lokation) einer Stadt sehr oft nicht um eine eigentliche Neugründung, sondern um die Erweiterung oder sogar nur rechtliche Andersstellung einer bestehenden Siedlung ging, lässt sich gut am Fallbeispiel der Lokation der schlesischen Stadt Brieg/Brzeg studieren. Der aus der Linie der schlesischen Piasten stammende Herzog Heinrich III. von Breslau übergibt im Jahr 1250 die schon bestehende Stadt Wysoki Brzeg (= »hohes Ufer«) an der Oder dem Schulzen Heinrich von Reichenbach zur Gründung nach deutschem Recht, genauer: nach dem Recht der (schlesischen) Stadt Neumarkt. Und er bestimmt weiterhin:

      »Allen, die zu dieser Stadt kommen, um dort wohnen zu bleiben, haben wir die Verfügung über sechs Freijahre gewährt, so dass sie innerhalb dieser Frist weder zu irgendeiner Zahlung noch zur Heerfolge gezwungen werden, außer wenn ein Notstand für das ganze Land ausgerufen wird. Den Siedelunternehmern (locatoribus) steht jeder sechste Hof mit der jährlichen Steuer zu, auch jeder dritte Pfennig bei Gericht, uns dagegen nur zwei. Der Wasserlauf ist oberhalb und unterhalb eine Meile weit für alle dortigen Einwohner frei zum Fischfang. Wir haben auch gestattet, Holz für den Häuserbau zu schlagen, wo immer es sich findet. Wir gewähren, auf dieser Seite der Oder Hasen zu jagen. Auf beiden Seiten des Flusses weisen wir der Stadt sechs große Hufen als Viehweide zu. Innerhalb der Freijahre gestatten wir allen Einwohnern, ohne Zollabgabe in unserem Lande ihren Markthandel zu betreiben. Ein Pole oder ein freier Mann gleich welcher Sprache, der dort ein Haus besitzt, muss sich deutsches Recht gefallenlassen […]. In der Stadt hat der Stadtherr [= der Herzog] zehn Fleischbänke, die er zu seinem Nutzen verwenden kann, der Richter [iudex = Erbvogt] die übrigen, und ebenso andere Bürger, denen er sie überlassen hat. Wir gestatten ihnen auch, innerhalb des erwähnten Flussabschnitts Mühlen zu bauen, soviel sie können. […] Darüber hinaus gestatten wir ihnen, einen Jahrmarkt einzurichten, entsprechend dem Willensentscheid aller. […] Alle Dörfer im Umkreis einer Meile sollen von dieser Stadt ihr Recht holen, wobei sie den Rechtsspruch verkündet. Um schwerere Gefahren zu vermeiden […], haben wir versprochen, die Stadt innerhalb von zwei Jahren zu befestigen […].«

      Damit ist die Lokation der Stadt Brieg erfolgt. Spezialisten für Siedlungsunternehmungen, Lokatoren, sorgten dafür, dass die Stadtanlage praktisch umgesetzt wurde; der Landes- bzw. Stadtherr stellte sich hinter die neu angelegte Siedlung und stattete sie mit Rechten aus, die einen wirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft versprachen. Aus einer slawischen Stadt wurde so eine deutschrechtliche Gründungsstadt, deren Gründungsurkunde in seltener Ausführlichkeit praktisch alles enthält, was man sich als (Neu-)Bürger wünschen konnte. Vom westlichen Stadtrechtsmodell her bekannt war bereits, dass ein fest umrissener Raum und seine Bewohner privilegiert wurden. Selbstverständlicher Bestandteil jeder Stadtrechtsverleihung waren die persönliche Freiheit der Bürger, die Zollfreiheit und die Gewährung begrenzter Monopole. Der tatsächliche Inhalt der Privilegien wurde indessen zwischen dem Herrn und seinen Bürgern jeweils neu ausgehandelt. Sie betrafen die Verwaltung der Stadt, das Gerichtswesen und das Wirtschaftsleben. In allen diesen Bereichen schnitt Brieg gut ab; zu erwähnen sind hier nur die Faktoren, die auch für die anderen polnischen (und ostmitteleuropäischen) Lokationsstädte kennzeichnend sind:

      Verliehen wird ein festes Recht, hier das Magdeburger Stadtrecht in seiner Neumarkter Variante. Damit trat die zu diesem Recht umgesetzte Stadt in eine Stadtrechtsfamilie ein. Das bedeutet, dass die letzte gerichtliche Instanz, der Oberhof, in Magdeburg lag und ein Rechtszug (im Sinne einer Anfrage vor der Urteilsfindung) dorthin erfolgen musste. In der Praxis haben die Landesherren aber immer wieder diesen Rechtszug abgeschnitten und Oberhöfe in ihren eigenen Territorien errichtet; so Neisse für das Bistumsland Breslau oder später Krakau für Polen. Das neue Recht galt für alle Bewohner, gleich welcher Herkunft (seien es Slawen oder Deutsche). Nicht eingeschlossen waren normalerweise andere Religionsgemeinschaften wie die Juden; sie bekamen gesonderte Privilegien, beispielsweise in Form von Judenschutzbriefen, wie sie im 12. und 13. Jahrhundert in Großpolen und Schlesien ausgestellt wurden. Zweitens bezog das neue Recht auch das ländliche Umfeld mit ein. So entstanden Stadt-Land-Bezirke (sogenannte Weichbilder), die sich – im besonderen Falle Schlesiens – wie ein Netz über das ganze Land legten. Der Warenaustausch und damit die Wirtschaftskraft profitierten davon enorm. Drittens sollten die Freijahre der Stadt wirtschaftlich auf die Beine helfen. Dem dienten auch die zahlreichen Erlaubnisse für Fischfang, Jagd, Mühlenbau, Holzschlag und Jahrmarkt (Letzterer ausgestattet mit einem eigenen Marktrecht, dem ius fori). Die Markt-Wirtschaft zeigte sich auch im Stadtgrundriss als »Markt« oder »Ring«. Schließlich ist festzustellen, dass sich der Stadtherr rechtlich und administrativ teilweise aus dem Gemeinwesen zurückzog. Diese Gratwanderung zwischen Souveränität und wirtschaftlicher Prosperität war jedoch immer problematisch – konnte sie doch zur Emanzipation der Städte führen, was der Stadtherr natürlich vermeiden wollte. Eine Besonderheit Polens (und ganz Ostmitteleuropas) ist, dass die fürstliche Stadtherrschaft dank des deutschen Rechts nie so strangulierend war wie im Moskauer Reich, aber auch nie so weitgehend durchlöchert werden konnte wie etwa in Oberitalien oder in vielen Städten des Römischdeutschen Reichs.

      Der durch Kolonisation erzeugte kulturelle Wandel führte in der Regel zu »gelungenen« Prozessen der ethnischen Vermischung. Dennoch sollte man sich vor einem allzu homogenen Bild hüten. Es gab auch kulturelle Abwehr, und zwar auf allen Ebenen: Die Geistlichen wehrten sich dagegen, dass Pfründen an eingewanderte Amtsbrüder gelangten; die Ritter fanden sich nur ungern damit ab, dass deutsche Konkurrenten nun bei Hof in privilegierte Stellungen kamen; die einheimische Bevölkerung der Städte registrierte mit Missvergnügen, wenn neue Bevölkerungsgruppen (wie Deutsche oder Juden) mit Sonderrechten ausgestattet wurden; und auch die städtischen Gremien wie Zünfte oder der Rat zeigten Tendenzen zur ethnischen Ausgrenzung – wenn auch jeweils sehr genau zu prüfen ist, aus welchen Motiven. Nationsbildung ereignete sich immer auch im Gegeneinander, und das betraf nicht zuletzt die kirchliche Hierarchie. Diese befürchtete nicht nur eine Einbuße bei der Postenverteilung, sondern auch eine Spaltung der kirchlichen Einheit. Gerade die Kirche als einzige Institution, die imstande war, eine gesamtpolnische Politik zu führen, stellte sich an die Spitze der Anhänger einer Vereinigung der polnischen Teilfürstentümer. Dies betraf insbesondere die Kirchenführung, vor allen anderen die Erzbischöfe von Gnesen. Unter ihnen tat sich Jakob świnka (reg. 1283–1314) als Verteidiger des Polentums und Kämpfer für die Unabhängigkeit der kirchlichen Strukturen in der Gnesener Provinz hervor – was ihn auch zu einem Protagonisten der Wiedervereinigung Polens machte. Der Antagonismus gegen die Fremden verursachte Maßnahmen, welche die Förderung der polnischen Sprache in der Kirche bezweckten; damit sind wohl auch die ältesten erhaltenen Texte von Predigten und Kirchenliedern in polnischer Sprache verbunden (darunter die ersten Strophen des Gesanges Bogurodzica, dt. »Gottesgebärerin«). Doch gibt es auch Kehrseiten dieser Entwicklung, wofür die Politik des Gnesener Erzbischofs świnka steht.

      Das Römisch-deutsche Reich hatte seit dem 10. Jahrhundert für die polnische Kirche als Vorbild gedient, es gab kulturellen Austausch und einen Transfer von Priestern. Über eine lange Zeitstrekke hinweg war dies kaum hinterfragt worden. Die Situation veränderte sich jedoch grundlegend, als im 13. Jahrhundert eine massive Immigration von Deutschen nach Polen einsetzte. Deren Anteil machte sich nicht nur in der Landwirtschaft und den städtischen Berufen oder an den adeligen Höfen bemerkbar, sondern auch im (polnischen) Klerus. Streit kam auf, wer die begehrten kirchlichen Ämter und Pfründen besetzen СКАЧАТЬ