Der weiße Adler. Thomas Wünsch
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Название: Der weiße Adler

Автор: Thomas Wünsch

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: marixsachbuch

isbn: 9783843806138

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СКАЧАТЬ darunter allein 63 in der Zeit Kazimierz’ des Großen. Praktisch alle städtischen Siedlungen in Kleinpolen waren deutschrechtlich organisiert, d. h. sie verfügten über Privilegien gegenüber dem Umland, hatten eine städtische Verfassung mit Rat und Bürgermeister, besaßen Verteidigungsanlagen wie Stadtmauern und genossen eine mehr oder weniger große administrative Autonomie. Kleinpolen profitierte davon, dass hier der unmittelbar präsente König, nicht etwa der Adel, die Rechtsprechung und die Verwaltung dominierte. Auch die Zahl der Städte für sich genommen stieg an: Man beobachtet im 14. Jahrhundert die Herausbildung eines Städtenetzes, bei dem die Entfernung von Stadt zu Stadt etwa 30 km betrug. Kleinpolen verwandelte sich damit zu einer typischen »Kulturlandschaft« des europäischen Mittelalters – was den Gesamtbestand der Krone angeht, eher ein Ausnahmefall. Zwar begegnen auch in den anderen Teilen der Monarchie, einschließlich der Gebiete im frisch erworbenen Rotreußen, Maßnahmen der Siedlungsintensivierung und der Einsatz des deutschen Rechts (Ius Theutonicum). Doch sind die Unterschiede unübersehbar, und sie werden für die Folgezeit relevant bleiben.

      Zukunftsweisend wurde die Monarchie Kazimierz’ des Großen und seines Vorgängers auch noch in einer anderen Hinsicht. Die Restauration des Königtums in Polen schuf eine der Grundlagen, auf der sich die »jagiellonische Transformation Polens« (KLAUS ZERNACK) abspielen konnte. Der machtpolitische Aufstieg des Staates zu einer europäischen Großmacht mit imperialen Zügen ist undenkbar ohne die strukturellen Wandlungen in der späten Piastenzeit. Der andere Eckstein, auf dem das spätere jagiellonische Staatswesen beruhen sollte, war die Koalition mit Litauen. Dort hatte sich im 14. Jahrhundert eine machtpolitische Revolution ereignet, als Litauen in die westlichen Gebiete der von den Mongolen eroberten Kiewer Rus’ vorstieß. Der Ostexpansion Polens korrespondierte also eine nicht weniger erfolgreiche Ostexpansion Litauens – und eine Wende in der Großregion Ostmitteleuropa bahnte sich an, als beide expandierenden Staatswesen entdeckten, dass sie durch das Vorgehen gegen gemeinsame Feinde ihre Macht steigern konnten. Das erste Exempel stellte die Pommerellen-Frage. Władysław łokietek wollte sie im Anschluss an seine Krönung 1320 lösen und verband sich zu diesem Zweck im Jahr 1324 mit Litauen. Machtpolitisch war dieser Schachzug leicht nachvollziehbar, denn Litauen war ein Gegner des Deutschordensstaats, der sich Pommerellen – das Gebiet um die Weichselmündung – einverleibt hatte. Symbolisch und ideologisch barg diese Koalition zwischen Polen und Litauen jedoch ein Risikopotenzial: war Litauen doch (noch) nicht christianisiert, galt also als »heidnisches Staatswesen« – was es in den Augen der Zeit zu einem mehr als problematischen Bundesgenossen machte.

      Es kostete die polnischen Juristen der Folgezeit viel Mühe, ihre Argumentation durchzusetzen, dass Litauen, obgleich ganz oder teilweise »heidnisch«, Anspruch auf einen Respekt vor seinen Besitzungen und seiner staatlichen Unversehrtheit besaß. Diese Meinung war selbst nach der Nationentaufe Litauens 1387, im Zuge der Thronbesteigung des ersten Jagiellonen, strittig; ein knappes halbes Jahrhundert davor war die Gleichbehandlung des »heidnischen« Staatswesens Litauens mit christlichen Staatswesen hoch riskant. Dass Litauen überhaupt in das Mächtekalkül Polens mit einbezogen wurde, verdankt es der Tatsache, dass christliche Mächte gerade in diesem Teil Europas gegeneinander standen. Der »heidnische« Staat konnte sich so zum begehrten Partner für Allianzen entwickeln. Machtbasis war die Herrschaftsausweitung des litauischen Großfürsten Gediminas (Gedimin; reg. 1316–1341) in die ostslawische Sphäre. Bis zu seinem Tod im Jahr 1341 hatte das litauische Staatsgebiet das Fürstentum Halicz-Wolhynien erreicht, wo es auf das ebenfalls expandierende Polen traf. Damit etablierte sich Litauen als ernsthafter Anwärter für die Aneignung der Gebiete der Kiewer Rus’ (Russia in den Quellen). Dem Nachfolger Gedimins als Großfürst, Algirdas (Olgerd, reg. 1345–1377), sagte ein Chronist des Deutschen Ordens nach, er habe die ganze Russia als zu Litauen zugehörig gesehen. Sein Herrschaftsbereich grenzte unmittelbar an die Machtsphären Moskaus und Polens. Wenn die polnische Monarchie gegen den Deutschen Orden vorgehen wollte, musste sie sich mit Litauen verbünden, das den Deutschordensstaat ebenfalls als Hindernis für weitere Expansion wahrnahm. Die unter Kazimierz dem Großen 1366 erreichte Verständigung zwischen Polen und Litauen brachte dabei nicht nur den Deutschen Orden an der Ostsee in Bedrängnis, sondern veränderte die Machtbalancen in diesem Teil des östlichen und nordöstlichen Europas erheblich.

      Fokus: Heiligenkult und nationale Identität

      Bischof Stanisław von Krakau wurde 1079 ermordet und 1253 heiliggesprochen; seitdem ist er Patron Polens. Mit ihm und seiner Verehrung verbinden sich mehrere Stränge einer kirchlichen, politischen und ideologischen Weichenstellung im piastischen Polen, weshalb er stellvertretend für eine ganze Reihe von Heiligen hier vorgestellt sei. Nachdem vor seiner Zeit hauptsächlich der aus Böhmen kommende Adalbert und der über Italien nach Krakau vermittelte Florian in Polen verehrt wurden, steht Stanisław für den ersten genuin polnischen Heiligen. Seine Vita und sein Nachleben reflektieren bedeutende Stationen bei der Ausbildung eines polnischen Nationalbewußtseins, was bis in die Einordnung des Heiligen in den nationalen Mythos des 19. Jahrhunderts zu beobachten ist. Stanisław, dessen Herkunft nicht geklärt ist, erhielt seine Ausbildung an einer Domschule in Polen, vielleicht auch in Westeuropa. Für letzteres spricht, dass er als Bischof von Krakau seit 1072 eine Klerusreform nach westlichem Vorbild in Polen durchführte, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einer »Freiheit der Kirche« (libertas ecclesiae) stand. Mit diesem Anliegen verband sich eine Wendung gegen das Eigenkirchenwesen, in dem der Grundherr die (niederen) geistlichen Ämter besetzte, aber auch gegen den Kern der ottonisch-salischen Reichskirche, in der die höchsten geistlichen Würdenträger (Bischöfe und Äbte) vom König in ihre Positionen eingesetzt und als Träger der Reichsverwaltung politisch in Dienst genommen wurden. In Polen waren diese Verhältnisse bislang unbestritten, und so wäre es nicht verwunderlich, wenn sich der Bischof mit dem regierenden Herzog Bolesław II. śmiały (»der Kühne«), der 1076 König wurde, vor diesem Hintergrund entzweit hätte. Die Kulmination dieses Machtkampfes, bei dem es, wenn die libertas ecclesiae (»Freiheit der Kirche«) das Motiv war, für das Königtum tatsächlich um eine tragende Säule seiner politischen Gewalt gegangen wäre, war die Ermordung des Bischofs 1079. Die besonderen Umstände dieser politisch motivierten Tat wurden später legendarisch ausgeschmückt: So berichtet der Benediktinermönch Gallus Anonymus darüber, dass der Mord während der Messe geschah, was ihn in den Augen der Zeitgenossen noch monströser machte, und dass der Leichnam zerstückelt wurde. Dies war die klassische Strafe für Verräter, und in der Tat hat man Stanisław auch eine Mitwirkung an einer Verschwörung hochrangiger Adeliger (Magnaten) bzw. eine Konspiration mit dem verfeindeten Böhmen unterstellt.

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      Zerstückelung des Leichnams des Bischofs Stanislaus (Stanisław) von Krakau, Altar mit Szenen aus dem Leben des hl. Stanislaus, frühes 16. Jahrhundert

      Bereits in die Sphäre des Nachlebens gehört die Tatsache, dass der Mord an dem Bischof die Eliten des Landes gespalten hat. Es begann damit, dass der verantwortliche Herrscher ins Exil gedrängt wurde und Herzog Władysław Herman 1088 eine Translation des Leichnams von Stanisław auf den Wawel durchführen ließ. Ansätze zu einer Heiligsprechung durch den Papst lassen sich seit der Amtszeit des Krakauer Bischofs Ivo Odrowąż 1229 beobachten; sie endeten erfolgreich unter seinem Nachfolger, Bischof Prandota, mit der Kanonisation Stanisławs in Assisi 1253. Wichtig für das Verständnis dafür, welche Reichweite dieses Ereignis der Ermordung eines Bischofs erlangen konnte, sind mehrere Faktoren: Zum einen war die Residenz der polnischen Herrscher seit 1039 von Herzog Kazimierz Odnowiciel (»dem Erneuerer«) von Gnesen nach Krakau verlegt worden und in derselben Zeit der Aufbau einer neuen Kirchenorganisation Polens erfolgt – nachdem ein böhmischer Einfall und eine sogenannte heidnische Reaktion die bisherige Kirchenstruktur nahezu vernichtet hatten. Bolesław II. fuhr einen Kurs der politischen Selbständigkeit für Polen, der vor allem durch Böhmen und daneben vom Römischen König bedroht war. Für seine antikaiserliche Politik bekam Bolesław II. von Papst Gregor VII. die Königskrone verliehen, wodurch erneut deutlich wird, dass der regierende Herzog und König eigentlich ein eminent »nationales« Projekt verfolgte.

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