Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs
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СКАЧАТЬ alt="image"/> Wir machen seit längerem diese Beobachtungen: […] Der Priester mit dem liturgischen Dienst geht schon in die Sakristei, während die Gemeinde noch das Schlusslied singt (meist mehrere Strophen). (J. A. und M. P. – 14. 8. 2016)

      In manchen Gemeinden gehörte das Verlassen der Kirche noch vor dem Segen für die Männer gewissermaßen zum Brauchtum, wie es Alois Brandstetter in einem Roman beschreibt:

      image Aber auch früher schon haben die Herren der Schöpfung, wenn sie ‚auf die Post‘ geschickt worden sind und ‚im Amt zu tun‘ gehabt haben, immer auch einen Abstecher zum Wirt gemacht, sozusagen ehrenamtlich und privat. So wie ja auch jeder Kirchenbesuch am Sonntag mit einem Kirchenwirtsbesuch verbunden gewesen ist! Bis dann überhaupt nur noch der Wirt übriggeblieben ist und der Kirchenwirt auch die Kirche ersetzen hat müssen. Das sogenannte ‚letzte Evangelium‘ haben die Männer in den hinteren Bänken meistens in der Kirche gar nicht mehr gehört, weil sie den Tumult bei der Kommunion genützt haben, um unauffällig durch das Westportal zu verschwinden. Der Wirt ist ursprünglich aber immer nur der Abstecher gewesen, der Seitensprung gewissermaßen, die Nebensache und das Zusatzprogramm. Bis aus der Nebensache die Hauptsache geworden ist … (Alois Brandstetter, Zur Entlastung der Briefträger, 2011)

      Auf eine notorische „Frühgeherin“ reagierte Philipp Neri (1515–1595), der ja auch als sehr humorvoller Heiliger gilt, auf seine Weise. Die folgende von Theodor Schnitzler in seinem Buch „Erzählte Messe“ (1978) geschilderte Reaktion auf ein unangemessenes Benehmen könnte durchaus zu ihm passen, ist aber – angesichts der Zahl an Benimmverstößen in diesem Zusammenhang – leider nur schwer wiederholbar:

      Die Baronin Pompilia de Rossi, die in Santa Maria Novella (der Kirche, die Philipp Neri betreute) immer zur hl. Messe ging, hatte die Gewohnheit, gleich nach der Kommunion die Kirche zu verlassen, ohne eine Danksagung zu halten und den Schluss abzuwarten. Als es wieder einmal geschah, drückte der hl. Philipp Neri nach der Messe seinen vier Ministranten in der Sakristei ein brennende Kerze in die Hand, gab ihnen Anweisungen und sagte: „Schnell, eilt der Baronin nach!“ Als sie die Baronin erreicht hatten, gingen sie mit den Kerzen neben ihr her. Die Baronin fuhr die Ministranten an: „Was macht ihr da?“ Sie antworteten ihr: „Don Philippo hat uns geschickt.“ Da kam er auch schon selbst des Weges. Er zog den Hut und sagte: „Frau Baronin haben gerade kommuniziert. Noch ist Christi Leib, das eucharistische Brot, nicht vergangen. Zu den Vorschriften der Kirche gehört es: Das allerheiligste Sakrament muss mit Kerzen begleitet sein, wenn man es über die Straße trägt. Deshalb schickte ich die Kerzenträger nach.“ Donna Pompilia de Rossi bekam einen roten Kopf, dass man es unter der Schminke sehen konnte, sagte leise „Madonna mia“, drehte sich auf dem Absatz um und ging wieder in die Kirche. Von nun an lief sie nie wieder zu früh aus der heiligen Messe fort.

      Das führt direkt weiter zur Frage der Haltungen und dem ehrfürchtigen Verhalten bei der Kommunion.

       4. „Saloppes Benehmen ist unangebracht!“

      Haltungen im Gottesdienst und Verhalten bei der Kommunion

      Ein „Lümmel“ ist laut „Duden“ ein [junger] Mann, der als frech, ungezogen, als Person mit flegelhaftem Benehmen angesehen wird. Das Wort kommt von dem veralteten „lumm“, was „schlaff“, „locker“ bedeutet und eine ablautende Bildung zu „lahm“ darstellte. Lümmeln oder sich lümmeln bedeutet danach, sich in betont nachlässiger, unmanierlicher Weise irgendwohin setzen, legen, irgendwo stehen, sich rekeln. Zum Beispiel in der Kirchenbank.

      Es geht bei der Frage nach dem rechten Benehmen in der Kirche und im Gottesdienst, so viel ist bisher schon deutlich geworden, einmal um das Prinzip der Gemeinschaft, das durch ein bestimmtes Verhalten gestört wird. Daneben steht ein anderes Prinzip, das der Heiligkeit Gottes und des Gottesdienstes bzw. des religiösen Ortes, denen Ehrfurcht und Respekt geschuldet werden. Beide Prinzipien betreffen auch die Haltungen, die man hier einnimmt.

      Die Begriffe „Haltung“ und „Verhalten“ hängen nicht nur sprachlich zusammen; die körperliche Haltung spiegelt auch eine innere Einstellung und Befindlichkeit wider, wie es das Beispiel des Lümmels zeigt. Im Gottesdienst spielen Gesten, Gebärden und Haltungen eine große Rolle, wobei die beiden Ersteren vor allem den Liturgen zukommen. Zu den Haltungen der Gläubigen heißt es in der „Allgemeinen Einführung in das Römische Messbuch“: „Eine einheitliche Körperhaltung aller Versammelten ist ein Zeichen ihrer Gemeinschaft und Einheit; sie drückt die geistige Haltung und Einstellung der Teilnehmer aus und fördert sie“ (AEM 20).

      Die Haltungen der Gläubigen in der katholischen Liturgie sind das Stehen, Knien und Sitzen. Sie sollen gemeinschaftlich eingenommen werden, wobei es – aus Gründen der Gesundheit oder des Alters, aufgrund von Platzverhältnissen, aber auch aus einem bestimmten Empfinden heraus – Ausnahmen geben kann. Das kann man beispielsweise während des Eucharistischen Hochgebets beobachten, das manche stehend mitvollziehen, andere zuerst stehend, dann kniend, wiederum einige stehend, dann kniend und später sitzend. Ein Spiegel der jeweiligen Frömmigkeit ist dies aber nicht.

      Auch im evangelischen Gottesdienst spielen die Haltungen eine Rolle, wenngleich nicht so sehr wie im katholischen, wie Christoph Albrecht in seiner „Einführung in die Liturgik“ (1995) schreibt: „Zeremonien sind nach lutherischem Verständnis weder heilsnotwendig noch für die Einheit der Kirche erforderlich. Wohl aber ist es eine ‚feine äußerliche Zucht‘, sich leiblich zu bereiten, weil die äußere Haltung eine Gestaltwerdung des Inneren ist. Für das Verhalten im Gottesdienst gilt als Grundregel eine gelöst-natürliche, aber doch zuchtvolle Haltung. Saloppes Benehmen ist genauso unangebracht wie geschraubt-steifes Gebaren. Die evangelische Kirche kennt eine Vielzahl von Gebärden, die nicht nur den Pfarrer betreffen, sondern auch jedem Gemeindeglied wohl anstehen.“

       Stehen, Sitzen, Lümmeln

      Die ursprüngliche Haltung beim Gottesdienst ist die des Stehens, sie drückt die „Freiheit des Christenmenschen“ aus, der durch die Auferstehung befreit ist und aufrecht vor Gott stehen kann. Das Knien ist ein Ausdruck des Sich-klein-Machens, es wird daher im Zusammenhang von Bußriten oder der Anbetung eingenommen. Als Haltung der eucharistischen Frömmigkeit kommt es etwa ab dem Hochmittelalter in die Liturgie. Kniebänke sind bis heute ein Kennzeichen katholischer Kirchen, ebenso wie der Tabernakel, der das Allerheiligste birgt. Das Sitzen kommt relativ spät in die Liturgie; es ist zunächst die Haltung des Lehrens, wie es auch schon biblisch zum Ausdruck kommt (vgl. Mt 5,1–2). Im Begriff „Lehrstuhl“ hat sich das noch erhalten. Das Sitzen ist aber auch Ausdruck des meditativen Hörens.

      Grundsätzlich hat die Einführung von Kirchenbänken auch dafür gesorgt, dass weniger in den Kirchen herumgelaufen wurde, was sich noch länger in den südlichen Ländern Europas hielt, wie es Peter Hersche für die Barockzeit schildert. Insofern trugen die Kirchenbänke zu einer Disziplinierung bei, wobei man früher seltener saß als heute. Man kann – zumindest in Deutschland – beobachten, dass das Sitzen inzwischen zur vorrangigen Haltung im Gottesdienst geworden ist. Mehr als die beiden anderen Haltungen des Stehens oder Kniens verführt das Sitzen aber auch zu einem „Es-sich-bequem-Machen“, was der heiligen Handlung der Liturgie nicht angemessen ist bzw. eine andere Einstellung zum Gottesdienst ausdrückt. Den Eindruck, den der Schriftsteller Martin Leidenfrost von einem Gottesdienst in Pressburg schildert, kann man gelegentlich auch in einer katholischen oder evangelischen Kirche bei uns gewinnen:

      image Die meisten verfolgten den Gottesdienst wie einen Vortrag. Einige falteten die Hände, manche schlugen die Beine übereinander, СКАЧАТЬ