Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs
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СКАЧАТЬ ich zu spät gekommen? Zu früh weggegangen? Bin ich in der Kirche ehrfurchtslos gewesen?“

      Auch auf diese Weise konnte die Bedeutung der gemeinschaftlichen Feier eingeschärft werden. Im katholischen Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“ von 1975 wie auch von 2013 spielen die Fragen nach Zuspätkommen und Zufrühgehen keine Rolle mehr in den Beichtspiegeln – vielleicht auch ein Beleg dafür, dass dies in jüngerer Zeit nicht mehr so oft vorkommt wie früher.

       Sich schämen – und sich bessern

      Um die Pünktlichkeit und den gemeinschaftlichen Beginn zu gewährleisten, griff man mancherorts zu drastischen Maßnahmen. So wurden nach Beginn des Gottesdienstes die Türen verschlossen, um Zuspätkommende zu kontrollieren und auch vorzeitiges Gehen zu verhindern. Wie schon eingangs dieses Kapitels beschrieben, war es dem Diakon vorbehalten, Einlass zu gewähren, wie es in der Kirchenordnung „Testamentum Domini“ aus dem 5. Jahrhundert beschrieben ist: „Wenn jemand zum Morgenlob oder zur Eucharistiefeier zu spät kommt, so muss er draußen bleiben, wer immer er sei, und der Diakon darf ihn nicht eintreten lassen […], damit das Zuspätkommen die nicht störe, die beten wollen. Wenn der Spätankömmling die Tür verschlossen findet, soll er aus den genannten Gründen nicht an sie klopfen. Wenn der erste Teil des Morgenlobes vorüber ist, kann der Zuspätgekommene – Mann oder Frau – eintreten, und der Diakon wird bei der Darbringung oder beim Morgenlob so sprechen: ‚Für den Bruder, der zu spät gekommen ist, bitten wir, dass Gott ihm Eifer und Ernst gebe, dass er ihn von allen Banden dieser Welt befreie und guten Willen gebe, mit Liebe und Hoffnung‘“ (Test. Dom. I, 36, 2–3).

      Ganz ähnlich findet man diese Einstellung gegenüber den Säumigen auch in der Regel des heiligen Benedikt; wer zu spät zum Gottesdienst kommt, wird vor den Mitbrüdern herausgestellt, um sich zu schämen und zu bessern: „Kommt einer zu den Vigilien erst nach dem ‚Ehre sei dem Vater‘ des Psalmes 94 […], darf er nicht an seinem Platz im Chor stehen. Vielmehr stehe er als Letzter von allen oder auf dem Platz, den der Abt für so Nachlässige abseits bestimmt hat, damit sie von ihm und von allen gesehen werden. Dort bleibe er, bis er am Schluss des Gottesdienstes öffentlich Buße getan hat. Wir lassen die unpünktlichen Brüder bewusst auf dem letzten Platz oder abseits stehen, damit sie von allen gesehen werden, sich schämen und deshalb sich bessern“ (RBen. 43). – Das sind Maßnahmen, die heute in einem Gemeindegottesdienst nicht möglich wären. Wer so herausgestellt würde, käme wohl in Zukunft gar nicht mehr.

       Vorzeitiges Verlassen des Gottesdienstes

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstes wurde ebenso angemahnt wie das Zuspätkommen. Schon gegen Ende des Altertums gab es viele Gläubige, die nicht kommunizierten, so dass man sich überlegen musste, wie man es mit ihnen in der Eucharistiefeier halten wollte. Es gab den Brauch, dass diejenigen, die nicht kommunizieren konnten oder wollten, vor der Kommunion entlassen wurden. Sie erhielten dazu einen speziellen Segen am Schluss des Eucharistischen Hochgebets. In Gallien wurde dieser nach dem Vaterunser erteilt; die Nichtkommunikanten sollten bis zu diesem Zeitpunkt in der Kirche bleiben. Später ist, „weil die Väter zu Ende des vierten Jahrhunderts den Unfug derer rügten, welche den Gottesdienst vor der Communion verließen“, dieser Segen auf den Zeitpunkt nach der Kommunion verlegt worden, wie Ferdinand Probst in seiner „Geschichte der abendländischen Messe“ (1896) schreibt.

      Als Johannes Chrysostomus Priester in Antiochia war, wurde er seiner Predigten wegen so berühmt, dass manche Leute nur ihretwegen zur Kirche kamen. So rügt Chrysostomus, dass die unabsehbare Menge, die sich während der Predigt in der Kirche zusammendrängt, schon bald danach nicht mehr zu sehen ist, wenn das Fürbittgebet ansteht. Offensichtlich verließen viele die Kirche sofort, wenn der Prediger seine Worte beendet hatte, noch vor dem Gebet – nach dem Motto: Beten kann man auch zu Hause, wie ihnen Chrystosomus in den Mund legt. Frans van de Paverd stellt in seiner „Geschichte der Messliturgie in Antiocheia und Konstantinopel“ (1970) dar, dass es keineswegs nur die Katechumenen waren, die Taufbewerber, die vor der eigentlichen Eucharistiefeier die Kirche verlassen mussten; mit ihnen verließ auch ein Teil der Gläubigen „freiwillig“ die Kirche. Wie Chrysostomus war es auch Bischof Nestorius von Konstantinopel ein Dorn im Auge, dass viele Gläubige zusammen mit den Katechumenen die Kirche verließen. Für sie war deren Entlassung eine gute Gelegenheit, sich unauffällig aus dem Staub zu machen. Nestorius verglich ihr Verhalten mit dem der Jünger, die Jesus bei seiner Gefangennahme im Stich ließen.

      Auch im gallischen Arles im 6. Jahrhundert, wo Caesarius vierzig Jahre lang als Bischof gewirkt hat, kannte man dieses Problem. Der Bischof legte dem Volk die Mitfeier der heiligen Mysterien ans Herz und wandte sich gegen Missstände wie Versäumen des Gottesdienstes, vorzeitiges Verlassen der Kirche und unandächtiges Betragen: „Ich bitte euch, geliebte Brüder, und ermahne euch in väterlicher Liebe, sooft am Herrentag […] Messe gefeiert wird, möge niemand die Kirche verlassen, bevor die heilige Handlung beendet ist.“ – „Und ich bitte aber- und abermals, keiner von euch möge die Kirche verlassen, bevor die heiligen Mysterien beendet sind; und beherrscht euch in der Kirche so sehr, dass niemand versucht, sich mit unnützem und weltlichem Gerede zu beschäftigen“ (Sermo 73,1.5). Hier geht es um ein adäquates Verhalten gegenüber der gottesdienstlichen Feier, welche den Sonntag auszeichnet. Caesarius ermahnte nicht nur zum Bleiben, er trat sogar denen in den Weg, die den Gottesdienst vorzeitig verlassen wollten, und ließ die Kirchentüren schließen und sie erst nach dem Segen wieder öffnen.

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstes ist ein Verhalten, das an keine bestimmte Zeit und Konfession gebunden erscheint; auch in den Kirchen der Reformation gab es dieses Problem. In manchen evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts begegnet der Hinweis, „[d]aß das laufen auß der kirchen vor dem empfangenen segen Gottes abzuschaffen“ ist. Dazu sei es angeraten, dass man die Predigt nicht über eine dreiviertel Stunde andauern lässt, damit auch diejenigen, welche einen weiten Weg haben, eher heimkommen – um rechtzeitig zur Mittagsandacht wieder da sein zu können …

      In den Zeiten der konfessionellen Auseinandersetzung Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts klagten manche Pfarrer darüber, dass Gläubige vorzeitig die Kirche verließen. Ein wesentlicher Grund war dafür offensichtlich die Unzufriedenheit mit der Predigt – also ganz im Gegensatz zur Situation bei Chrysostomus, als man nur der Predigt wegen kam. In seiner Geschichte des kirchlichen Lebens im 17. Jahrhundert zitiert Friedrich August Tholuck aus reichlich vorliegendem Material über die Zustände der sächsischen und der württembergischen Kirche die Klagen eines Pastors Schönewald in der Diözese Herzberg: „Daß ihrer Viele so gar späte zur Kirche kommen, etwan kurz vor Anfang der Predigt oder wohl gar unter der Predigt. Viel aber können kaum erwarten, bis die Predigt geschlossen, so laufen sie hinaus ohne Noth und erwarten weder das gemeine Gebet noch den Segen.“

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstes konnte aber auch Ausdruck der Ablehnung und des Protestes sein; bei der Rekatholisierung mainfränkischer Orte im frühen 17. Jahrhundert ließ der Würzburger Bischof, der ja auch Territorialherr war, nicht nur den Kirchgang der Einwohner von Soldaten kontrollieren, sondern auch die Eingänge mancher Kirchen bewachen, damit niemand vorzeitig gehen konnte. Eine ähnlich restriktive Maßnahme gab es – allerdings aus anderen Gründen – später in den Garnisonskirchen von Potsdam und Berlin (vgl. S. 32).

      Das vorzeitige Verlassen des Gottesdienstraumes, sofern es nicht aus einer Notwendigkeit heraus geschieht, richtet sich als Höflichkeitsverstoß zunächst gegen den Herrn selbst, der ja als „Gastgeber“ der Feier zu sehen ist; gegen die Gemeinde und Gemeinschaft als ganze und einzelne Funktionsträger in ihr wie den Liturgen oder Prediger oder auch die Kirchenmusiker. Vor allem das Herausströmen aus der Kirche noch während des Orgelnachspiels erregt bis heute oft den Unmut der Organisten, weil man durch dieses Tun zum Ausdruck bringt, dass man ihren Dienst und ihre Kunst nicht zu würdigen weiß. Noch anstößiger erscheint das Verhalten mancher Priester, die sich mit ihren Diensten schon während des Schlussliedes СКАЧАТЬ