Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche. Guido Fuchs
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СКАЧАТЬ Pfarrer, der in einer E-Mail schrieb:

      image Nichts dagegen, wenn sich Nachbarn, Freundinnen usw. begrüßen, aber muss man wirklich lautstark den Ratsch, der eigentlich vor der Kirchentüre seinen Platz hätte, bis zum Glockenzeichen ausdehnen? Übrigens: Dass der Herr im Tabernakel von den Hereinkommenden gegrüßt würde (durch eine Kniebeuge und ein kurzes Gebet), ist mehr und mehr rückläufig. […] Setzen Sie sich mal 20 Minuten vor einer Sonntagsmesse an die Emporenbrüstung und schauen Sie den Hereinkommenden zu: Sie werden den Mund nicht mehr zubringen! Was ist da seit den 50er Jahren katechetisch falsch gelaufen? (A. W. – 18. 8. 2019)

      Eine Änderung der „Grußriten“ beim Betreten des Gottesdienstraumes konstatiert der Pastoralliturgiker Michael Meyer-Blanck auch für die evangelische Kirche (Inszenierung des Evangeliums, 1997). Das Nehmen von Weihwasser und Sich-Bekreuzigen ist hier ohnehin nicht üblich; hingegen findet man die stille Sammlung im Stehen, bevor man den Platz in der Bank einnimmt. Aber auch das sieht er im Schwinden begriffen, das stille Gebet am Bankplatz (vor dem Hinsetzen) ist nicht mehr selbstverständlich. „Alles Äußere steht im Verdacht, nur äußerlich zu sein, und in der religiösen Erziehung werden äußere Formen vernachlässigt.“ Dies wird auch von anderer Seite her bestätigt; der Verhaltenswissenschaftler Parvis H. Falaturi schreibt über den Gruß in Richtung Altar vor dem evangelischen Gottesdienst: „In manchen Kirchen fällt er ganz weg, und die Gottesdienstbesucher gehen in ihre Bankreihe, setzen sich in die Bank und harren der Dinge, die da kommen“ (Das Geschehen am Altar, 2014).

      Tendenziell scheint die Ausrichtung auf das Heilige nicht mehr so sehr im Vordergrund zu stehen, wie es früher noch üblich war und wie es kirchlicherseits gewünscht wird. „Der sündige Mensch, der sich Gott nähert“, wie es Meyer-Blanck zusammenfasst: In diesem Bewusstsein gehen heute viele Menschen nicht mehr zum Gottesdienst. Man nimmt ihn eher als eine fromme Veranstaltung wahr, oder eben, wie es Falaturi ausdrückt: Man harrt der Dinge, die da kommen – ähnlich wie im Theater.

      Im orthodoxen Gottesdienst steht ebenfalls die Ausrichtung auf das Heilige im Vordergrund, wie es das genannte „Orthodoxe Glaubensbuch“ in Bezug auf das Verhalten in der Kirche beschreibt: Kreuzzeichen und Verehrung der Ikonen, evtl. auch das Aufstellen und Entzünden einer Kerze gehören dazu. Die Hinwendung zu anderen Menschen ist dennoch nicht ausgeschlossen: „Nachdem Sie die heiligen Ikonen verehrt haben, können Sie Bekannte begrüßen und ihnen zum Festtag gratulieren, wenn gerade kein Gottesdienst stattfindet.“ Nichtorthodoxen Gästen und Gläubigen, die mit den Riten nicht vertraut sind (und dadurch auffallen), wird gern geholfen, wobei man ihnen auch die „korrekte“ Bekreuzigung und Verneigung zeigt.

       Beiläufiges, gedankenloses oder ungehöriges Tun

      Trotz der graduellen Unterschiede in den einzelnen Konfessionen gehört es zum angemessenen Verhalten beim Betreten einer Kirche, eine Reverenz gegenüber Gott zu machen, um damit die Besonderheit des Ortes anzuerkennen. Durch die allgemeine Veränderung der „Grußriten“ kann man im Unterlassen des einen oder anderen Tuns dabei nicht grundsätzlich von einem schlechten Benehmen ausgehen. Möglicherweise kann die rituell reduzierte Form des Betretens einer Kirche im evangelischen Bereich kaum mehr als ein religiöses Tun wahrgenommen werden. Es kann „beiläufig“ wirken. Doch nicht alles, was unterlassen wird, ist schlechtem Benehmen zuzuordnen, und wiederum ist manches, was nach Andacht aussieht, nur äußerlich oder – wie es Guardini forderte – langsam.

      image Was tat man zum Beispiel, wenn man die Vorhalle glücklich betreten und weiter durch eine Tür im hohen Gitter ins Hauptschiff wollte? Man ging vorsichtig und langsam, die Mütze in der Hand, hindurch und näherte sich dem Weihwasserbecken ganz rechts am großen ersten Pfeiler im Hauptschiff. Dann streckte man Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand aus und führte sie (wieder: vorsichtig und laaang-saam) in das geweihte Wasser. Das geschah nicht zu tief, sondern so, dass man das Wasser höchstens streifte und die beiden Finger damit benetzte. Danach führte man sie zunächst an die Stirn und machte dann mit ihnen das Kreuzzeichen, indem man sie gegen die Brust und die Schultern rechts und links führte. Nicht zu schnell das alles, laaang-saam (in einem Gotteshaus gingen auch die Uhren anders, sie tickten nicht, sondern standen still)! Und danach nicht gleich weitergegangen oder gar forsch durch das Hauptschiff, nein, jetzt ging es darum, sich andächtig zu zeigen. Die Andacht bestand in einem längeren Verweilen, still, auf der Stelle. Ich konnte dazu auch eine Bank aufsuchen und mich niederknien (auf keinen Fall hätte ich mich jedoch sofort auf die Bank setzen dürfen, als wäre ich zu matt oder zu lustlos, den Parcours fortzusetzen). Hätte ich eine Bank aufgesucht und niedergekniet, hätte das die Andacht um einige Minuten verlängert, denn schließlich kniete man sich nicht in eine Bank, um sie nach kurzem Niederknien rasch wieder zu verlassen.

       (Hanns-Josef Ortheil, Was ich liebe – und was nicht, 2018)

      Neben der Verflachung bzw. Verkürzung der Riten gibt es aber auch Fehlformen. Der Eingangsbereich ist gerade in katholischen Kirchen ein besonderer Ort, weil sich dort auch das Weihwasserbecken befindet, von dem nicht jede(r) weiß, was es damit auf sich hat. So kann man in katholischen Kirchen durchaus erleben, dass Gläubige sich mit dem Weihwasser bekreuzigen, danach etwas Weihwasser auf den Boden spritzen: für die armen Seelen – möglicherweise das Relikt aus dem antiken Brauch einer Libatio, bei der man u. a. im Totenkult etwas Wein aus dem Becher vor dem Trinken auf den Boden goss (für die Götter). Ein Tun, das mehr oder weniger gedankenlos vollzogen wird (leider auch bei der Kommunion zu erleben – vgl. S. 35).

      Da kann man aber auch lesen, dass Kinder, die vor der Kirche gespielt haben, sich danach im Weihwasserbecken die Hände gewaschen hätten oder jemand gar seinen Hund daraus saufen ließ (S. 111). Sogar von Urinieren in das Weihwasserbecken ist die Rede – und dass ein trockenes Weihwasserbecken als großer Aschenbecher benutzt wurde und ausgedrückte Kippen enthielt, konnte ich selbst einmal sehen.

      image Die beiden hatten Andreas nicht bemerkt. Er folgte ihnen in einigem Abstand in die Kapelle. In der Hand hielt er immer noch die Zigarettenkippe. Beinahe hätte er sie in das Weihwasserbecken neben dem Eingang geworfen.

       (Peter Stamm, An einem Tag wie diesem, 2010)

      Nicht zuletzt um bei solchem Tun rechtzeitig einschreiten zu können, ist in größeren und viel besuchten Kirchen das Aufsichtspersonal gleich am Eingang postiert.

       Geordnetes Betreten

      „Was ist da katechetisch falsch gelaufen?“, fragte der Pfarrer in seiner oben zitierten E-Mail. Tatsächlich wurde früher auch dem Betreten des Gotteshauses besondere Aufmerksamkeit gewidmet, vor allem in der katechetischen Unterweisung von Kindern. In einer Schulzeitschrift von 1874 heißt es: „Wie Alles, was zum Dienste Gottes gehört, groß ist, und es Nichts dabei gibt, was keiner besonderen Beachtung verdiente, so auch das ganze Benehmen der Kinder, nachdem sie in die hl. Räume des Gotteshauses eingetreten sind. Es soll mit allem Eifer und Nachdrucke darauf gesehen und hingearbeitet werden, daß die Kinder von der dem Hause Gottes gebührenden Ehrfurcht durchdrungen werden. Daß sie dieses sind, soll schon ihr Eintreten in die Kirche wie ihr Hinausgehen, ihr ganzes Benehmen und ihre Haltung während des Gottesdienstes beurkunden.“

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       Hinweis in der Kirche St. Peter und Paul, Würzburg

      Das Betreten und Verlassen der Kirche erscheint so als ein problematischer Vorgang, der bei Kindern und Jugendlichen СКАЧАТЬ