Der Kessel der Götter. Jan Fries
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Название: Der Kessel der Götter

Автор: Jan Fries

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783944180328

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СКАЧАТЬ seinen Erscheinungsformen haben und daher versuchen, ihn aus dem Alltagsleben zu verbannen. Darf ich fragen, wie viele meiner Leser jemals einen Menschen haben sterben sehen? Und wie viele von denen, die Fleisch essen, haben jemals versucht, ein Tier zu töten? Ja, es ist einfacher, einem anderen die Schmutzarbeit zu überlassen. Ich frage mich, ob das eine gesunde Einstellung ist. Die Kelten waren näher am Sterben dran; jedes Kind war daran gewöhnt, zu sehen, wie Tiere geschlachtet wurden, nicht zu reden von den Dingen, die geschahen, wenn Verbrecher hingerichtet wurden oder wenn im Frühling wieder Krieg, Viehraub und nächtliche Angriffe zur Begleichung alter Schulden angesagt waren. Wenn Du ein verwesendes Tier betrachtest, wird es Dir vermutlich schwer fallen, zu akzeptieren, dass Tod und Verfall eine eigene Ästhetik haben. Viele Buddhisten und einige obskure tantrische Sekten meditieren angesichts verwesender Leichen oder besuchen Orte des Todes und Gräber, um sich an solche Erfahrungen zu gewöhnen. Es kann gut sein, dass die Priesterschaft solche Orte des Schreckens benutzte, um ihre eigenen Ängste und Befürchtungen zu besiegen und ein reifes Verständnis für die Tatsache zu entwickeln, dass Materie immer irgendwann zerfällt. Vor diesem Hintergrund könnte ein Tempel des Gestanks und der Verwesung genau der richtige Ort sein, um Ängste und Sorgen zu überwinden. Die Ästhetik des Grauens kann einen kathartischen Effekt haben, der zur Gewöhnung und schliesslich zum Seelenfrieden führt.

      Anstatt nun zu Schlussfolgerungen zu kommen, möchte ich Dich bitten, diese Gelegenheit zu nutzen. Schließe die Augen, lass in Deiner Phantasie eine Tempelanlage entstehen und erforsche sie. Kannst Du die mumifizierten Leichen der Krieger oder den Stier in seiner Grube verwesen sehen, ohne dass Dich dieser ungewöhnliche Anblick emotional durcheinander bringt?

       Roquepertuse

      Zuletzt lass uns einen Blick auf Roquepertuse werfen. Dieser sakrale Distrikt gilt als Musterbeispiel für keltische Tempel, seit er in den 20´er Jahren ohne allzuviel Sorgfalt freigelegt wurde. Das Museum von Marseille hat die Möchtegern-Rekonstruktion stolz ausgestellt; es handelt sich im Wesentlichen um ein paar Steinpfeiler mit Nischen für Schädel, Teile von Statuen, die unbekannte Götter darstellen und einen sitzenden Vogel, der auf mehr unterschiedliche Arten interpretiert worden ist, als gut für ihn war. Das Ergebnis ist zwar eindrucksvoll (s. Illustration), lässt aber eine Menge Fragen offen. Ausgrabungen in den frühen 90´ern von B. Lescure haben ergeben, dass Roquepertuse sehr viel geheimnisvoller war. Zunächst einmal war die heilige Anlage kein abgeschiedener, isolierter Ort, sondern lag direkt neben einer Siedlung. Sie war auch viel größer als bisher angenommen. Wo die frühere Archäologie nur einen kleinen heiligen Bezirk gesehen hat, geht die moderne Forschung von einem so großen Bereich aus, dass sich die Frage stellt, ob tatsächlich der ganze Komplex sakral war. Die Steinpfeiler, die im Museum mit 70 cm Abstand aufgestellt sind, waren tatsächlich mehr als 2 m auseinander. Es gab eine Menge von ihnen, und auch Kopfstücke, die sie verbanden, und ein Dach über ihnen. Abgesehen von Anzeichen für eine Plattform im zweiten Stock und einer massive Steintreppe, die hinaufführte, dürfen wir uns die Steine in lebhaften Farben bemalt vorstellen. Heute kann man sie nicht mehr mit blossem Auge wahrnehmen, aber wenn man die Fluoreszenzmethode verwendet, sieht man Pferde, eine Schlange, ein Pferd mit einem Fischschwanz und eine große Anzahl geometrischer Symbole.

      Diese Bilder werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten; die grüne Farbe beispielsweise war ein Importartikel aus Verona in Norditalien. Das gleiche gilt für die Bilder: Das Pferd mit dem Fischschwanz ist weder Teil der keltischen noch der griechischen Ikonographie, es taucht hauptsächlich bei den Etruskern auf. Das wirft die Frage auf, ob Roquepertuse überhaupt ein typisch keltischer Tempel war. Bemerkenswert wenige rein keltische Gegenstände wurden an dem Ort gefunden. Das Material weist nicht nur auf umfangreiche Importe aus Norditalien hin. Wir müssen uns auch fragen, ob die Leute von Roquepertuse vielleicht einer der Keltenstämme waren, der sich im vierten Jahrhundert vor unserer Zeit in Norditalien niedergelassen hatte und seither unter dem Einfluss seiner etruskischen und ligurischen Nachbarn starke kulturelle Veränderungen erfahren hatte. Ach ja, und was die Schädel in den Nischen angeht, stellt sich jetzt heraus, dass sie ins Innere des Sakralgebäudes gewandt waren. Darüber könnte man einmal nachdenken. Bei Schädeln über der Eingangstür oder an der Aussenseite einer Mauer kann man vernünftigerweise davon ausgehen, dass sie eine apotropäische Funktion hatten und benutzt wurden, um Feinde und böse Geister abzuschrecken. Man könnte auch annehmen, dass die Schädel nicht unbedingt von freundlichen oder verehrten Personen stammten. In Roquepertuse konnte man die Schädel innen im Tempel sehen, sie wurden durch ein Dach geschützt und aller Wahrscheinlichkeit nach geschätzt und respektiert. Ein gutes Beispiel dafür, dass die Verehrung von Schädeln in der keltischen Welt alle möglichen Formen annehmen konnte. Die Siedlung und das Heiligtum von Roquepertuse wurden um 200 vor unserer Zeit herum von unbekannten Personen zerstört – ein guter Hinweis darauf, dass das Leben im keltischen Gallien nicht so friedlich war, wie manche es gern hätten.

      Um es noch einmal zusammenzufassen, würde ich vorschlagen, dass es sich bei den Kultorten der La Tène-Zeit-Kelten nicht einfach um Orte gehandelt hat, sondern um Orte des Übergangs, Passagen in andere Reiche und Realitäten. So, wie sich der geschlachtete Stier in einen Schwarm summender, krabbelnder Fliegen und Würmer verwandelte und nur die nackten Knochen zurückließ. Waren Aasfresser wie Krähen, Raben, Wölfe, Hunde, Schweine, Fliegen, Insekten und so weiter den Kelten heilig?

       Karte der Ausgrabung von Ribemont

      nach Brunaux. Ribemont-sur-Ancre.

      Viele von ihnen tauchen in keltischen Mythen auf. Und da wir gerade von Aas sprechen, kannst Du Dir vorstellen, was für ein gesundheitliches Risiko diese heiligen Schanzen darstellten? Jemand kümmerte sich ja um diese Plätze. Jemand stellte die Leichen auf, und säuberte die Grube, nachdem der Stier verwest war. Waren es Druiden oder eine uns unbekannte Priesterschaft? Und wie gingen sie mit Infektionen, Leichengift und einer hohen Sterblichkeitsrate um? War das der Preis, den man für die Fähigkeit zahlte, die Bevölkerung einzuschüchtern, die Adligen zu beherrschen und die Herrscher in Schach zu halten? Denk mal darüber nach. Wenn die Druiden Galliens so große Macht ten, wie sicherten sie sich dann ihre Macht in einer aus streitlustigen Hitzköpfen bestehenden Gesellschaft? War es der Zweck von Ribemont und Gournay, die Bevölkerung zu Tode zu erschrecken?

      Und was hat es mit der Viereckform der Anlage auf sich? Ist es nicht verführerisch, sie mit der viereckigen Gralsburg in Verbindung zu bringen, mit der viereckigen, rotierenden Burg der Anderswelt oder mit dem menschlichen Körper mit seinen vier Hauptpunkten (zwei Schultern, zwei Hüftknochen) der mittelalterlichen, bardischen Lehre? Was macht eine quadratische oder leicht rechteckige Form heilig? Und warum gibt es keine einzige exakt quadratische Viereckanlage? Was ist an Trapezformen so Besonderes? Vielleicht möchtest Du eine Weile darüber meditieren. Man sollte meinen, dass ein quadratischer oder rechteckiger Grundriss bereits bekannt war, ebenso wie Wälle, Gräben und Palisaden, und zwar von Verteidigungsanlagen her. Doch das ist nicht der Fall. Die Kelten bauten Verteidigungsanlagen und Ringwälle auf Berg- oder Hügelkuppen. Manchmal halfen sie der Natur ein wenig nach und machten Abhänge etwas steiler oder flachten sie oben etwas ab. Trotzdem passten sie ihre Verteidigungsanlagen dem natürlichen Terrain an. Keltische Festungen haben meist unregelmäßige Formen und abgerundete Ecken. Es waren die Römer, die rechteckige Forts einführen und bewiesen, dass sie allen Erdwallfestungen der Frühzeit überlegen waren.

      Den militärischen Hintergrund können wir also vergessen. Was könnte den Kelten noch Modell gestanden haben für ihre Tempel? Denk mal darüber nach, wo man quadratische Formen in der Natur findet. Du wirst schnell feststellen, dass sie selten sind. Was als Grundriss für von Menschen bewohnte Gebäude, Siedlungen und Straßen so außerordentlich nützlich ist, stellt sich in der Natur als verblüffend rar heraus. Wo finden wir also den Prototyp der Viereckanlage? Wurde die Form gewählt, gerade weil sie so „un-natürlich” ist? Oder sollten wir die Antwort suchen, während wir den Himmel betrachten? СКАЧАТЬ