Paganini - Der Teufelsgeiger. Christina Geiselhart
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Paganini - Der Teufelsgeiger - Christina Geiselhart страница 10

Название: Paganini - Der Teufelsgeiger

Автор: Christina Geiselhart

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783708105222

isbn:

СКАЧАТЬ nicht zu Weihnachten schenken. Die Engländer hinderten ihn an seinen Geschäften, sagte er, aber sie würden ihn und mich nicht daran hindern, viele Konzerte zu geben. Schon wenige Monate später kamen die Franzosen und verscheuchten den englischen Admiral. Darüber waren wir nicht besonders froh, denn es hieß, junge Genueser Männer müssten in den Krieg gegen Frankreich ziehen. Vater ist zwar nicht jung, aber auch nicht alt, und er ist nicht so böse, dass wir ihn ins Pfefferland wünschen. Auch Mama mag ihn trotz seiner scharfen Stimme und den buschigen Brauen, die schwarz wie das Gefieder eines Raben über den funkelnden Augen wachsen. Er blieb also bei uns und so konnten wir unsere Pläne verwirklichen. Ich studiere weiterhin bei Costa, dabei hasse ich den Mann täglich mehr. Er schiebt immerzu meine Geige in eine horizontale Lage und tut mir dabei weh. Er zupft an meinem rechten Arm, als sei er eine Saite, und rammt ihn nach oben. Er schlägt auf meine Schultern, drückt sie mit seiner schweren Pranke, weil ich die Gewohnheit habe, sie hochzuziehen. Er schüttelt mich, stampft mit dem Fuß auf, wenn ich die Geige sinken lasse, rauft sich die Haare, wenn ich Auftakte mit dem Niederstrich, Niederschläge mit dem Aufstrich vortrage. Er staunt allerdings darüber, wie gekonnt ich den Bogen zwischen Daumen und Zeigefinger halte. Leicht wie eine Feder, doch kraftvoll wie ein Pfeil, sagt er und fügt an, dass mir Gott einen überlangen kleinen Finger verpasst habe, damit ich den Bogen sorglos im Gleichgewicht halten könne. Ein Quälgeist, der die Quälerei meines Vaters zeitweise übertrifft. Denn während Vater milder wird, zwingt mir Costa nun ein Pensum von zehn Stunden Übungen täglich auf. Das macht mich außerordentlich müde und manchmal wird mir schlecht, ich schwanke und falle hin. Aber immer so, dass meiner Geige nichts geschieht. Da bin ich sehr vorsichtig, denn ich liebe sie irgendwie. Ich schlafe mit ihr ein und wache mit ihr auf. Sie ist meine Gefährtin, obwohl mir ihre Stimme nicht besonders gefällt. Es ist wie mit Menschen. Manche haben einen Geruch, der abstößt, und manche haben Stimmen, die klirren. Ich hätte Vater anvertrauen können, dass der Klang meiner Geige mir Kopfschmerzen verursachte, ließ es aber sein, um seinen Zorn nicht zu reizen. Ich habe ihm aber gesagt, dass meine Vorträge in der Chiesa di San Filippo Neri im Mai und in der Chiesa Nostra Signora delle Vigne im Dezember weitaus schöner ausgefallen wären, hätte ich eine bessere Geige gehabt. Er zitierte als Antwort eine Zeitung, die von einem „wohlklingenden Konzert“ schrieb. Ich entgegnete, dass die meisten Genueser über jene Durchschnittsohren verfügten, in denen ein verstimmtes Klavier wohltemperiert klinge. Er antwortete mit einer Backpfeife. Nun gut. Jedenfalls wollte er vom Kauf einer Geige vorerst nichts wissen. Zu teuer! Nicht nötig! Ein Talent könne zaubern, sagte er. Ein talentierter Musikant hole aus einer krächzenden Geige himmlische Melodien.

      Das brachte mich auf die Idee, mein Konzert im Teatro S. Agostino mit Vogelgezwitscher zu beenden. Ich wartete den Jubel und das Getrampel des Publikums verneigend und lächelnd ab und schob, sobald ein wenig Ruhe eingekehrt war, meine Geige erneut unters Kinn. Applaus ließ das Haus von neuem erbeben. Die Zuhörer hofften auf eine Zugabe im klassischen Sinn. Mich aber ritt ein Kobold. Statt einer klassischen Zugabe imitierte ich den Gesang einer Nachtigall. Ich schloss die Augen. Im Saal herrschte unwirkliche Stille und ich fühlte die Nacht um mich aufsteigen. Eine helle, strahlende Nacht, in der die Nachtigall ihren Geliebten ruft. Als ich die Augen öffnete, fürchtete ich die Reaktion des Publikums und als ich zu meiner Rechten die schwarzen Augen meines Vaters blitzen sah, fürchtete ich sogar um mein Leben. Der Erlös dieser Veranstaltung nämlich sollte mir mehr Türen öffnen, höhere Studien ermöglichen, die mein Vater nicht zahlen konnte. Er hatte sogar einen Artikel in der Gazetta di Genova veranlasst, der die Leute zum Kommen zusammentrommelte. Und da waren sie nun, viele neugierige Genueser, die mein Konzert rasend beklatschten und denen ich als Dank zum Abschluss Vogelgesang präsentierte. Würden sie es mir verübeln? Die seltsame Ruhe, die eintrat, nachdem ich meine Geige abgesetzt hatte, machte mich nervös. Ich tänzelte verlegen hin und her, da streifte mein Blick meinen Vater. Er lächelte. Nein, mehr noch. Er lachte und mit ihm lachten plötzlich alle. Und diese amüsierten Lacher schickte der Sturm wie kleine Wellen den großen Wellenbrechern voraus. Sekunden später erzitterte das Teatro unter dem Beifallsgetöse des Publikums. Ich hatte gewonnen. Vater erwog nun wenigstens den Gedanken an eine gute Geige. Und dieser Gedanke ging in ihm um. Er erkundigte sich, besuchte Musikhandlungen, ließ sich in die Geigenmacherzunft einweihen, aber zögerte.

      Mein Konzert hörte auch ein junger Mann, den sie als den Marchese Giancarlo Di Negro ansprachen und sich dabei verneigten. Unglücklicherweise sah ich ihn erst am Schluss der Vorstellung, denn wäre mir seine Anwesenheit aufgefallen, hätte ich meine Variationen über „La Carmagnola“ nicht gespielt. Vater sagte, es sei nicht ratsam, einen Adligen an die Jakobiner zu erinnern. Vor allem nicht jetzt, da in Frankreich die Köpfe der Blaublütigen rollten. Mein Lehrer Luigi ist Jakobiner, nur Vater weiß es nicht. Er hat mir einen Kopfputz gezeigt, den sie die phrygische Mütze nennen und die von den Jakobinern Frankreichs getragen wird. Mein Lehrer Luigi ist schuld daran, dass ich die Melodie von „La Carmagnola“ kenne. Nachdem er sie mir einmal vorgesungen hatte, echote sie in meinem Kopf und löste einen bunten Reigen von Bildern aus. Bilder der Vergangenheit, farbige und graue Bilder, Bilder aus meiner frühen Kinderzeit. Später saß ich im Zimmer unserer düsteren Wohnung, am Tisch unterm Fenster, vor mir das vollgeschriebene Blatt. Ich starrte auf die Zeichen, die Schlangenlinien und erkannte unter ihnen, dort auf dem Blatt, einen Jungen, bis über die Ohren in ein grau-weißes Laken gehüllt. Nur das dunkle Haupthaar drängt widerspenstig über den Rand der Decke. Der Junge ist tot, dachte ich und musste weinen. Schnell drehte ich das Blatt um, aber da kamen sie. Runde, schwarze Köpfchen, die auf Haken saßen, Kaulquappen ähnliche Wesen, die sich an ihren Schwänzen festhielten. Eine heftige Welle Zorn schüttelte mich. Nein, nicht weinen, nicht leiden und bemitleiden, tobte es in mir. Ich werde den Jungen aufwecken. Und dann kamen sie wieder, die runden schwarzen Köpfchen, die auf Haken saßen. Sie flossen aus meiner Feder. Mein erstes Werk, aufgebaut auf der schlichten Melodie der „La Carmagnola“. „Weißt du, woher der Titel kommt“, hatte mich Luigi gefragt. „Woher soll ich es wissen?“, fragte ich zurück. Meine Ungezogenheit lächelnd übergehend erklärte er es mir. Urheber waren Bauern aus Carmagnola, einem Dorf bei Turin. Sie wanderten nach Frankreich aus, ließen sich in Marseille nieder, lernten Französisch, aber trugen weiterhin ihre Tracht, eine Samtjacke mit zwei Knopfleisten, die Carmagnola. Bauern und Arbeiter sind das Volk, das vom Klerus dumm gehalten wird und vom Adel ausgesaugt. Daher der Name des Liedes.

      An all das erinnerte ich mich, als ich den Marchese wahrnahm. Ich bekam einen feuerroten Kopf. Noch während des tosenden Applauses ging ich von der Bühne ab. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich meinen Vater. Er stand beim Marchese und lachte. Ja, er lachte! Wie war es möglich? Ein Revolutionslied musste den Marchese doch beleidigen und aufbringen. Einmal hinter der Bühne, dachte ich an Flucht. Aber wohin hätte ich mich flüchten können? Und überhaupt, da näherten sie sich schon, mein Vater und der Marchese. Sie lachten noch immer. Nun ja, vielleicht habe ich sie mit dem Vogelgezwitscher so gut amüsiert, dass „La Carmagnola“ ganz in Vergessenheit geraten war.

      „Niccolò, warum hast du es so eilig? Der Marchese möchte dir gratulieren.“

      Gratulieren? Dann musste er die Carmagnola überhört haben. Wie wunderbar! Ein unpolitischer Mensch vermutlich. Vater trat dicht an mich heran, beugte sich an mein Ohr und sagte mit gerührter Stimme:

      „Der Marchese Di Negro ist ein weitgereister Mann und hält dich für den begabtesten Geiger unter der Sonne. Er fände keine Ruhe mehr, sagte er, würde er die Gelegenheit versäumen, dir den Weg an die Spitze zu ebnen.“

      So bebend spricht Vater nur, wenn wichtige Personen zugegen sind. Bei Mama hören sich seine Sätze ganz anders an. Meistens schreit er sie hinaus und schreit er nicht, dann schnoddert er sie unverständlich in seinen Bart. Ich verneigte mich vor dem Marchese.

      „Unglaublich, ja, ganz unglaublich fand er deine Variationen über ‚La Carmagnola‘.“

      Ich hob den Kopf und sah völlig verwirrt und ungläubig in ein begeistertes Gesicht.

      „O mio dio!“, brach es ungestüm aus dem Marchese heraus. „Was du aus dieser Melodie geschaffen hast, ist einfach wunderbar. Und das mit zwölf lächerlichen СКАЧАТЬ