Religiöse Erwachsenenbildung. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Erwachsener führen. Bestehende gesellschaftliche Konflikte werden durch offene oder subtile Gewaltverhältnisse unterdrückt und hindern dadurch Menschen – gegen ihre eigenen Interessen – dem Impuls einer verheissenen Freiheit zu folgen. «Einschüchterung und Angst und ihre seelischen und sozialen Folgen machen lernunfähig. Wo Menschen im Konflikt lernunfähig geworden sind, gelingt die Wiederherstellung ihrer intellektuellen, affektiven und sozialen Kräfte, ihrer Chancen menschlichen Wachstums nur so, dass der unterdrückte Konflikt und seine Folgen thematisiert und zum eigentlichen Lernfeld gemacht werden. Eingeschüchterte Menschen lernen nur im Konflikt und am Konflikt.»57 Mit diesen Worten beschreibt Ernst Lange die Grundzüge seines Programms einer konfliktorientierten Erwachsenenbildung, einer Partei ergreifenden Erwachsenenbildung für die lernunfähig gewordenen bzw. gemachten Menschen.58 Evangelische Erwachsenenbildung habe in diesem Kontext die besondere Aufgabe, `Sprachschule für die Freiheit´ zu sein.

      Ernst Lange hat keine eigenständige Theorie oder gar eine geschlossene Konzeption kirchlicher bzw. Evangelischer Erwachsenenbildung entfaltet. Seine wenigen Veröffentlichungen zur Erwachsenenbildung zwischen 1969 und 1974 waren als Vorträge für einen bestimmten Adressatenkreis konzipiert. Dennoch wurde sein Ansatz zum wichtigen Impuls für künftige Theoriemodelle und auch für die Praxis der Evangelischen Erwachsenenbildung.59 Sein Verdienst sehe ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – im Wahr- und Ernstnehmen der psychosozialen Wirklichkeit der Adressaten, in seinem grundlegenden Modell der Verbindung von Tradition mit Situation. Dabei betont er die Freizeit als den spezifischen Ort der religiösen Erwachsenenbildung, der er eine eigene Dignität zuspricht. Er entwickelt in den biblischen Verheissungen einen Zielhorizont, der nicht vorschnell in Lernziele überführt wird. In Zeiten permanenter Transformationen muss sein ‹Ruf nach vorwärts› allerdings durch ein reflexives Programm des Innehaltens und Entschleunigens ergänzt werden. |33|

      3.2. Gottfried Orth: Evangelische Erwachsenenbildung als Option für die Armen 60

      Mit seiner Habilitationsschrift «Erwachsenenbildung zwischen Parteilichkeit und Verständigung»61 legte der evangelische Theologe Gottfried Orth ein Theoriemodell zur theologischen Erwachsenenbildung62 vor, das eine grosse Nähe zur Konzeption Ernst Langes und zu dem befreiungstheologischen Ansatz Paulo Freires aufweist. Gottfried Orth, lange Jahre theologischer Referent der Deutschen Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE), versucht dabei explizit, sein Modell einer theologischen Bildungsarbeit im Kontext Evangelischer Erwachsenenbildung «als Bildungsarbeit der evangelischen Kirche im Rahmen des Vierten Bildungsbereichs und seiner staatlichen Rahmenbedingungen theoretisch zu begründen und konzeptionell zu entwerfen».63

      Bereits in der Einleitung seiner Habilitationsschrift geht er von der Prämisse aus, es gebe keine universal gültige Theologie, denn «die konkrete Wirklichkeit als ein Ort göttlicher Offenbarung [sei] sozialwissenschaftlich zu analysieren, damit Theologie auch analytisch beschreiben kann, wovon sie spricht, wenn sie von Wirklichkeit redet».64 Nach seiner Meinung sind Gesellschaft und Kirche in Westeuropa Teil und Profiteure eines Herrschaftssystems, das fortwährend Armut, Not und Unterdrückung in Lateinamerika, Asien und Afrika produziert.

      Unter diesem Vorzeichen einer schuldhaften Verstrickung hat die Theologie bzw. theologische Erwachsenenbildung die Aufgabe, «zur Befreiung aller Menschen, zuerst der Armen und Unterdrückten beizutragen. Gott selber als Befreier wird zentrales Thema solcher Theologie sein.»65 Die unbedingte Solidarität mit den Armen wird zum konstitutiven Kriterium für glaubhafte christliche Existenz. Das bedeutet für seine evangelische Bildungsarbeit im pluralen staatlichen Weiterbildungssystem, dass «Bildungsbenachteiligte und Bildungsungewohnte – Arme, Arbeitslose, Behinderte, Frauen – erste Adressaten sowie Subjekte»66 seiner Konzeption theologischer Erwachsenenbildung sind. Es gilt daher, deren Erfahrungen von Unterdrückung und Armut sowohl biografisch aufzuarbeiten als auch die |34| gesamtgesellschaftlichen Macht- und Unterdrückungsmechanismen, die Armut und Unterdrückung produzieren, mit dem Ziel der Veränderung aufzudecken.

      Den theologischen Zielhorizont für die anzustrebenden Veränderungen entwickelt Orth aus den biblischen Verheissungen. Es geht der theologischen Erwachsenenbildung «um eine Veränderung der gegenwärtigen Wirklichkeit aus der Zukunft des den Menschen vorausseienden Gottes her; dies zu denken ist freilich nur möglich, weil die Vergangenheit dieser Zukunft uns in Gottes Wort der Verheißung gegenwärtig ist».67 Die konkrete, gegenwärtige Wirklichkeit wird nicht in ihrer Faktizität, sondern von ihren zukünftigen Möglichkeiten her, für die Gott in Jesus Christus einsteht, zum Thema der Erwachsenenbildung. Er verweist auf die alttestamentlichen Propheten als Vorbilder dieser Konzeption einer theologischen Erwachsenenbildung, da sie «die alten Verheißungen und die neu ergangenen Worte Jahwes von der Gegenwart her und auf diese hin verstanden und zu konkretisieren wußten und auslegten».68 Ihre besondere Qualität habe in der Fähigkeit bestanden, die geschichtlichen Bewegungen und die Veränderungen ihrer Gegenwart wachsam wahrzunehmen und auf diese Wahrnehmungen mit ihren Verheissungen zu reagieren.

      In der Bildungspraxis werden Menschen aus dem Umfeld des konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung faktisch zu den primären Adressaten von Orths Konzeption. Andere inhaltliche Zielsetzungen und Arbeitsschwerpunkte beurteilt er recht ungnädig, denn diese bewegten sich bezüglich der gesellschaftlichen oder politischen Organisiertheit der Teilnehmenden in einem «luftleeren Raum», die Teilnehmenden seien vor und nach den Veranstaltungen «individualisiert», die Angebote seien «folgenreich oder ebensogut folgenlos»69; solche Ansätze wollten überall sein und seien daher nirgends, da sie ihren gesellschaftlichen Ort verloren hätten.

      Orths Theoriemodell besticht durch sein klares theologisches Profil und seine immanente Stringenz. Doch sein Modell ist eindimensional, es wird bestimmt durch seinen Zielhorizont und hat als Zielgruppe nur die Menschen im Blick, die seinen gesellschaftspolitischen Anspruch teilen. Die plurale soziokulturelle und psychosoziale Wirklichkeit der Adressaten wird ebenso ausser Acht geslassen wie die institutionellen Rahmenbedingungen von Institutionen der religiösen Erwachsenenbildung. |35|

      3.3. Rudolf Englert: Religiöse Erwachsenenbildung als perspektivenverschränkende Bildung70

      Das Christentum, vor allem aber die katholische Kirche, befindet sich durch massive gesellschaftliche und christentumsgeschichtliche Veränderungen in einer Zwischen-Zeit, in einer Jahrzehnte andauernden Zeit des Übergangs von einer volkskirchlich geprägten Sozialform des Christentums zu einer neuen, noch wenig konturierten Form kirchlich gebundenen Christseins. Mit dieser Formel charakterisiert Rudolf Englert in seiner breit angelegten Habilitationsschrift71 die religiöse Gegenwartssituation. Auch wenn Englert bereits am Beginn seines Eingangskapitels zu Recht betont, dass eine zeitgemässe Bildungstheorie eine Zeitdiagnose voraussetzt72, bezieht er sich in der Folge explizit und ausschliesslich auf die religiöse Gegenwartssituation, die er aus einer überwiegend katholisch akzentuierten Perspektive betrachtet. Denn es geht Englert um religiöse Erwachsenenbildung, die er als jenen Teilbereich kirchlicher Erwachsenenbildung definiert, «in dem es um die Bearbeitung grundlegender Lebens- und Sinnfragen im Horizont religiöser Traditionen geht».73 Erwachsenenbildung als Teil des staatlichen Weiterbildungssystems tritt ebenso zurück wie eine Analyse der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur. Ungeachtet dieser Einschränkungen beeindruckt Englerts Ansatz einer höchst differenzierten erwachsenendidaktischen Reflexion der Herausforderungen einer religiösen Erwachsenenbildung durch die Moderne, die sowohl in theoretischer Hinsicht durch die entfalteten Konvergenzen zwischen theologischen und pädagogischen Topoi als auch durch ihre bildungspraktischen Implikationen zu überzeugen weiss.

      Die religiöse Gegenwartssituation stellt sich nach Englert höchst ambivalent dar. Einerseits lässt sich ein Bedeutungsverlust von Kirche und Religion an vielen Parametern aufzeigen – es kann von einer Tradierungskrise des christlichen Glaubens, einer fortschreitenden Entwicklung eines religiösen Indifferentismus gesprochen werden –, andererseits lassen sich auch eine erstaunliche Stabilität volkskirchlicher Verbundenheit, eine Renaissance von Religion(en), fundamentalistische СКАЧАТЬ