Religiöse Erwachsenenbildung. Группа авторов
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СКАЧАТЬ soll, also nicht das Konzept einer Erwachsenenbildung als Verkündigung steht im Vordergrund, sondern das Individuum mit seiner Suche nach und Gestaltung von Identität sowie den Fragen seiner Lebensführung. Die materialen Gehalte christlicher Religion und christlichen Glaubens erhalten in dieser modernen Form biographischer Aneignung von Religion ihren Raum, indem sie zum einen ein Angebot zur Auseinandersetzung und Orientierung darstellen […] und indem sie zum anderen ein Korrektiv zur individuellen Sichtweise und dem daraus folgenden Handeln darstellen, das zur Veränderung ermutigt.»33

      So richtungsweisend und zentral mir – mit Könemann – die Orientierung erwachsenenbildnerischer Praxis an subjekt- und biografieorientierten Konzepten scheint, drängt sich hier dennoch ein kritischer Nachsatz auf. Wenn der Fokus in emanzipatorischer Absicht so stark auf der individuellen Gestaltung von Identität liegt, dann muss gefragt werden, ob damit nicht Bildungsziele gesetzt werden, die auch überfordern können und das Individuum in Stress versetzen. Allgemeiner formuliert: Ist die zugesprochene Möglichkeit, «Identität» selbst «gestalten» zu dürfen, im Grunde wirklich eine befreiende Aussicht? Kann man «Identität» denn überhaupt |25| selbst «gestalten»? Ist sich das Subjekt letztlich so etwas wie «zugänglich», sodass es sich selbst auslegen, verorten und umgestalten kann?

      In Auseinandersetzung mit diesen Fragen hat der US-amerikanische Praktologe Tom Beaudoin einen Aufsatz mit dem selbstredenden Titel «I was imprisoned by subjectivity and you visited me» publiziert.34 Darin diskutiert er postmoderne Subjektivitätstheorien, im Besonderen diejenige von Michel Foucault, und kommt dabei auf einen Text von Dietrich Bonhoeffer zu sprechen, auf das Gedicht aus der Haft «Wer bin ich?»35

      «Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter und fest … Wer bin ich? sie sagen mir oft … Wer bin ich? Sie sagen mir auch … Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiss? Bin ich heute dieser und morgen ein anderer?»36

      Beaudoin spricht von einer «Apophatik des Selbst»: Permanent distanziert sich der Schreiber von der Wahrheit über das eigene Selbst. Verborgen, nicht zugänglich ist sie ihm; wechselnd, vorläufig präsentiert sie sich, fragmentarisch und abhängig von dem, was andere dem eigenen Selbst zuschreiben.37

      Wenn in unreflektierter Weiterentwicklung von Könemanns (äusserst wichtigem!) Ansatz leichthin von gelingender Identitätskonstruktion und damit verbunden von religiöser Selbstauslegung geredet wird, so gilt es kritisch anzumerken, dass die Vorstellung eines sich selbst «zugänglichen Subjekts» längst obsolet geworden ist. Jede geradlinige Rede von «Identität» hält postmoderner Wirklichkeitsdeutung letztlich nicht stand. Der Münchner Sozialpsychologe Heiner Keupp beispielsweise hat auf die brüchigen, vorläufigen Strukturen von «Identität» hingewiesen.38 Er vergleicht sie mit einem «crazy quilt», einem Flickenteppich, in dem Formen und Farben wild und nach kaum nachvollziehbaren Mustern angeordnet werden.

      Im Zug postmoderner Subjektivitätskritik hat sich auch Tom Beaudoin – um auf ihn zurückzukommen – von einem starken Subjektbegriff verabschiedet. Gleichzeitig empfängt er den Besuch: «You visited me», schreibt er im Titel. Mit «The center of our own lives is outside ourselves», konkretisiert er, Bonhoeffer |26| zitierend.39 Leben spielt sich auf einem Grund ab, den wir nicht selber schaffen müssen, der uns zugesagt ist.40 Diese radikale Zusage ist die letzte Wahrheit über menschliches Leben und menschliche Identität. Darum ist es auch nicht die reflexive Selbstthematisierung unserer selbst, sondern – in christlicher Perspektive – «die Konfrontation mit Gottes Selbsterschliessung in Christus», die uns erschliesst, wer wir sind.41 Dieser Spitzensatz des Dogmatikers Dalferth hat für praktisch-theologisches Nachdenken unmittelbare Relevanz. Denn nochmals muss grundlegend gefragt werden: Sollen für die reflexive Selbstthematisierung überhaupt Erzähl-, Diskussions- und Austauchgefässe geschaffen werden, wie dies gegenwärtige erwachsenenbildnerische Bildungsangebote tun, wenn die letzte Wahrheit über den Menschen in Christus verborgen liegt?

      Beaudoin spricht sich für ein Ja aus und greift dabei auf eine Denkfigur aus Bonhoeffers «Ethik» zurück, wenn er sagt: Im Vorletzten hat die reflexive Selbstthematisierung ihren Platz, ihre Berechtigung und ihre Aufgabe.42 Fragmentarisch, vorläufig wird jede Selbstauslegung sein. Geschieht sie im Licht des Glaubens, dann lebt sie aber von der Wahrheit im Letzten, vom Rechtfertigungsgeschehen in Christus. Dieses anzueignen ist die verheissungsvolle Aufgabe religiöser Selbstauslegung im Vorletzten. Reformationstheologisch zugespitzt steht erwachsenenbildnerische Praxis, die mit subjekt- und biografieorientierten Konzepten arbeitet, im Dienst der Freiheit. Sie hütet sich davor, überhöhte Identitätsideale zu setzen und schöpft – ohne als reines «Verkündigungsinstrument» Menschen bloss zu bevormunden – aus der Freiheit des Evangeliums

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      Sprachschule für die Freiheit, Option für die Armen oder perspektivenverschränkende Bildung?

      Zugänge zu ausgewählten Theoriemodellen der Evangelischen Erwachsenenbildung

      Jürgen Wolff

      1. Vorbemerkungen

      Die religiöse Erwachsenenbildung befindet sich im Umbruch. So lautet die Prämisse für die Tagung und dieser entsprechen auch die Wahrnehmungen aus der Bildungspraxis. Traditionelle Bildungshäuser werden aufgegeben, Planstellen werden gestrichen, staatliche und kirchliche Finanzmittel werden reduziert. Diese Veränderungsprozesse in der religiösen Erwachsenenbildung korrespondieren mit grundlegenden gesamtgesellschaftlichen Transformationsmustern, die mit den Begriffen Globalisierung, Beschleunigung, Privatisierung und Individualisierung von Weltanschauungen nur angedeutet werden können. Denn (religiöse) Erwachsenenbildung ist eine Signatur ihrer Zeit. Sie darf nicht nur individualistisch verstanden werden als organisiertes und strukturiertes Lernen von Individuen, sondern zugleich auch als Lernprozess von Erwachsenen, die in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind. Nach diesem Verständnis ist Erwachsenenbildung «sowohl Bildungsgeschehen als auch Bestandteil unseres Bildungssystems und damit Ausdruck eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses.»43 Sie ist eingebunden in eine konkrete kultur- und sozialgeschichtliche Situation und Konstellation, der sie Rechnung tragen muss. Diese gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wiederum wirken zurück auf die Erwachsenenbildungslandschaft.

      Die religiöse Erwachsenenbildung muss sich in einer pluralen, sich permanent verändernden Gesellschaft neu definieren und dabei ihr spezifisches Profil zwischen der Vermittlung der christlich-jüdischen Tradition, den religiös-spirituellen Bedürfnissen Sinn suchender Individualisten und den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen finden. Welche Erkenntnisse aus der Theoriediskussion können Inspiration sein auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen religiösen Erwachsenenbildung? In einem Rückgriff auf drei exemplarische Theoriemodelle der religiösen Erwachsenenbildung soll ein theoriegeschichtlicher Zugang zu dieser Fragestellung unternommen werden, um anschliessend Perspektiven und |28| Herausforderungen für unsere Fragestellung und für die gegenwärtige Bildungspraxis zu skizzieren.

      2. Annäherungen

      Noch immer ist die wissenschaftliche Begleitung und Reflexion der Praxis der religiösen Erwachsenenbildung defizitär. So stellte Martina Blasberg-Kuhnke bereits im Jahr 1995 fast schon resigniert die Frage: «Wie ist das verhängnisvolle Theorie-Praxis-Problem der Erwachsenenbildung zu überwinden, das wissenschaftliche Theoretiker der Erwachsenenbildung und ihre Veranstalter aneinander vorbeiarbeiten lässt, mit der Konsequenz einer weithin theoriearmen Praxis und zahlreicher folgenloser Theorieentwürfe?»44 Leider fühlt sich – nach wie vor – keine wissenschaftliche Disziplin letztlich für dieses Handlungsfeld zuständig, weder die Praktische Theologie noch die profane Erwachsenenbildung/Weiterbildung, am ehesten noch die Religionspädagogik, die die Evangelische Erwachsenenbildung allerdings zumeist СКАЧАТЬ