Название: Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt
Автор: Frank Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862872084
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Ohne weiteren Kommentar stand Leanda auf und winkte Zardioc, ihr zu folgen. Der Kartenmagier konnte den Blick nur schwer von den Karten wenden, er spürte die Drohung fast körperlich, die von ihnen ausging. Schließlich sammelte er sie ein und folgte der Frau in ein vom Hauptraum mit einem blauen gemusterten Vorhang abgetrenntes Zimmer.
Das Kartenbild hatte sein Gemüt verfinstert, alle Leichtigkeit war von ihm abgefallen. Er ahnte, dass ihm weitere Enthüllungen bevorstanden. Ein Kartenbild allein besagte nicht allzu viel, es gab nur einen Hinweis, zeigte die Richtung an. Was jetzt kam, würde womöglich eine deutlichere Sprache sprechen. Hier war das zu finden, was Leanda veranlasst hatte, ihn zu benachrichtigen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie ihn hierher führen würde, und versuchte nun, sich gegen die Angst vor weiteren schlechten Neuigkeiten zu stemmen.
Der Raum war klein und fensterlos und vollgestopft mit Techno-Geräten. Er war der eigentliche Grund für Zardiocs engen Kontakt mit Leanda, der ihn von einem großen Teil der Bevölkerung Farewells isoliert hatte. In einem kleinen Ort sprachen sich ungewöhnliche Verhaltensweisen - noch dazu von einem Angehörigen der angesehenen Magier-Gilde - schnell herum. Besuche bei Leanda waren zwar nicht untersagt, aber nicht gern gesehen. Die Folgen machten sich bald bemerkbar: Man ging Zardioc aus dem Weg, die Gilde strafte ihn mit sichtbarer Verachtung und machte ihm das Leben schwer. Er hatte am eigenen Leib die negativen Seiten der strengen Sitten und ungeschriebenen Gesetze der Gemeinschaft zu spüren bekommen, die ihm früher nur Schutz und Geborgenheit vermittelt hatten.
Leanda hatte die Öllampen angezündet, und auch diesmal ergriff Zardioc wieder eine eigenartige Faszination, als er die metallisch schimmernden Geräte betrachtete. Manche türmten sich unter einem Gewirr von Kabeln und Antennen bis zur niedrigen Decke. Leanda machte sich an ihnen zu schaffen, sie hatte kaum Platz, sich zu bewegen.
Zardioc war mit der Abneigung der Gilden gegen jede Art von Technik und Technologie aufgewachsen. Die Gründe dafür lagen weit in der Vergangenheit und waren nur in Mythenform überliefert. Diese Geschichten berichteten ausnahmslos von Unglücken und Katastrophen im Zusammenhang mit dem Gebrauch technischer Errungenschaften.
Natürlich war bekannt, dass es genug Lebensgemeinschaften gab, die sich auch hochentwickelter Technik bedienten, ohne dass es je zu solchen Verhängnissen gekommen war. Farewell jedoch vermied, wo immer es ging, den Kontakt mit solchen Völkern.
Zardiocs erste Begegnung mit Leanda war aufgrund eines Auftrages der Gilde erfolgt, ihr eine Nachricht zu überbringen. Ein Auftrag, den er nur zu gern abgelehnt hätte, denn wer wollte schon etwas mit der »Alten am Berge« zu tun haben, über die teilweise beängstigende Gerüchte in Umlauf waren. Aber er war bestimmt worden und musste die Regeln ohne Widerspruch einhalten. Damals hatte er Leanda in diesem Raum überrascht. Nachdem er dem ersten Impuls von panikerfüllter Flucht widerstanden hatte, hatte sie ihm in Ruhe erklärt, womit sie sich gerade beschäftigte. Er erkannte bald, dass Leandas Tätigkeit nichts Gefährliches oder Verabscheuungswürdiges darstellte. Trotzdem wirkten die Verbote der Gilde wie eine Barriere, doch seine Neugier siegte über die anerzogene Abneigung, und er kam trotz der ihm bewussten Folgen öfter herauf, um sich weitere Erklärungen anzuhören. Die meiste Zeit verwandte Leanda darauf, mit Hilfe ihrer Techno-Geräte Informationen und Meldungen von anderen Gemeinschaften zu empfangen und in Kommunikation mit diesen zu treten.
Im Verlauf seiner Zusammenkünfte mit Leanda hatte sich Zardiocs Weltbild ständig erweitert, ja geradezu umgekrempelt. Ausschlaggebend dafür waren die Berührungen mit den Lebensweisen anderer Gemeinschaften über Leandas Techno-Anlage, die sich mitunter unvorstellbar von der in Farewell unterschieden.
Die Sippen in Farewell lebten relativ abgeschieden in ihrem Tal. Mit einigen Nachbar Stämmen wurden unbedeutende Handelsbeziehungen unterhalten, doch Farewell war eine Selbstversorgergemeinschaft und von daher unabhängig. Natürlich war bekannt, dass Menschen woanders auf ganz andere Weise zusammenlebten, und manchmal war sogar von Städten die Rede, in denen so viele Menschen wohnen sollten, wie sich niemand auch nur annähernd vorstellen konnte. Und niemand kümmerte sich auch darum. Das waren Probleme, die die Einwohner Farewells nichts angingen, von denen sie sich fernhielten, denn die Außenwelt war chaotisch, unstrukturiert, manchmal gar bedrohlich. Das Sippenleben verlief einfach und unkompliziert, in geregelten Bahnen, die sich seit Jahrhunderten kaum geändert hatten. Es kam immer wieder vor, dass einige von den Gilden Ausgebildete ihre Sippen verließen, um ihre Fähigkeiten woanders nutzbringend einzusetzen, aber das unterbrach den Ablauf des Alltags in Farewell nicht, und die Fortgegangenen kehrten meist nicht zurück. Und wenn doch, wurden sie gemieden.
Zardioc erinnerte sich noch an den Tag, an dem der Nicht-Mensch in das Tal gekommen war. Es hatte große Aufregung geherrscht und die geruhsame Ordnung war empfindlich gestört worden. Als kleiner Junge hatte ihn das Aussehen des Fremden verschreckt: lange Fühler an der Vorderseite einer seltsam deformierten Gestalt und ein gepanzerter Rumpf auf vier staksigen Beinen, auf denen sich der Fremde anmutig fortbewegte. Seine Mutter hatte Mühe, ihn zu beruhigen. Trotz aller Unruhe, die sein Erscheinen mit sich brachte, war der Nicht-Mensch freundlich aufgenommen und zuvorkommend behandelt worden. Doch die Gildenmeister waren sichtlich erleichtert, als er Farewell nach einigen Tagen wieder verließ. Die abendlichen Gespräche in der Sippe kreisten noch lange danach um dieses Ereignis.
Mit den Techno-Geräten in der Behausung Leandas waren für Zardioc Kontakte mit anderen Gemeinschaften, mit Menschen in Städten oder auch mit Nicht-Menschen schon lange nichts Außergewöhnliches mehr. Wenn er wollte, konnte er inzwischen die Verbindungen selbst herstellen, Leanda hatte ihm die Bedienung der meisten Apparate erklärt. Ein Hauch von Faszination war trotzdem geblieben.
Inzwischen war die gesamte Anlage in dem kleinen Raum zum Leben erwacht: Displays und Anzeigen leuchteten in verschiedenen Farben, huschten über Skalen und Sichtschirme, ein summender Ton erfüllte die Luft.
Leanda schien mit ihren Bemühungen nicht zufrieden zu sein. Sie schimpfte halblaut vor sich hin, ihr massiger Körper schwankte auf und ab und ihre Finger nahmen weitere Einstellungen und Korrekturen vor.
Zardioc, der wegen seiner Größe den Kopf in dem Raum einziehen musste, wurde langsam ungeduldig.
»Was ist los? Was willst du mir so dringend zeigen?«
Doch die Frau beachtete seine Proteste nicht und fuhr in ihrer Arbeit fort. Es hatte keinen Sinn, sie in solchen Momenten weiter zu drängen, deshalb versuchte Zardioc selbst, genauer zu beobachten, um herauszufinden, was Leanda störte. Alles schien zunächst in bester Ordnung, die Stationen waren sende- und empfangsbereit. Dann entdeckte er, dass mehrere kleine Bildschirme der Funkanlage blinkten und flackerten, als wollten sie gleich wieder verlöschen.
»Ich bekomme zu wenig Energie für die Schirme,« schnaubte Leanda ärgerlich. »Aber es ist doch schon öfter vorgekommen, dass die Sichtverbindungen nicht funktionierten,« wandte Zardioc ein.
»Natürlich. Aber dabei handelte es sich immer um Störungen aufgrund großer Entfernungen, die Reichweite ist eben beschränkt, die Anlage ist ziemlich veraltet. Diesmal aber bauen die meisten Schirme gar kein Feld auf.«
Konnte es denn wirklich an der Energiezufuhr liegen? fragte sich der Kartenmagier. Erst vor kurzem hatte Leanda ihm erklärt, dass die Batterien noch für Jahrzehnte ausreichen würden.
»Komm her, junger Freund,« rief sie ihn zu sich. Anscheinend hatte sie die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen eingesehen.
Sie winkte ihn zu sich heran.
»Jetzt bist du an der Reihe. Rufe einfach die dir bekannten Stationen an.« Zardioc sah sie unsicher an. Warum verlangte sie das von ihm?
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