Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt. Frank Westermann
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Название: Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt

Автор: Frank Westermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783862872084

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СКАЧАТЬ zu seinen Weg säumten, ließ er bald hinter sich. Der Pfad wurde steiler und verengte sich weiter, doch er war ihn schon so oft gegangen, dass er glaubte, jeden Stein und Absatz zu kennen.

      Sein vorgelegtes Tempo ließ ihn keuchen, als er die erste Anhöhe erreicht hatte und auf das grüne Tal mit dem sprudelnden Bach und den zierlichen Wisperespen hinuntersah. Kein Zweifel, er war in einer wundervollen Umgebung aufgewachsen, wenn auch weit entfernt von jeglicher anderen größeren Ortschaft.

      Nach kurzer Erholungspause wandte er sich wieder dem Aufstieg zu. Er hatte es nun nicht mehr allzu weit, und der Rest des Weges würde ihn nicht mehr so viel Anstrengung kosten. Die Vegetation war merklich spärlicher geworden und bestand hauptsächlich aus gebeugten Krüppelkiefern und Kriechmoosarten. Eine Schar Blauenten flatterte in niedrigem Flug über ihn hinweg und erfüllte die Luft mit ihrem melodischen Gesang.

      Trotzdem wurde er nervöser, je näher er seinem Ziel kam, die Umgebung verschwand vor seinen besorgten Gedanken. Die Dringlichkeit von Leandas Ruf war außergewöhnlich, und sie hatte ihn noch nie aus einer Unterweisungsstunde geholt.

      Eine halbe Stunde später tauchte ihre Hütte in seinem Blickfeld auf. Sie kauerte unter einem Felsvorsprung in der Nähe des kleinen Wasserfalls. Zardioc fragte sich zum wiederholten Mal, woher Leanda ihre Lebensmittel bezog. Allein von den kümmerlichen Gewächsen und dem geringen Fischbestand konnte sie sich wohl kaum ernähren, und der felsige Boden ließ eine Bewirtschaftung nicht zu. Doch dies war eines der vielen kleinen Geheimnisse, die sie für sich behielt.

      Die Tür stand einen Spalt weit offen, ein Zeichen dafür, dass er schon erwartet wurde. Er musste sich unter der niedrigen Tür bücken, um nicht mit dem Kopf gegen den Rahmen zu stoßen. Helles Sonnenlicht fiel durch das große Fenster und erleuchtete den Hauptraum. Leanda saß auf ihrem üblichen Platz auf den bunten Decken. Ein leises Lächeln umspielte ihr schwarzes Gesicht. Wieder kam sie ihm so jung vor, obwohl sie mindestens 30 Jahre älter sein musste als er. Ihre langen Haare fielen bis auf den Boden, die gedrungene Gestalt ließ die Behändigkeit und Zähigkeit nicht vermuten, die in ihr steckten.

      Unaufgefordert setzte sich Zardioc ihr gegenüber und akzeptierte den dampfenden Becher, den sie ihm hinhielt. Vorsichtig probierte er einen Schluck, musste husten und setzte den Becher wieder ab. Wie immer musste er sich erst an den beigefügten scharfen Kräuterschnaps gewöhnen. Aber gut schmeckte es allemal.

      Vor langer Zeit, noch bevor er geboren war, war Leanda aus ihrer Gilde ausgestoßen worden und hatte sich hierher in die Berge zurückgezogen. Die Ereignisse, die zu dieser außergewöhnlich harten Maßnahme geführt hatten, lagen im Verborgenen und wurden nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählt. Wahrscheinlich waren die ursprünglichen Tatsachen inzwischen auch so oft abgeändert worden, dass die Wahrheit nicht mehr herauszuhören war. Zardioc glaubte jedenfalls kaum ein Wort von dem, was ihm ab und zu zugeflüstert wurde.

      Warum hast du mich so plötzlich aus dem Unterricht geholt?« eröffnete er das Gespräch ungeduldig und, wie er feststellte, auch etwas ärgerlich.

      Hast du deine Karten dabei?« fragte Leanda mit ihrer tiefen Stimme zurück, ohne auf den versteckten Vorwurf einzugehen.

      »Du weißt doch, dass ich mich nie von ihnen trenne.«

      Leandas Gesicht drückte Konzentration und Besorgnis aus. Zardioc schluckte seine Verstimmung hinunter. Er wusste, was sie von ihm erwartete, seine Fragen würden auf diese Weise beantwortet werden.

      Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er das Päckchen Karten aus der Innentasche seines dunkelblauen Schülerumhanges, den die Symbole der Magier-Gilde zierten. Eine jeden Abend wiederholte Kurzformel hielt die Karten sauber und zusammen. In seinen Fingern lösten sie sich voneinander, und er begann, sie zu mischen. Sofort stellte sich auch bei ihm Konzentration ein. Die Anzahl der aufgedeckten Karten sowie das Muster, das sie bildeten, entsprangen seiner Intuition. Der Ablauf des Kartenlegens geschah in einer einzigen fließenden Bewegung.

      Vier Karten lagen zwischen ihm und Leanda auf dem Boden, angeordnet in einer geraden Linie. Schon der erste Blick genügte ihm, die Frage nach dem Grund seines Hierseins zu beantworten: Er hatte ausschließlich hohe Kampfkarten gezogen.

      Erschrocken beugte er sich vor.

      »Das Blatt ist ... Was hat das zu bedeuten?«

      Es war keine Frage an Leanda. Er wusste, dass sie ihm nicht antworten würde, bevor er selbst eine Interpretation versucht hatte.

      Zardioc riss sich zusammen. Emotionen waren wichtig im Prozess des Kartenlegens, denn darin sollten alle vorhandenen Schwingungen einfließen. Auch der erste Eindruck der aufgelegten Karten äußerte sich meist noch gefühlsbetont, für die genaue Analyse jedoch benötigte er seinen Kopf: nüchterne, präzise Gedankengänge. Beide Aspekte hatte er jahrelang gelernt zu beherrschen - mit mehr oder weniger Begeisterung -, nachdem sich das entsprechende Talent bei ihm unübersehbar gezeigt hatte.

      »Ganz rechts liegt die Weltkarte in ihrer Kampfform. Sie bedeutet - mit Rücksicht auf die Karten neben ihr -, dass der Lauf unmittelbar bevorstehender Ereignisse unsere ganze Welt betrifft und ihr gewaltsame Auseinandersetzungen drohen. Zumindest droht der Erde eine Gefahr, der nur im Kampf zu begegnen ist. Anschließend links, ebenfalls in ihrem Kampfausdruck, sehen wir die Stammes- oder Gildenkarte, was besagt, dass auch wir alle in diesen Kampf mit einbezogen werden und ...« - er stockte kurz -, »... wie aus der dritten Karte ersichtlich, ich persönlich oder eine mir nahe stehende Person ebenfalls.«

      Die Wirkung seiner eigenen Interpretation erschütterte ihn.

      »Wie ist so etwas möglich, Leanda. Seit ich mich erinnern kann, hat es keinen Konflikt gegeben, der nicht auf friedliche Weise beigelegt wurde. Kampf gehört der Vergangenheit an. Niemand kann mehr einen Kampf gewinnen. Und es gibt keinerlei Anzeichen für solch eine Gefahr. Alles ist außerordentlich ruhig und ...«

      »Ruhe kann auch Friedhofsruhe sein,« fiel ihm Leanda ins Wort. »Ruhe und Behäbigkeit sind leicht zu stören. Wenn sich alle in Ruhe lassen, ist das nicht unbedingt positiv. Und was weiß Farewell davon, was an anderen Orten vor sich geht, wenn es sich freiwillig von aller Kommunikation abschneidet, um seine Ruhe zu haben? ... Aber ich schweife ab, du hast die vierte Karte vergessen.«

      Zardioc schüttelte heftig den Kopf, wie um die schweren Gedanken zu vertreiben.

      »Das war Absicht. Ich kann nichts mit ihr anfangen.«

      »Aber irgendetwas muss sie bedeuten.«

      Die vierte Karte zeigte das Symbol der Weltenlinien. Sie war einmalig und existierte nur in dieser einen, unwandelbaren Form. Sie tauchte sehr selten auf und galt gewöhnlich als Bestätigung und Bekräftigung der übrigen Karten. Es kam häufig vor, dass nebensächliche oder unwichtige Karten gezogen wurden. Die Schwierigkeit bestand darin, dies auch zu erkennen. So hatte Zardioc die Karte zunächst ignoriert, dabei aber ein ungutes Gefühl behalten. Jetzt, wo ihn Leanda drängte, verstärkte sich dieses Gefühl, ohne dass er die Ursache kannte.

      »Die Karte verdeutlicht wahrscheinlich noch das Ausmaß der Gefahr,« sagte er zögernd.

      Leanda legte einen Finger auf die Karte und fuhr die Linien des Symbols entlang.

      »Ich weiß selbst nicht, wieso diese Karte mir mehr zu bedeuten scheint. Ich habe den Eindruck, dass sie etwas verbirgt, als wolle sie uns etwas über die Natur, die Art der drohenden Auseinandersetzung erzählen, aber wir wissen es nicht zu deuten. Doch schließlich bist du der Kartenexperte, und wenn du ihr keine Bedeutung beimisst, hast du wohl recht damit.«

      »Ich bin mir nicht СКАЧАТЬ