Theologie im Umbruch. Группа авторов
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Название: Theologie im Umbruch

Автор: Группа авторов

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Christentum und Kultur

isbn: 9783290178451

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      VI.

      In dem im gleichen Jahr 1917 zu Weihnachten erschienenen Predigtband von Barth und Thurneysen, der unter den sachlich höchst bezeichnenden Titel «Suchet Gott, so werdet ihr leben!» gestellt war, ist die zugleich «ontologische und axiologische Grundkategorie»70 «Leben» immer präsent, so wie sie dann auch durchgehend den ersten «Römerbrief» bestimmt, der zu Weihnachten 1918 herauskam. Allein im fünften Kapitel kommt dort Leben als Verb und als Substantiv mehr als 60-mal vor. In der Auslegung von Röm 5,1 schreibt Barth: «In Jesus ist die ursprüngliche, für uns aber neue Natur der Dinge in Gott wieder erschienen, bricht auf, quillt, überströmt, teilt sich mit, will Alles, was ist, hineinziehen in den Rhythmus der ewigen Lebensbewegung, von Gott her, zu Gott hin. […] Kraft dieser ewigen Bewegung, die in Jesus aktuell geworden ist, die aber alle Vorgänge des natürlichen und geschichtlichen Lebens diagonal durchschneidet als das Leben im ‹Leben›, wird jene neue Ordnung, der ‹Friede mit Gott› geschaffen.»71

      Die Herkunft des hier in Anführungszeichen gesetzten «Lebens», d. h. aber des «natürlichen und geschichtlichen Lebens», das vom emphatisch so zu nennenden ursprünglichen Leben «diagonal durchschnitten» wird, erklärt Barth in seiner Auslegung von Röm 5,12 ganz in den Bahnen Hermann Kutters so:

      «Es gibt nur eine Sünde: Das Selbständigseinwollen des Menschen Gott gegenüber. Aus der Unmittelbarkeit des Seins mit Gott fällt der Mensch heraus. […] Er stellt sich betrachtend und beobachtend neben das Leben. […] Er steht nun wirklich neben dem Leben, ausser Gott und darum nicht mehr unter der Ordnung des göttlichen, sondern unter der ebenso systematischen und folgerichtigen Unordnung des widergöttlichen Daseins.»72

      Diese Unordnung, dieses in Anführungszeichen zu setzende «Leben» durchschneidet die ewige, in Jesus aktuell gewordene Lebensbewegung als «das Leben im ‹Leben›». |39|

      VII.

      Es ist dieser Gedanke des ursprünglichen Lebens im natürlichen Leben, des Unmittelbaren im abgeleitet Vermittelten, in dem sich für Barth in dieser Phase Christentum und Sozialismus selbstverständlich begegnen sollten und finden müssten – so fraglos-selbstverständlich, eins in einer Sache, wie Barth es so weder in den vorangehenden noch in den folgenden Jahren ins Auge gefasst und behauptet hat. In den umfassenden Darlegungen über «Die Zukunft des Christentums und der Sozialismus» vom Sommer 1917 führt Barth aus: Im Urteil über den Sozialismus sind nicht entscheidend die Ideen, die Menschen, die erreichten Erfolge. Entscheidend ist vielmehr: Hier brachen «Kräfte» «auf u. wurden wirksam, die das moderne Christentum aller Schattierungen nicht hat», die aber, «wie wir aus dem NT wissen[,] gerade das Wesentliche im Reiche Gottes» sind.73

      «Nur ein Seufzen u. Schreien ist eigentlich das Wesen des Sozialismus, ein hilfloses Ringen des Menschen mit den unpersönlichen Mächten dieser Welt, weil er ein Mensch sein[,] weil er leben möchte der tötlichen Umklammerung des Mammon u. einer mammonistischen Gesellschaftsordnung zum Trotz, ein unpraktisches, ratloses, phantastisches Hungern u. Dürsten nach Gerechtigkeit [vgl. Mt. 5,6] […]. Das ist der Sozialismus – nicht mehr als das – aber das ist er.»74

      «Dieses Unmittelbare im Sozialismus, […] das ist seine Kraft»75 – seine göttliche Kraft, müssen wir präzisieren. Denn «das Unmittelbare, das wir darin spüren», ist «der göttliche Stoss, der da wieder einmal aus der Tiefe gekommen ist ganz abseits von allem religiösen Wesen»76, aber innerlich zusammengehörig mit dem Evangelium, das als «Kraft Gottes» (Röm 1,16) «ein Stoss aus der Tiefe» ist «gleichsam, zur Erneuerung u. Errettung der Kreatur, geführt von dem Gott[,] der sich selber u. darum auch seiner Welt treu bleibt»77. Dass dieser Stoss im gegenwärtigen Christentum anders als im Sozialismus nicht als Kraft spürbar ist, hat seinen Grund darin, dass die Christenheit das Anklopfen des Gottesreiches

      «einfach nicht verstand, sondern sich schleunigst allerhand selbstgestellten Privat- u. Spezialproblemen zuwandte, die an sich wohl wichtig u. nötig wären[,] |40| aber nicht für sich[,] sondern nur im Zusammenhang der Gesamterneuerung des Lebens u. der Welt aus den Kräften Gottes, die der Sinn des Evangeliums ist»78.

      Diese Kritik an der Desorientierung der Christenheit hat neben dem spezifischen auch noch einen generellen Sinn, den wir notieren müssen, weil er die für Barth entscheidend wichtige Umkehrung des Paradigmas betrifft, in dem Theologie und Kirche gewöhnlich das Verhältnis von Gott und Welt begriffen haben. Barth bringt die Umkehrung, die er den beiden Blumhardts verdankt, 1919 anlässlich der Gegenüberstellung von Friedrich Naumann und Christoph Blumhardt in einem Doppelnekrolog so zum Ausdruck:

      «Die kirchliche Auffassung [sc. von der Naumann ausging], dass die Welt im Grossen und Ganzen im Argen liege [vgl. 1Joh 5,19] und liegen bleibe, während allerdings im einzelnen durch die Religion manches gemildert, erleichtert und verbessert werden könne, kehrten sie [sc. die Blumhardts] gerade um: Es gibt im einzelnen auch ohne Religion viel Gutes und Hoffnungsvolles, viele Gleichnisse des Göttlichen in der Welt, sie bedarf und harrt aber im Ganzen einer durchgreifenden Erlösung und Neuordnung, nicht durch Religion, sondern durch die realen Kräfte Gottes.»79

      Die Hoffnung, die in dieser Umkehrung der herkömmlichen Vorstellung von Gott und Welt wirksam ist, würde Robert Spaemann vielleicht auch einen «fast schon ruchlosen Optimismus»80 nennen. Ohne diese Hoffnung ist Barth aber nicht zu denken. Deshalb musste davon hier die Rede sein.

      VIII.

      Doch zurück zum «Leben im ‹Leben›», auf das diese Hoffnung hofft. Es ist für unser Verständnis der Explikationslinie, auf der sich Barths Theologie in diesen Jahren entfaltet, ausserordentlich aufschlussreich, dass wir dem Gedanken vom «Leben im Leben» – wenn nun auch in eine andere, durch den Austausch mit dem Bruder Heinrich Barth bestimmte Tonart transponiert – im Herbst 1919 wieder begegnen: Im Tambacher Vortrag «Der Christ in der Gesellschaft» vom 25. September 1919, den Georg Pfleiderer |41| zutreffend als die «Initialzündung der einflussreichsten theologischen Bewegung des 20. Jahrhunderts» bezeichnet hat.81 Im zweiten Teil des Vortrags, der den Standort feststellen soll, an dem sich Barth mit seinen Zuhörern befindet, wird die Formel vom «Leben im Leben» wieder aufgenommen: «einmal des Lebens im Leben bewusst geworden»82, schauen wir aus «nach einem wurzelhaften, prinzipiellen, ursprünglichen Zusammenhang unseres Lebens mit jenem ganz andern Leben» Gottes83. Es kann nicht anders sein: «der lebendige Gott», der uns nötigt, «auch an unser Leben zu glauben», bringt uns damit zum Leben – zum «Leben» in Anführungszeichen – «in kritischen Gegensatz».84 Unsere Seele ist «erwacht […] zum Bewusstsein ihrer Unmittelbarkeit zu Gott, d. h. aber einer verloren gegangenen und wieder zu gewinnenden Unmittelbarkeit aller Dinge, Verhältnisse, Ordnungen und Gestaltungen zu Gott»85. Eben dieses nie nur individuelle, immer auch soziale Erwachen der Seele ist «die Bewegung im Leben aufs Leben hin»86 – im Erstdruck hiess es noch kräftiger: «die Bewegung aufs Leben im Leben hin»87. Das Movens dieser Bewegung ist die Notwendigkeit, alles Leben «am Leben selbst zu messen»88. Damit und darin geschieht «die Revolution des Lebens gegen die es umklammernden Mächte des Todes»89, gegen «die tödliche Isolierung des Menschlichen gegenüber dem Göttlichen»90. An einer Stelle beschreibt Barth die Bewegung, die aus dem «kritischen Gegensatz zum Leben»91 entspringt – gemeint ist natürlich: aus dem kritischen Gegensatz zum Leben als «Abstraktum»92 –, als «Bewegung des Lebens in den Tod hinein und aus dem Tode heraus ins Leben»93.

      Das scheint sich nun aufs engste zu berühren mit einer Aussage im Aarauer Vortrag «Biblische Fragen, Einsichten und Ausblicke» vom 17. April 1920. Barth spricht dort vom «eigentümlichen Rhythmus des Fortschritts: |42| aus dem Leben in den Tod – aus dem Tode in das Leben!, der uns im Mittelpunkt der Bibel entgegentritt»94. Die Verwandtschaft ist offensichtlich. Doch wir müssen genauer zusehen. Diese Aussage im Aarauer Vortrag bezieht sich ja zurück auf die Formulierung, die wie eine Devise, musikalisch СКАЧАТЬ