Theologie im Umbruch. Группа авторов
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Название: Theologie im Umbruch

Автор: Группа авторов

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Christentum und Kultur

isbn: 9783290178451

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СКАЧАТЬ die M. die im Ernst nach Trost fragen. |50|

      Anfang der Predigt vom 26. Oktober 1919

       (Originalgrösse 18 × 11 cm)

      |51|

      Der Anfang des 20. Jahrhunderts und die Schweiz: Versuch einer historischen Situierung der Schriften von Karl Barth

      Regina Wecker

      Um die politischen Rahmenbedingungen und die Zeit näher zu bringen, in der Barth die jetzt in seinen «Vorträgen und kleineren Arbeiten 1914–1921» versammelten Texte verfasste, – und so möchte ich die Aufgabe dieses Beitrags verstehen – habe ich drei Ereignisse ausgewählt: die Landesausstellung 1914, das Fabrikgesetz von 1914/1920 und den Landesstreik 1918. Ereignisse von nationaler Bedeutung und Ausstrahlung, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die zwar in kurzen Abständen, doch in völlig veränderter politischer Landschaft stattfinden. Sie sind Ausdruck der Zeit und ermöglichen einen Einblick in die politische Lage, aber auch in die Befindlichkeit der Schweiz. Die Auswahl von Fabrikgesetz und Landesstreik bedarf keiner weiteren Legitimation, sie gelten als wichtige Einschnitte der Schweizer Geschichte, und zudem hatte Barth sich mit beiden ausführlich auseinandergesetzt.110 Allerdings habe ich diese beiden Ereignisse doch eher aufgrund ihrer Aussagekraft für die Geschichte der Schweiz ausgewählt als in Bezug auf die vielfältigen Schriften von Barth. Die Landesausstellung hingegen dient mir als Folie und Gegenpol, als Ausdruck des politischen Klimas der Schweiz und der Präferenzen der Behörden bei politischen Entscheidungen.

      1. Landesausstellung 1914

      Landesaustellungen haben Tradition in der Schweiz.111 Nach der Zürcher und der Genfer Ausstellung 1883 und 1886 war die Ausstellung in Bern die |52| dritte ihrer Art. Das Ziel bestand gemäss den Vorstellungen des Bundesrates darin, «ein vollständiges Bild der Leistungen des Schweizervolkes» zu bieten. Damit war natürlich vor allem die Leistungsfähigkeit der Schweizer Industrie gemeint. Die Schweiz gehörte zu den am frühesten und am stärksten industrialisierten Ländern Europas: 1910 waren etwa 44 Prozent der Erwerbstätigen im industriellen Sektor tätig. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Landwirtschaftssektor entsprechend an Bedeutung verloren und hatte nur noch gerade einen etwa gleich grossen Anteil wie der aufstrebende Dienstleistungssektor. Die Ikonographie der Ausstellung wies allerdings nicht auf die Bedeutung der Industrie hin: Das Plakat zeigt Reiter und Ross vor einer bäuerlich-idyllischen Landschaft, als Logo dient eine Ähre. Auch die Presse verwies weniger auf die Landesausstellung als Ort der Präsentation der wirtschaftlichen Leistung und der Innovationskraft der Schweiz. Vielmehr warb sie mit dem Charme der Schau, bei der ein traditionelles Unterhaltungsprogramm geboten werden sollte. Der Austragungsort war das «Dörfli» auf dem Berner Ausstellungsgelände, eine einheitliche architektonische Konzeption mit Kirche, aufgeteilt in reformierten und katholischen Teil.

      Die Ausstellung sollte ursprünglich schon 1913 auch als Feier der Eröffnung der Bern-Simplon-Lötschberg-Strecke der Eisenbahn dienen. Damit ist nun wiederum auf die Zielsetzung der Zelebrierung der technischen Errungenschaften hingewiesen: Der Ausbau des Schweizer Eisenbahnnetzes war für die Industrialisierung ein wichtiger Faktor. Allerdings hatte es beim Bau des Lötschbergtunnels einen folgenschweren Unfall mit 25 Toten gegeben, der zur Verzögerung der Eröffnung der Strecke führte und damit auch die Verschiebung der Ausstellungseröffnung auf 1914 nötig machte. Das war aber nicht das einzige Problem. Es hatte im Vorfeld der Ausstellung einige für Landesausstellungen ungewöhnlich scharfe Auseinandersetzungen gegeben, die deutlich auf Probleme der Schweiz in dieser Zeit hinweisen. Die Westschweizer hatten sich nicht nur über das «Spinatross» lustig gemacht, ein anderes Logo verlangt und auch erhalten, sondern sie hielten sich auch darüber auf, dass die deutschen Aussteller zu stark vertreten waren und die Ausstellung in ihrem Stil zu stark auf die Deutschschweiz, ja mit dem «Style de Munich» auf Deutschland ausgerichtet sei. Einige Industrielle hatten einen Boykott erwogen, als der Auftrag zum Bau eines zweiten Simplontunnels an ein ausländisches Unternehmen ging. Zudem hatte der Konflikt zwischen dem auf Tradition bedachten Gewerbe und |53| der «profitorientierten» Industrie zu dieser skeptischen Haltung beigetragen. Schliesslich kritisierten Industrieunternehmer die «einseitige» Sozialpolitik des Bundes zugunsten der Arbeiterschaft, die in der Revision des Fabrikgesetzes zum Ausdruck gekommen sei, und die finanzielle Unterstützung, die der Auftritt des Arbeiterbundes erhalten sollte.

      Hier werden also bereits Probleme sichtbar, die später in bei weitem heftigerer Form ausbrechen werden. Die Eröffnungsrede des Bundesrates versuchte diese Konflikte zu beschwichtigen: Bundespräsident Arthur Hoffmann wählte in seiner Eröffnungsrede «Lernen wir uns kennen!» als «Wahlspruch für unsere innerpolitischen Verhältnisse». Zielgerichteter drückte sich Bundesrat Gustav Ador aus, als er sich wünschte, «das ganze Volk» solle in der Landesausstellung erfahren, «dass man alles daran wenden muss, um den Antagonismus der Klassen zu vermeiden»112. Die Ausstellung wurde am 15. Mai eröffnet. Bei Beginn des ersten Weltkriegs und der Mobilmachung der Schweizer Armee wurde sie nicht abgebrochen, sondern nur für zwei Wochen unterbrochen und dann Mitte Oktober planmässig geschlossen. Hier wollte man sich nicht vom Krieg stören lassen.

      Anders beim Fabrikgesetz. Die «Vermeidung des Klassenantagonismus» schien bei Ausbruch des Krieges nicht mehr so wichtig. Die Revision des Fabrikgesetzes, von den Unternehmern schon unmittelbar nach der Verabschiedung kritisiert, aber doch nicht durch ein Referendum infrage gestellt, also rechtsgültig, wurde bis nach dem Ende des Weltkrieges ausgesetzt und erst 1920 umgesetzt. Hier wird die Absicht des Bundesrates sichtbar, den Zusammenhalt der Bevölkerung eher durch eine Ausstellung der nationalen Errungenschaften zu erhöhen, als konkret die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiterschaft zu verbessern.

      2. Das Schweizer Fabrikgesetz von 1914

      1877 hatte das erste Schweizer Fabrikgesetz die Arbeitszeiten und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken geregelt. Es galt als international richtungsweisend für die Arbeitsgesetzgebung, weil es die Arbeitszeit auf 11 |54| Stunden festlegte, und zwar für Frauen und Männer, und damit den kantonalen Vorläufern Glarus und Basel folgte.113 Die Fabrikgesetze anderer Länder, z. B. von England, hatten jeweils nur die Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen von Frauen und Kindern geregelt. Die Begründung war, dass man nicht in die Vertragsfreiheit der Männer eingreifen sollte. Das blieb auch für Deutschland so, obwohl man das Schweizer Gesetz zum Vorbild nahm.114

      Karl Barth hatte die Revision von 1914 zum Thema eines Vortrags gemacht,115 und zwar am 19. April, also noch vor der Verabschiedung des Gesetzes in Nationalrat und Ständerat. Das Gesetz wurde dann am 17. und 18. Juni einstimmig von beiden Räten verabschiedet. Ein Referendum wurde nicht ergriffen. Damit erhielt das Werk Gesetzeskraft. Barth referierte beim Grütliverein116 Suhr. Der Grütliverein war eine sozialliberale Arbeiterorganisation und Handwerkervereinigung, die 1901 mit der Sozialdemokratischen Partei fusioniert hatte, aber die selbständige Organisation beibehalten hatte. Barth war diesen sozialen Bewegungen eng verbunden. Er hatte sich bereits mit seiner Bewerbungspredigt zur Pfarrwahl in Safenwil mit der Beziehung zwischen Christentum und Sozialismus beschäftigt und war nach seiner Wahl zum Pfarrer in Safenwil an der Gründung dortiger Gewerkschaftsorganisationen beteiligt. Der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz117 (SPS) trat er dann 1915 bei.118

      Aus den Notizen geht hervor, dass Barth zwar eine schärfere Gesetzgebung, insbesondere bessere Konditionen für die Arbeiter gewünscht hätte119, insgesamt warb er aber für den Kompromiss. Da noch nicht klar war, ob das Referendum ergriffen würde, war für eine allfällige Abstimmung die Unterstützung der Arbeiterschaft wichtig. |55|

      Das erste Fabrikgesetz von 1877 und seine späteren Revisionen waren ein Erfolg СКАЧАТЬ