Название: Inseln der Macht
Автор: Frank Westermann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Andere Welten
isbn: 9783862871810
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Sie hielten mich für einen Flüchtling. Wahrscheinlich befand ich mich irgendwo auf den Südlichen Inseln. Dazu passten auch die Hautfarbe der Leute und das Klima. Aber was hatte das alles zu bedeuten? Oder hielt ich mich vielleicht sogar in einer dritten Realität auf, machte plötzlich Realitätswechsel wie Lucky? Oder war ich total durchgedreht?
Ich musste versuchen, es zu akzeptieren. So schwer es mir fiel. Sonst würde ich wirklich verrückt werden. Ich musste mir immer wieder sagen: ich bin auf den Südlichen Inseln!
Ich unterbrach mein Essen einen Augenblick.
»Entschuldigen Sie, aber wer hat den Krieg gewonnen, Neu-Ing oder die Inseln, oder ist er noch im Gange?« beschloss ich Näheres rauszufinden.
»Was soll das?« brüllte der Major sofort.«Jedes Kind weiß, dass wir den Krieg gewonnen haben. Neu-Ing ist eine heruntergekommene Kolonie. Hätten wir es nicht besetzt, wäre es von selbst in Trümmer gefallen.«
Also, die alte Realität oder zumindest eine sehr ähnliche.
»Sie erinnern sich also an den Krieg?« hakte der Arzt ein.
»Nur dass er kurz bevorstand.«
Der Schmächtige runzelte die Stirn.
»Lassen wir's erst mal dabei.«
Das sollte wohl eine Art Verabschiedung sein. Jedenfalls machten die Vier Anstalten, die Zelle zu verlassen.
»He!« rief ich kraftlos hinterher. »Warum bin ich überhaupt hier.«
Einer der Wächter brach in Lachen aus und der Major fuhr mich an: »Selbstverständlich bist du Kriegsgefangener. Wir haben deine gesamte Akte vom Cop-Center aus Neu-Ing übernommen. Das reicht wohl.«
Die Tür krachte ins Schloss. Es reichte wirklich. Ich brach auf dem Bett zusammen und heulte alles aus mir raus. Ich musste stundenlang so gelegen haben, ohne mich rühren zu können. Zum Schluss ging mir nur noch Traumschwester durch den Kopf, dann gar nichts mehr. Irgendwann kriegte ich plötzlich Angst, dass ich einfach so sterben könnte, und ich setzte mich mühsam auf, strich mir die Haare aus dem verheulten Gesicht und begann den Rest Brei runterzuwürgen und das Wasser zu trinken.
Ich versuchte mich umzustellen, die Stammeswelt als Vergangenheit zu betrachten. Ich musste mich dazu zwingen, mir das ins Gedächtnis zurückzurufen, was ich über die Südlichen Inseln wusste. Viel war es nicht: tropisches Klima, wenig industrialisiert und als Regierungsform eine Diktatur.
Dann verbrachte ich wieder eine Zeit zwischen Alpträumen und Halbschlaf, bis ich irgendwann auf den Gedanken kam, dass ich mich entscheiden musste: entweder ich gab auf und gab mich meiner Hoffnungslosigkeit hin oder ich versuchte zu überleben, mit der Situation fertig zu werden und auf eine Chance zu warten, wenn ich mir selbst keine schaffen konnte.
Da mir das Sterben nicht so behagte, entschied ich mich fürs Zweite. Dabei war mir klar, dass ich die Entscheidung vielleicht rückgängig machen würde, wenn ich keinen Ausweg sah. Aber bis ich nicht wusste, wie meine Chancen standen, konnte ich bestimmt durchhalten.
Was mich am meisten verwirrte, war dieses Durcheinander mit den Realitäten. Kaum dachte ich, etwas Durchblick zu haben, da verflüchtigte sich wieder alles. Ich hatte langsam den Eindruck, als Spielfigur hin-und hergeschoben zu werden. Waren nun meine Erlebnisse in der Stammeswelt nur Illusion gewesen? War ich in Wirklichkeit irgendwann geistig weggetreten und aus irgendeinem Grund zu den Inseln verschleppt worden? Was war dann aus den anderen geworden, aus Winnie, Lucky, Flie, Yuka und Vic? Oder aus den »Traumgestalten« Adlerauge, Cuper, Willoc und Traumschwester? Waren sie weniger wirklich? Oder gab es für jeden eine eigene Realität und die Realitätsebenen hielten verschiedene Eigenrealitäten in einem Zusammenhang? Dann musste bei mir irgendwie der Zusammenhang gerissen sein.
Mir drehte sich der Kopf vor so viel Theorie, und ich musste mich wieder hinlegen. Vielleicht konnte ich erst wieder etwas Ordnung da reinbringen, wenn ich mehr Informationen und einen klareren Kopf besaß. Falls sie mich nicht vorher umbrachten. Schließlich wollten sie was von mir, und ich wusste es nicht. Ich konnte ja nichts von einem Traum erzählen.
Zwei Sachen waren für mich erst mal wichtig: ich musste mich mit den Gegebenheiten hier vertraut machen und die fremde Sprache lernen, wenn ich überhaupt die Chance auf eine Flucht haben sollte. Denn selbst wenn ich hier einfach rausspazieren könnte, hätte ich nicht gewusst, wohin ich mich wenden sollte. Je länger ich darüber nachdachte, desto entmutigender wurde es, darum hörte ich auf damit. Ich schlug die dünne Decke über mich, weil mich trotz der Hitze plötzlich fror.
Da berührten meine Finger ein Stück Papier.
Ich holte es hervor und faltete es auseinander. Trotz des schwachen Zellenlichts erkannte ich es sofort. Das war der Zettel, den Traumschwester mir zugesteckt hatte!
MACHT DIE MACHT MACHTLOS
DIE SICHERHEIT LIEGT IN DER UNSICHERHEIT
FRAGEN SIND BESSER ALS NICHT EXISTIERENDE ANTWORTEN
Und das war bestimmt kein Traum! Das war Traumschwesters Schrift! Da war ich mir ganz sicher und mein Selbstbewusstsein kehrte andeutungsweise zurück. Und helfen konnte mir der Zettel auch gleich. Vielleicht sollte ich nicht so sehr nach Antworten auf meine Fragen, wie und warum ich hierhergekommen war, suchen.
Ich zerriss ihn in kleine Schnipsel und spülte sie mit dem letzten Wasser hinunter. Damit verschwand auch der letzte Beweis für eine andere Realität. Es hätte sicher Unannehmlichkeiten gegeben, wäre er bei einer Durchsuchung gefunden worden. Ich würde wohl nie rauskriegen, wie er hierher gelangt war. Vielleicht hatte ich ihn während meines unbewussten Realitätswechsels in der Hand gehalten. Damit gab ich mich zufrieden.
Danach schlief ich komischerweise relativ ruhig und lange und wurde durch das Essenfassen geweckt. Dabei lernte ich wieder einen neuen Wärter kennen. Wohl mit Absicht, denn dieser sprach kein Neu-Ing oder wollte es nicht. Mittags erhielt ich sowas wie Hofgang und bekam dadurch Gelegenheit, mir den Knast aus anderer Perspektive anzusehen. Er wirkte dadurch nicht schöner. Er bestand aus einem einzigen, annähernd hufeisenförmigen Gebäude, das aber anscheinend in zwei Bereiche aufgeteilt war. Ein Teil wirkte nämlich eher wie eine Krankenstation und es gab dort auch keine vergitterten Fenster.
Der Hof war allerdings ziemlich großzügig angelegt und irgendwie verstärkte das meine Vermutung, dass es sich nicht nur um ein Gefängnis handelte. Dazu kamen die relativ »humane« Zelle, die Spitzenposition des schmächtigen Arztes.
Ein paar andere Gefangene marschierten mit mir, alles Männer. Und fast alles Schwarze. Wir trugen jetzt alle graue, verwaschene Hemden und Hosen. Ich versuchte, mich mit ihnen zu verständigen, aber selbst die Weißen verstanden mich nicht. Einigen schien die Gesellschaft von Weißen sogar unangenehm zu sein, und einer spuckte vor mir aus.
Nach dem Rundgang wurde ich wieder in die Zelle gebracht. Es wurde mir sofort klar, dass sie durchsucht worden war. Nun, ich hatte nichts mehr zu verbergen. Der Gang durch den Knast hatte mir gezeigt, dass eine Flucht äußerst schwierig war. Überall, vor und hinter einem, wurden Gitter runtergelassen, und an jeder Ecke standen die Rotuniformierten mit MPs. Mein einziger Weg schien über den Arzt zu führen. Vielleicht konnte ich eine Zeit auf sein Spiel eingehen, ohne dass er merkte, dass ich nichts zu bieten hatte. Wenn er das rauskriegte, würde er mich ohne Zweifel den harten СКАЧАТЬ