Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus. Maulana Dschelaluddin Rumi
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Название: Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus

Автор: Maulana Dschelaluddin Rumi

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783843803892

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СКАЧАТЬ zurück mit Nackenschmerzen, wurde passiv wie ein trockenes Stück Holz, das nur noch wimmerte und nach drei Tagen starb, was natürlich alle an die dicke Zunge des unseligen Muezzin erinnerte. Das heizte die schlechte Stimmung weiter auf. Wenig später verschwand der eingeheiratete Wanderderwisch tatsächlich, ohne Abschied. Sein zweiter Abgang war noch abrupter, gruß- und spurloser als sein erster und blieb so geheimnisvoll und ungeklärt wie bei Empedokles, Henoch, Al-Hakim bi Amrillah, Osama bin Laden, Saddam Hussein u. a. Schamsuddin al-Täbriz tauchte nie wieder auf.

       Wenn alle meine Teilchen Wollust mit Gott treiben

       Die Lebensgeschichte von Rumis Vater Baha’uddin Walad (1150–1231)

      Walad (d. h. Sohn, Kind), wie im Orient jeder Bub gerufen wird, wuchs auf im Land eines goridischen Königs, am nördlichen Quellfluß des Oxus (heute: Amu Darja), stromaufwärts von Balch (im späteren Tadschikistan), sehr abgelegen, bei Wahsch (Lewkand, Sang-tuda). Als Kind hatte er zu leiden unter seiner Mutter, einer zänkischen Frau (Name nicht überliefert).

      Baha’uddin wurde kein Schulhaupt, schuf weder Werke über seine theologischen noch seine juridischen Schwerpunktgebiete. Wegen Mißhelligkeiten mit dem Khwarismschah (Oberhaupt), auch wegen Mongolengefahr, reiste der eher seßhaft hinterwäldlerische Baha’uddin Walad um 1211 mit Familie durch Persien, Mesopotamien, Arabien, Syrien, Kleinasien, nach Westen, in kühnem Slalom, genauer: nach Bagdad, Kufa, Mekka, Malatya, Ersindschan, Akschehir, Samarkand und anderswohin, langjährig als Dauerflüchtling oder Völkerwanderer, um am Schluß in Konya zu landen. Befragt, von wo nach wo er reise, erwiderte er: »Von Allah nach Allah.«

      In seinen Aufzeichnungen aus elf oder mehr Jahren seines Lebens – Ma’arif (Erkenntnisse) – schwadronierte Baha vor sich hin, uneinheitlich, ungeglättet, überaus locker vom Hocker. Religiöse Tagebücher und Selbstgespräche verfaßte er, Steinbrüche, von keiner Reimnot verunziert, unangekränkelt von Publikationsabsicht oder Abrundungswillen. Einfälle kollerten da, Eselsbrücken für Predigtentwürfe, Persönliches, Erinnerungen, jede Menge Hikmat (Weisheit) und Hulasa (Zusammenfassungen). Ab und zu trug er allerlei Muridan (Novizen) und Qawm (Leuten) aus seinen Ma’arif vor, dem reizvollen Provisorium. Bisweilen predigte er so ergreifend über das Jenseits, daß reihum die Zuhörer zu weinen anfingen, dank ihres Pilotschluchzers Nuruddin, bis das allgemeine Geheul auf den Prediger selber übergriff. Seine Gattin Mumine Khatun erwähnte er in diesen Notizen nie, dafür aber zwei Nebenfrauen, die ihm wiederum keine Kinder gebaren; die eine hieß Bibi Alawi. Seinen kleinen Familien-Harem, aus dem ihm etlicher zwischenmenschlicher Unbill erwuchs, tat er ab als Wollusttreiben, Frauen- und Kindersammeln, unwichtig neben Allah. Leute, die ihm lang und breit von ihren geistlichen Bemühungen erzählten, ödeten ihn an, weil sie ihm Zeit stahlen, in eigener Sache um Allah zu kreisen. Seine drei Söhne griffen seine mystischen Tendenzen überhaupt nicht auf, auch sein zweiter Sohn nicht, Muhammad Dschelaluddin Walad (der später als Rumi weltberühmt wurde).

      Marktgeschrei, kursierende religiöse Lehrmeinungen, Sektenstreit, schiitisches Parteigezänk, ideologisches Hickhack der Mutakallim (Scholastiker), Wadschidun (Ekstatiker), Usuliyan (Grundlagentheoretiker, später auch »Fundamentalisten« genannt), Ibahatiyan (Libertiner), Karramiten, Schafiiten, Aschariten, Rafiditen, Zoroastrier u. v. a., inklusive x Sondergrüppchen – diese Unübersichtlichkeit und Gemengelage damaliger Ansichten und Sichtweisen, diesen haltlos spaltungsfreudigen Pluralismus mitten im allumfassenden Islam bereicherte Baha um eine weitere Variante. Zeitweise schien er am ehesten maturiditischer Hanafit zu sein, also Anhänger von Abu Hanifa, ohne sich darin zu erschöpfen. Er schwankte zudem zwischen qadaritischen und dschabritischen Tendenzen, Varianten, Theoremen und empfahl, je nach Situation das Lager zu wechseln: bei religiöser Erhitzung Qadarit, bei Gafla (religiöser Erschlaffung) Dschabrit zu sein (die er »tot und frech« nannte). Öfters disputierte Baha mit Nadsch, einem Traditionarier, über ihrer beider inhaltlicher Überlappungen. Fragte ihn ein Mulhid (Gottverächter), ein Wortverdreher, ein Ismaelit oder ein Aristoteliker, wo Gott sei, innerhalb oder außerhalb der Welt, antwortete Baha: »Weder noch« – ein anderes Mal auf dieselbe Frage: »Sowohl als auch.« Oder auch: »Diese Frage ist falsch gestellt. Ein Gott ist nur der, der über jede Unvollkommenheit, die dem Gottsein widerspräche, erhaben ist. Daß er an einem Ort sei, würde heißen, daß er an diesen Ort gebunden wäre, unfähig, diesen Ort zu schaffen. Du könntest ebenso gut fragen: ›Wie kann ein Weißsein schwarz sein?‹«

      Heil- und Sternkundler kamen Baha gottlos oder unnötig vor: Krankheiten glaubte er, statt pharmazeutisch, religiös abwehren zu können. So suspekt wie die nach wie vor nicht von Allah zu überzeugenden Muschrikun (Beigeseller/Götzendiener) oder auch Butparast (Idol-Verehrer), die sich selber anders nannten, z. B. Buddhisten, und der Irrlehre der Tanasuh (Seelenwanderung) anhingen, kamen Baha die offenbar unausrottbaren Feueranbeter vor. Und obwohl er Dschubba (Kutte) und sonstige Sufi-Attribute trug und Sufi–Lieblingsthemen teilte, wie unmittelbare Gottesschau u. ä., mochte Baha nicht jenen Faulenzern und Sufis, die er sah und traf, weder strengen noch gemäßigten, zugezählt werden. Vor allem die Musik derer, die plaudernd, nutzlos, arbeitslos verwildert in ihren Sufikonventen herumhingen, herumsaßen, aßen und trommelten, bezeichnete Baha als »leeres Geschwätz«, das nur das innerliche Hören behindere. Betrunkenen Türken gegenüber, die ihm den Turban wegnehmen wollten, ihn als Ibahati (Freigeist) beschimpften, betrieb er Grußverweigerung und erschien alsbald mit extra großem Turban. Auch mit hochfahrenden Licht-Theosophen à la Schihabuddin Yahya as Suhrawardi zog Baha nicht an einem Seil. Vor allem focht Baha theoretische Differenzen mit den puristischen, dogmatischen, rationalistischen, um nicht zu sagen: hermeneutischen Mutazila (den sich Absondernden) aus, widersprach heftig deren Lehre, selbst nach dem Tod sei es unmöglich, Allah zu schauen. Namhafte Theologen sprachen den Engeln die Liebe ab; Baha hingegen gestand sogar Engeln Maza (Lust) zu; Ghazzali, vier Generationen vorher, bevorzugte das Wort Ladda (Genuß). Im theologischen Zwist, ob alle Dinge das Lob Gottes sängen (Sure 17/44) oder nur belebte Dinge (dieselbe rabulistisch-scholastische Kontroverse, ob man als Pflanze wiedergeboren werden könne, trieb buddhistische Theologen um), schloß der Theologe Fachruddin Razi, aus Gegenwehr gegen Seelenwanderung, das Unbelebte mit cartesianischer Kaltherzigkeit aus; Baha hingegen votierte sehr dafür, daß sogar die Teilchen einer Leiche Allah verherrlichen würden, ein jedes Teilchen in seiner Sprache. Kaum hatte der hanbalitische Jurist Ibn Aqil (gestorben 1119) falsifiziert, auch Steine, Tiere, Pflanzen trügen religiöse Verantwortung, dokterte Baha an der Restituierung genau jener guten schönen alten Sichtweise von der Abwesenheit von Dschamad (des Unbelebten) und Gafla (religiöser Gleichgültigkeit). Statt Kollegen oder Altvordere zu zitieren, griff er dankbar deren Begriffe auf, à la Be-ciguna (ohne wie), Quddusi (Hochheiligkeit), Sabbuhi (Unbeflecktheit), Kunandagi (Machendheit), Tasarrufat (Verfügungen), Kull (Ganzheit), oder auch Be-cigunagi (Ohne-Wieheit), und machte – fern von Nachbeterei – selber was draus, auch aus so diffizilen Termini wie Huwiyya, was versuchsweise mit Ipseität, Entitas oder auch Essentia übersetzt wurde. Das Wort Hurmat ließ sich mit Integrität übersetzen, auch »körperliche Unversehrtheit«, auch »fremde Frau«. Also als denkfreudiger Drauflosdenker, als ichbezogener bis subjektiver Selbstdenker (hwad-kar = selbsttätig) betätigte sich Baha, mit viel Gespür und Fingerspitzengefühl für Höheres, viel Verstandeskraft und Hudschdschatti (Argumentierung). Thomas von Aquino, bei Baha’uddin Walads Tod sechs Jahre alt, hantierte mit Termini wie Immerheit, Wesungsform, Gesinnbegehr, Beischaften, Entlösungen und Verstehheiten; Baha erging, vergrub, verbiß sich in Irritations-Abstrakta à la Erbarmerschaft, Gnädigkeit, Mitheit, gab aber all diesen Begriffen, Zentralbegriffen und Motiven, komisch eingehüllt in sanfte Naivität, durchweg einen Drall ins Schräge, krumm und verdreht. Oft klangen die seltsamlichen Gewichtungen, Weiterungen, eigenwilligen Aus- und Umdeutungen, die der Sonderling ins rundum Überlieferte einbaute, eher gnostisch – oder auch platonisch bis plotinisch – als islamisch.

      Mit Allah auf bestem Duzfuß, schaute, sah und fühlte Baha’uddin Ihn jetzt schon und – riß mitten im Gedankengang oft das Steuer herum, segelte einem Gegengedanken in die Arme, stolperte in reizvollen Widersprüchen herum, wodurch in summa ein hochmodernes Work СКАЧАТЬ