Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus. Maulana Dschelaluddin Rumi
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Название: Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus

Автор: Maulana Dschelaluddin Rumi

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783843803892

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СКАЧАТЬ das Abu Ala al Ma’arri bereits freigeistig durchgecheckt hatte, als wär er ein arabischer Voltaire; Lüstling Baha’uddin hingegen schwelgte ungebrochen in paradiesischen Gedanken, Vorwegnahmen und Auspinseleien, träumte – wie Assasinen im Haschrausch – von drei gleichzeitig an ihn angeschmiegten Schönäugigen, deren Verkehr mit Allah sie »so schön und fett« machte (also frönte er dem später sog. Rubens-Ideal), von schönen Knaben, traubenweise Kindern, Tauben und gefütterten Sperlingen. Huris kamen bei ihm so gehäuft vor wie im späteren Diwan von Hafiz (und Goethe) und weideten auf Allah wie auf üppiger Wirtspflanze, als elfenhaft blühendes Geflinker. Auch wenn Baha in irdischen Zusammenhängen Wollust spürte und trieb, z. B. mit der Tochter des Richters Scharaf, deren Lippen er kaute, bis sie mehrmals ausrief: »Ah, wie schön!«, und die unter ihm zitterte und Ischqnamaha guftan (Liebesgeächz) hören ließ, bis sein Geist heiter wurde, seine Glieder in Funktion setzte und alle seine Teilchen (wer sonst?), von denen er gleichfalls verlangte, sie mögen fett sein, in Bewegung gerieten, spürte er – gemäß frei ausgelegter Sure 57,4: »Und Er ist mit euch, wo immer ihr seid« – Allah vollkommen als anwesend, nicht voyeuristisch oder triolistisch, sondern konstitutionell, als Durchflutungsgeist, ohne den die Menschen nur unbelebt herumliegen müßten, und alle seine Teilchen, seine Einfälle und er, tanzten haremsartig um Allah, genossen, über Maza hinaus, Laddat-i allah (Gottesgenuß), Suhbat-i allah (innige Zwiesprache, auch Koitus mit Allah), bis hin zum totalen Be-hwadi (Außersichsein). Entweder geriet Baha leicht außer sich vor Liebestrunkenheit, moderner gesagt: Erotomania, dies auch auf irdischer Ebene, oder er war um nichts lust- und sexsüchtiger als andere Menschenkinder, und gab es nur zu, und schrieb es nur auf. Zartbesaitete Vorliebe zeigte er für Worte wie Fardscharda (schön eingeweicht), was seinen Zuhörern möglicherweise denn doch zu direkt und fleischlich wurde (Fardsch = Möse). Aber kaum ein Kritiker oder Spötter schien Bahas einzigartig distanzlosen, enormen Riecher für Gott satyrisch belächeln zu wollen. Die breitwandformatigen Verschmelzungswonnen dieses in Atom-Apotheose inadäquat zutraulich, überschwenglich sich verausgabenden, übertrieben, indiskret, intim, ja: obszön kußfreudigen, beißkußfreudigen, theologisch sexualisierten, Gottessex betreibenden Doctor ecstaticus fand keinen Gegenwind. Keiner beschimpfte ihn als »Ranschmeißer an Gottes Busen«.

      Der Wind religiöser Erquickung wehte aber nicht ganz gleichmäßig durch alle Teilchen, sondern schubweise herbei, und dann auch wieder wellenweise von hinnen. Baha’uddins chronische Wadsch (Verzückung) schwoll allzu oft ab. Sein Glutkern erlosch. Baha – ehrlich genug, zuzugeben, daß sein Anschmiegen, Hineinkriechen und Einkuschelung in Allah nicht immer so richtig klappte – spürte auf Erhebungen, Erfüllungen und Erleuchtungen geistliche Niederlagen folgen, neuzeitlicher gesagt: spirituellen Frust. Zwischen die Ekstasen schob und schlich sich als Trennblende, Isolierwatte und Puffer, zwecks Kurzschlußumgehung und Erholung – Gafla (religiöse Gleichgültigkeit) ein, neuzeitlich eindeutschbar mit Sättigungsschwelle, Refraktärphase, partieller Frigidität oder auch Dopaminmangel. Der wieder zu sich Gekommene unterlag intermittierenden Kapazitäts- oder Potenzproblemen, nicht ganz so positiv ausgedrückt: intermittierender Impotenz. Dann bedauerte Baha, zu schlaff zu sein, um Gott zu schauen. Sobald er ermüdete, trat an Allahs Stelle – Leere. Oder: Sobald sein vehementer Glaube zwischendurch kurz nachließ oder aussetzte, zeigte Allah sich ihm zur Strafe nicht und verbarg sich in transzendenter Unerreichbarkeit. Sein Geschöpf Baha versuchte dann seine erloschenen Teilchen aufzutreiben, mit dem Wink eines Peitschenendes gleichsam, und wandte sich als Katalysator direkt an diese seine Teilchen, winzige Ansprechpartner, ohne Zwischenhändler: »Faulpelze und ihr Teilchen der Menschen alle, seid doch nicht wie der Staub der Erde! Der Wind der Verlebendigung, des Wunders und des Geistes berühre euch! Geht durch die Luft der Wünsche, betätigt euch, dreht euch und zeigt etwas! Sobald dieser Wind wieder von euch abläßt, werdet ihr zunichte und fallt wie Staub auf Staub.« So monotheistisch erhaben sich Baha fühlte über Feueranbeter und Götzendiener, er trieb es als Teilchenanbeter und Teilchendiener noch viel bunter und krasser. Seine unorthodoxen Inhalte, Abweichungen und Anwandlungen, mit denen er sich schier als Mubtadi (Ketzer) profilierte, hinderten Baha nicht, nach außen hin als seriöser, renommierter Theologe aufzutreten. Als Auskunftserteiler, Rechtsberater, Gutachter, Seelsorger, Wohltäter genoß er volkstümlichen Zulauf. Er kannte sich im Ackerbau aus. Bisweilen verfaßte er Bittschriften an Regierungsbeamte, zwecks Freilassung von zu Unrecht inhaftierten Zeitgenossen. Donnerstag und Freitag hielt er sich von Alltagsgeschäften frei, um in der Moschee an Tod und Jenseits zu denken. Zu bescheiden, um sich Arif (Erkenner) zu nennen, träumte er manchmal davon, Allahi (Gottmensch) zu werden, behielt das aber weitgehend für sich, bremste sich in späteren Aufzeichnungen etwas ab. Seine Eigenständigkeit verpackte er in die üblichen koranischen und sufischen Dauerthemen – die Welt als Nafs (Triebseele) und Musawwarat (Vorstellung): Nachts stand Baha in bitterer Kälte auf, zückte seinen Dolch und rief: »Triebseele, ich habe keine schlimmere Feindin auf der Welt als dich! Wenn du den Kopf aus Ichheit und Neid hervorstreckst, hau ich dir den Kopf ab!« Plötzlich doch wieder grimmig musulmanisch! Seine asketischen Anwandlungen blieben aber Randverzierungen.

       The Greatest Pantheistic Poet of Mankind

       Rumis Nachleben und Wirkungsgeschichte durch achthundert Jahre

      Der Mystiker Rumi stieg recht bald zum Heiligen auf, relativ sofort, dank seiner Hagiographen, des Rumi-Sohns Sultan Walad (1291), Faridun Sipahsalar (1319/29) und Aflaki (1318/53). Selbdritt bemühten sie sich, genau wie nebenan Franz von Assisis Hagiographen Bonaventura und Celano, alle empirischen Schmutzflecken zu kaschieren, möbelten und donnerten dafür alles andere auf. Sie verklärten, sie trugen Indizien für schlackenlose Heiligenverehrung zusammen, nach bewährtem Muster. Alle diese Biographen variierten den wundersüchtigen Evangelisten Lukas. Und schon sah Rumis Weib ihren Herrn und Gebieter – Gott heilige sein kostbares und tiefes Geheimnis! – von der Hausterrasse in die Luft schreiten, und bei seiner Rückkehr hing an seinen Schuhen 1500 km entfernter Sand vom Hidschas in Medina, den man alsdann so tiefgläubig wie möglich als Augensalbe benutzte. Rumi bändigte, laut Aflaki, einen losgerissenen Ochsen, genau wie Franziskus, laut Bonaventura, einen Wolf bändigte, gemäß dem neolithischen Archetypus vom Dämonenbändiger. Rumi predigte den Hunden, genau wie Franziskus den Vögeln; streunende Köter klopften mit den Schwänzen den Boden und ächzten leise vor Verzückung, und Rumi rief: »Ich schwöre bei Allah: Diese Hunde verstehen meine tiefsten Lehren! Selbst diese Tür – und diese Wand! – lobpreisen Allah und verstehen die göttlichen Geheimnisse!« Bald hieß Rumi »Arif-i rumi« – der anatolische Erkenner. Andere Leute schwammen bloß wie Fische im Wasser; ihm aber als Wal kam jeder Ozean zu eng vor. Die Riesenschultern, seine poetischen Idole Saadi und Fariduddin ’Attar, auf denen er sich wachsend erhob, wurden bald von seinem wachsenden Ruhm verdeckt. Sein illustrer Lebenslauf trug ihn durch die Zukunft. Seine berühmte Flöten-Intrada zum Mathnawi, fast wörtlich von ’Attar übernommen, übertönte seine ’Attar-Quelle. Vieles, wofür man dionysische Tänzer à la Rumi und Nietzsche rühmte, stand längst wortwörtlich bei vergrübelten Pessimisten à la Schopenhauer und ’Attar. Seinen erquicklichen Anthropomorphismus übernahm Rumi von Übervater ’Attar, seinem Vater Baha’uddin und von hundert anderen Dichtern.

      Als Dichter stieg Rumi auf zu einem der sieben bis neun persischen Goethes, neben Firdusi (Persiens Homer), Nizami (Persiens Ovidius Naso), Saadi (Persiens Wieland), Hafiz (Persiens Li Tai Bo alias Li tai pe), Enweri (so einer Art Torquato Tasso) und Fariduddin ’Attar (Persiens Dante Alighieri – bei Rumis Tod acht Jahre alt! –, bzw. Lord Byron, bzw. Giacomo Leopardi, bzw. Lukianos, bzw. Pu-sung-ling), und überstrahlte manch einen von ihnen. Dschami (noch ein Wieland Persiens) nannte Rumis Mathnawi »den Koran persischer Zunge«. Wer bei Rumi mehr Weisheit als im Koran fand, machte sich fast als Ketzer verdächtig.

      Alsbald stand auf europäischen Rumi-Büchern: »Rumi, Persiens größter Dichter«, genau wie auf Hafizbüchern: »Hafiz, Persiens größter Dichter«. Weitere Superlative gesellten sich hinzu: Angelsächsische Orientalisten wie Reynold A. Nicholson & A.J. Arberry nannten Rumi »the greatest pantheistic poet of mankind«. Indeed, Rumis glitzernd fluide Mystik bewegte sich fern späterer und früherer Schlaumeier- und Schmalspurmystik, СКАЧАТЬ