Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus. Maulana Dschelaluddin Rumi
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus - Maulana Dschelaluddin Rumi страница 6

Название: Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus

Автор: Maulana Dschelaluddin Rumi

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783843803892

isbn:

СКАЧАТЬ Schamsuddin aufladen und aufpeitschen hatte lassen: 36.000 Doppelverse summierten sich, Hommage an Schamsuddin, Tendenzkunst erster Güte, der Schamsuddin-Diwan, 2200 Druckseiten.

      Jedem Gerücht vom monatelang entbehrten Busenfreund reiste Rumi hinterher, umsonst. Sein just volljähriger Sohn Baha’uddin, der spätere Sultan Walad, trieb Schamsuddin tatsächlich in Damaskus auf und lockte ihn mit zwanzigköpfiger Delegation zurück. Um ihn ab sofort noch enger an sich zu binden, bewies Rumi sich als Familienpolitiker, verheiratete nämlich den glücklich Wiedergefundenen mit einem Pflegekind des Rumi-Clans.

      Bald aber eskalierten familiäre Zwistigkeiten, und der Angebundene und Angeheiratete verschwand erneut, diesmal für immer. Rumi wurde zu Ya’kub (Jaakov), zerriß sein Gewand, trug Trauer um Yusuf (Joseph), trug nie wieder einen weißen, sondern stets nur einen rauchfarbenen Turban. Er schwankte zwischen steigerbarer Hoffnung auf nochmalige Rückkehr und dem sich verdichtenden Verdacht, daß sein zweiter Sohn Ala’uddin, der seinen Vater schuldbewußt umschlich, beteiligt gewesen sein könnte am Verschwinden des besten Busenfreundes. Er redete jahrelang nicht mit Ala’uddin und ging nicht zu dessen Beerdigung.

      Seit der Trauernde und leidvoll Dichtende jeden Vorbeireisenden, der Schamsuddin z. B. in Damaskus gesehen zu haben behauptete, üppig mit Turban, Schuhen und Stücken beschenkte, wurde Schams immer öfter gesichtet. Als man den Berichterstatter Lügner nannte, sagte Rumi: »Ich gab ihm den Turban für seine Lüge. Wenn er mir Wahrheit gebracht hätte, hätt’ ich ihm mein Leben gegeben.« Maßlose Recherchen ließen sich nicht aufhalten durch ebenso ungebändigte Verse, in denen Rumi immer öfter durchschimmern ließ, daß Schamsuddin, gehüllt in eine immer glühendere Staubwolke, ihm vorausgeritten sei ins Haus der Ewigkeit. Rumi habe, hieß es, auf der Schwelle Schams’ Blut gesehen. Andererseits reiste er zweimal nach Damaskus, blieb monatelang dort, in törichten Hoffnungen – umsonst. Zeitweise sah er ihn im Rückblick als Khadir (Chiser/Khidr), jenen mythischen Halbgott, der stets, sobald er seine Botschaft überbracht hatte, zu verschwinden pflegte. Zeitweise faßte Rumi sich an den fiebernden Kopf und wunderte sich: »Da ich er bin, wen such ich hier?« Sich selbst konnte er auch woanders suchen.

      Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Rumi Kira Khatun. Die äußere Erscheinung des lebendigen Schams traf er tief in sich selber wieder, baute sie immer vollgültiger auf, sowie annäherungsweise in Übergangs- und Notlösungen, wie Salahuddin Zarkub, einem genau wie Schamsuddin relativ analphabetischen Goldschmied, mit dem der alternde Maulana sich gezielt von der »Sonne von Täbriz« ablenkte oder die er in ihm zu erblicken versuchte, wie später dann in seinem hocherfreulichen Meisterschüler Husamuddin Schelebi (Tschelebi/Khelebi/Calabi). Rumis Herz schwoll dergestalt und war übervoll, daß er ausrief: »Ich passe nicht mehr in mich!« Bayazid al-Bistami hatte sich hybrid als die Wohlverwahrte Tafel ausgegeben, als die sieben Abdals (Eckpfeiler der Welt), als Ozean etc.; Rumis mystische Expansion griff noch höher und noch mehr in die Breite: Rumi behauptete dichtend, die Scheiche Bayazid, Schibli, Dschunaid, Abu Hanifa, Schafi’i und Hanbal, diese alle seien allesamt er selbst, Rumi, welchselbiger in einem Aufwasch und Atemzug zugleich Wein und Mundschenk umfaßte, und etliche andere Gegensatzpärchen, bis hinauf zu weitestgehendem Tat twam asi: »Die zweiundsiebzig abgespaltenen Sekten, die bin allesamt ich.« (Nebenan, im Abendland, ließ solch mystische Euphorie, rundum alles und jedes zu umfassen und in eigener Person selber zu sein, lang auf sich warten, bis zu Arno Holz, in dessen »Phantasus«.) Desgleichen: Rumi fand Gott in keiner christlichen Kirche, und nicht am Kreuz, und in keiner Hindu-Pagode (Rumi trug sehr gern Burd-i hindi, einen indischen Mantel), keinem Zarathustriertempel, auch nicht auf den höchsten Bergen von Herat und Kandahar, und nicht auf dem Gipfel des Kaf, wo bloß der Anqa-Vogel wohnte, und verblüffenderweise nicht einmal in der Ka’aba, und nicht in den Schriften des Ibn Sina, sondern nur – wo sonst? – im eigenen Herzen. Aber sein Herz wiederum verwarf er als Bratenkloß, sein Auge als Wolke, seine Träne als Trugbild, seinen Leib als Bruchwerk. Bisweilen versank er derart tiefgründelnd in verzückter Versunkenheit, daß im Winter sein tränennasser Bart am Boden festfror und er kaum gewahr ward, wie ihn dann seine Schüler loseisten. Besuche in Mühlen berauschten ihn; er hörte Mühlsteine »sobbuh! quddus!« (O Allerherrlichster! O Allerheiligster!) rufen und drehte sich mit. Vor Byzantinern, die sich dreimal vor ihm verneigten, verneigte er sich dreiunddreißigmal.

      Als Meisterschüler Husamuddin ihn bat, die Überfülle seiner Gedanken und Geschichten in einem Mathnawi (Lehr-Epos) niederzulegen, wie vormals Rumis Lieblingsdichter Fariduddin ’Attar oder Saadi, der König mit der süßen Zunge, zog der Maulana die ersten fertigen achtzehn Doppelverse aus seinem Turban hervor: das Sehnsuchtslied der Rohrflöte. Aber als Husamuddin ihn bat, die Schamsuddingeschichte genauer zu erzählen, zeigte Rumi sich zugeknöpft und erwähnte den verschollenen Derwisch in den 24.660 Doppelversen, in sechs Büchern, die er siebzehn Jahre lang diktierte, namentlich kaum.

      Im Jahr 1256 lagen Rumis mitgeschriebene Tischgespräche fertig vor, »Fihi ma fihi« (»Was drin ist, ist drin«).

      Gleichwie Madschnun statt um Allah um Laila und Rumi um Schamsuddin kreiste, so dachte Akmaluddin Tahib, Rumis Leibarzt, immer seltener ans Jenseits, sondern kreiste zunehmend immer ausschließlicher um seinen Lieblingspatienten Rumi.

      Neben dem nicht ganz zu Ende diktierten Mathnawi lag Rumi dann sterbend darnieder, hörte sieben Tage und Nächte lang ein Erdbeben rumpeln. Es schüttelte alle Knochen durch, zermalmte etliche Häuser und Gartenmauern. Rumi, bettlägerig zwischen schreienden Helfern, blieb ruhig und wandte sich an seine Angehörigen: »Die arme Erde ist hungrig. Bald wird sie einen fetten Brocken bekommen und Ruhe geben.« Augenzwinkern? Galgenhumor? Mimikry? Atavismus? Konnten spätere Zeiten aus dem fetten Brocken schlußfolgern, daß Rumi Pykniker gewesen ist? (Wie man aus der Hamlet-Zeile vom »kurzen Atem« schloß, Hamlet sei dick gewesen.) Andererseits wurde er als gelbgesichtig geschildert. So oder so: Lebenslang sang Rumi monotheistisch von Seele und Allah, um im letzten Moment dann doch archaisch von Körper und Mutter Erde zu reden?

      Rumis Katze starb ihrem Herrchen binnen einer Woche nach und wurde dicht bei ihm beigesetzt.

       Im Ozean der Parabelströme

       Was steht im Mathnawi?

      Das indische Sprichwort »Alles, was es gibt, steht im Mahhabharata. Alles, was nicht im Mahhabharata steht, gibt es nicht« könnte auch auf Rumis Mathnawi zutreffen. Alle können untertauchen im Fluß ohne Ufer, im Meer der Seele, in seines Liedes Riesenteppich, im bodenlosen Wildwuchs, im Kompendium und Sammelbecken orientalischer Parabeln, von Legenden, Schnurren, Schwänken, Witzen, Geschichten, Einsichten, wundersam verschachtelt und verschlungen, in der Gedankenflora, im prismatisch sich drehenden, irisierenden Formulierungsdschungel mit aufgehenden Knoten, Ebenenwechseln (sprach Rumi von plätscherndem Wasser, forderte er seine Zuhörer auf, einzutauchen in die Bedeutung dieser Worte, statt ins Plätschern), ständigem Rauf- und Runterzooming ineinandergespiegelter Dinge, Holzkisten, die zwischen Hausrat und dem Käfig des Körpers oszillieren, von der Mücke zum Elefanten, vom Weltbrandstifter Pharao zum Geistentzünder Musa (Moses), von der Fledermaus zur Sonne, vom Stein bis zu Allah, und zurück zu Elefant und Stein, ein Geschlingere zwischen zwei, drei, vier Ebenen, nimmermüdem Dualismus, der in Facetten und Nuancen schillert und zerfasert, Wahnwitz und Wahrheit, die ständig ineinander umschlagen. Engelsfedern band Rumi an Eselsschwänze, auf daß der Esel aufglänze und vielleicht zum Engel werde. Allerschönste Aufschwünge und Hinwärtsbewegungen, vom Schlamm, aus dem keiner einen Fuß ziehen kann, bis zur Himmelsdurchquerung unter Beiseitelassung dann sogar des Himmels! Vorformen von »Sechse kommen durch die ganze Welt« blühten. Einem Jüngling, der durch sechshundert Schleier eine Antwort Gottes gehört zu haben glaubte, platzte vor Aufregung fast die Gallenblase. Spötter bellten als Hunde den Mond an. Gottesbeweise schwammen obenauf im Sturzbach der Gleichnisse: Unsichtbar blieb Allah nur, weil auch Wind nur ablesbar wird am herumgewirbelten Dreck. Kaum begab Rumi sich in Badestuben, sah er Leiber als Kleider, die man auch noch ablegen müßte, um wirklich nackt zu sein, Leiber СКАЧАТЬ