Название: Die verlorene Vergangenheit
Автор: Stefan Bouxsein
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Mordkommission Frankfurt
isbn: 9783939362074
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Samstag, 29. November 2003, 20:40 Uhr
Die beiden trotteten hinter Jensen her und machten große Augen. Glänzend weißer Marmor umgab sie, als sie durch die weitläufige Vorhalle im Eingangsbereich der Villa schritten. Palmen und Orchideen erzeugten eine exotische Atmosphäre. In der Mitte des ovalen Eingangsbereiches tröpfelten leise und beruhigend zwei Wasserstrahlen aus den Mündern zweier Engel, die einen kleinen Brunnen speisten. Hätte Siebels nicht gewusst, dass er sich in der kalten Jahreszeit in Königstein befinden würde, dann hätte er sich irgendwo in Südamerika vermutet. Kein Gedanke mehr an Edgar Wallace, an dichten Nebel und kalte Füße. Jensen war bereits eine der beiden Treppen hochgeeilt, die links und rechts in die obere Etage führten. Ungeduldig schaute er zu seinen Beamten hinunter, die aus dem Staunen gar nicht mehr herauskamen. Schließlich beugten sie sich dem flehenden und ungeduldigen Blick des Staatsanwaltes und folgten ihm in die obere Etage. Von hier aus verliefen drei Flure in die Tiefen des üppig ausgestatteten Gebäudes. Eine Ritterrüstung bewachte den Flur, den Jensen in eiligem Schritt entlangging. Es schien fast so, als wäre er hier zuhause. Gemälde links und rechts an den Wänden, beleuchtete Glasvitrinen stellten Porzellan und alle möglichen Sammlerstücke zur Schau. Indianischer Schmuck, Elfenbein und Jade, Gold und Silber glänzten hinter Glas. Jensen verschwand in einem der Zimmer, in einigem Abstand zwei sprachlose Polizisten hinterher. Fast etwas schüchtern betraten sie nun den Raum, in dem Jensen verschwunden war. Etwas erleichtert stellten sie fest, dass noch ein alter Bekannter anwesend war. Charly Hofmeier kniete in der Mitte des Raumes und hantierte mit allerhand elektronischen Geräten. Er schien sie nicht bemerkt zu haben, der dicke Perserteppich verschluckte jeden Schritt. Am Ende des Raumes stand ein Unbekannter. Unbeweglich stand er am Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer.
»Es kann losgehen, meine Leute sind jetzt vollzählig«, unterbrach Jensen die Stille und unweigerlich brach eine gewisse Hektik aus. Der Mann am Fenster drehte sich ruckartig herum, musterte eindringlich die neuen Gesichter und zog dabei nervös an seiner Zigarette. Gleichzeitig ließ Charly von seinem Spielzeug ab und begrüßte seine Kollegen. Charly, der IT-Spezialist im Frankfurter Polizeipräsidium, war immer auf dem neuesten Stand der Dinge und ohne seine Hilfe waren viele Fälle gar nicht mehr zu klären. Sämtliche Abteilungen suchten seine Hilfe. Charly war immer da, Charly fand immer eine Lösung. Er knackte jedes Passwort, holte Dateien ins Leben zurück, die schon gelöscht und spurlos verschwunden waren. Charly war ein Genie, früher oft als verdeckter Ermittler eingesetzt, bis ihm ein Schuss ins Knie seine Bewegungsfähigkeit genommen hatte. Man hatte ihm dann eine Umschulung angeboten. Ein EDV-Seminar sollte er besuchen, das wäre die Zukunft. Charly entdeckte schnell seine Liebe zu den Geheimnissen der elektronischen Datenverarbeitung. Aus der Liebe wurde eine Sucht, Tag und Nacht verbrachte er vor dem Bildschirm. In der freien Wirtschaft hätte er mittlerweile ein Vielfaches von dem verdienen können, was sein Beamtensalär hergab. Aber Charly war auch ein Bulle geblieben. Ein Passwort zu knacken, nur um es zu knacken oder um ein Verbrechen aufzuklären, war ein großer Unterschied. Und Charly war in der Welt der Verbrechensaufklärung groß geworden, hier fühlte er sich zuhause.
Der Mann am Fenster hatte mittlerweile auf einem Chippendale-Sessel Platz genommen. Sein Gesicht kam Siebels bekannt vor, ein ausdrucksstarkes, markantes Gesicht. Schwarzes volles Haar verlieh ihm ein südländisches Flair. Sein anthrazitfarbener Anzug saß wie angegossen, darunter schien sich ein durchtrainierter Körper zu befinden. Breite Schultern, flacher Bauch, schmale Taille, eine Körpergröße von mindestens ein Meter fünfundachtzig. Graue Augen hinter einer randlosen Brille musterten weiterhin die Fremden, die, warum auch immer, in seiner Domäne aufgetaucht waren. Nachdem nun alle saßen und immer noch kein Wort gefallen war, außer der herzlichen Begrüßung zwischen Charly, Siebels und Till, ergriff Jensen wieder das Wort.
»Meine Herren, wie ich bereits sagte, handelt es sich um einen sehr heiklen Fall. Wir befinden uns hier übrigens bei Herrn Sebastian Tetzloff.«
Sebastian Tetzloff, jetzt klingelte es bei Siebels. Tetzloff war Unternehmer, einer der erfolgreichsten und einflussreichsten in Deutschland. Und einer der Reichsten. Sein Name stand oft in der Zeitung, er gab zu sämtlichen politischen Entscheidungen seinen Senf ab und die Journalisten verbreiteten seine Meinung euphorisch im ganzen Land und darüber hinaus. Sebastian Tetzloff war in der Wirtschaft eine Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer im Fußball. Was er in die Hand nahm, war zu Erfolg verdammt. Siebels überkam ein mulmiges Gefühl. Wenn Jensen sie mehr oder weniger inkognito hierher bestellt hatte, dann war wirklich etwas Heikles passiert. Till schaute fragend in die Runde, er schien mit dem Namen Tetzloff nicht allzu viel in Verbindung zu bringen. Jensen half ihm auf die Sprünge.
»Wie Sie ja sicherlich wissen, ist Herr Tetzloff eine bedeutende Persönlichkeit im öffentlichen Leben. Ihm gehören mehrere Unternehmen, Tausende von Arbeitnehmern im In- und Ausland verdienen bei Herrn Tetzloff ihre Brötchen. Herr Tetzloff ist ein weltweit anerkannter und geschätzter Manager, sein Rat wird nicht nur von deutschen Politikern gern eingeholt, auch in London, Paris und Tokio ist er ein gern gesehener Gast.« Jensen unterbrach sich für einen Moment, wartete, ob Tetzloff seiner Lobeshymne noch etwas zuzufügen hatte. Doch Tetzloff schwieg, starrte auf seine Füße und schien im Geist weit weg zu sein.
»Selbst im Weißen Haus in Washington ist Herr Tetzloff das ein oder andere Mal um seinen Rat gefragt worden, da verrate ich doch nicht zu viel, Herr Tetzloff ?«
Tetzloff schaute nun endlich zu dem schnell sprechenden Jensen. »Kommen Sie bitte zum Punkt, Herr Staatsanwalt. Ich glaube nicht, dass uns das weiterbringt.« Es schien ihm Mühe zu bereiten, seinen Zorn auf den plappernden Staatsanwalt zu unterdrücken. Siebels konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Natürlich, Herr Tetzloff. Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte meinen Beamten nur den Ernst der Lage klarmachen.«
»Dann machen Sie das jetzt bitte.«
Jensen wurde erst rot, dann weiß im Gesicht. Schließlich wollte er mit seinen Ausführungen neu beginnen, stotterte aber zunächst. Er griff zu dem Whiskyglas, das auf dem Tisch stand, nahm einen Schluck, hüstelte verräterisch gekünstelt und machte einen neuen Anfang, der aber von Tetzloff sofort wieder unterbrochen wurde.
»Entschuldigung, darf ich Ihnen auch etwas anbieten? Einen Whisky oder einen Kaffee vielleicht?«
Siebels und Till waren sich einig, nur ein Glas Wasser.
Jensen war heilfroh über die kleine Pause und sortierte sich neu. »Wie Sie vielleicht aus der Presse vor etwa zwei Jahren erfahren haben, ist Herr Tetzloff verheiratet.«
Siebels erinnerte sich. Die Zeitungen hatten die Tetzloffsche Hochzeit zum gesellschaftlichen Ereignis schlechthin hochgejubelt. Seine Frau Simone war der Öffentlichkeit bereits als Fotomodell bekannt gewesen. Eine Schönheit ohnegleichen, doch sie war bereits Ende zwanzig und hatte den Höhepunkt ihrer Karriere schon hinter sich gehabt, als sie dem zwanzig Jahre älteren Multimillionär Tetzloff das Ja-Wort gegeben hatte.
»Frau Tetzloff ist heute Vormittag zu einem Einkaufsbummel ins Main-Taunus-Zentrum СКАЧАТЬ