Die verlorene Vergangenheit. Stefan Bouxsein
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die verlorene Vergangenheit - Stefan Bouxsein страница 4

Название: Die verlorene Vergangenheit

Автор: Stefan Bouxsein

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Mordkommission Frankfurt

isbn: 9783939362074

isbn:

СКАЧАТЬ wir neugierig den Blutstropfen auf seiner Fingerspitze. Ich hielt meine Fingerspitze zum Vergleich daneben. Wir kamen zu dem Schluss, dass Großvater sich mit den zwei verschiedenen Sorten Blut geirrt haben musste.

       Plötzlich breiteten sich andere Bilder in meinem Kopf aus. Statt der zwei kleinen, mit Blutstropfen bedeckten Jungenfinger, nistete sich das Bild eines blutverschmierten Hinterkopfes in meinem Gedächtnis ein. Mit einem Mal begann ich heftig zu atmen. Ich bekam Angst, Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich wollte meine Augen endlich öffnen, doch dazu fehlte mir die Kraft. Immer deutlicher drang das Bild von fließendem Blut in meinen Kopf ein. Mein Herz fing an zu rasen, ich erkannte nur noch vereinzelte Bilder, Bilder ohne Zusammenhang, schreckliche Bilder. Meine Hände waren blutverschmiert. Ich sah zwei Sorten von Blut, die sich miteinander vermischten. Ich wollte die Bilder aus meinem Kopf verbannen. Kalter Schweiß drang mir aus allen Poren, ich zitterte am ganzen Leib. Tief in meinem Inneren vernahm ich gequälte Schreie. Ich wollte das fließende Blut stoppen, doch es floss immer weiter. Machtlos schaute ich auf meine blutverschmierten Hände, dann wurde es dunkel um mich herum. Ich fiel wieder in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

      2

       Samstag, 29. November 2003, 17:20 Uhr

      Es war ein nasskalter, trüber Nachmittag, die ersten weihnachtlichen Melodien hielten bereits überall Einzug. Im Supermarkt herrschte ein heilloses Gedränge zu den festlichen Klängen von Oh du fröhliche Weihnachtszeit, die dezent leise aus den unsichtbaren Lautsprechern ertönten. Siebels schob missmutig seinen Einkaufswagen durch die Gänge. Er hatte keine Lust, bei dem Trubel einzukaufen. Er versuchte sich zu erinnern, warum er überhaupt hier war. Er ärgerte sich, weil er wie immer ohne Einkaufsliste zu der denkbar ungünstigsten Zeit zwischen all den einkaufswütigen Menschen völlig planlos die Regale inspizierte. Mittlerweile hatte er wenigstens ein paar Kleinigkeiten in seinem Wagen, aber irgendetwas hatte ihn heute dazu angetrieben in den Supermarkt zu fahren und dieses irgendetwas fehlte definitiv in seinem Einkaufswagen. Sein Blick wanderte durch die Regale. Wenn er es nur sehen würde, dann wüsste er auch wieder, was ihn dazu veranlasst hatte, seinen kostbaren Samstagmittag in dieser unseligen weihnachtlichen Supermarkt-Hektik zu verbringen. Da sich beim Absuchen der Regale einfach kein Aha-Erlebnis einstellen wollte, änderte er seine Taktik. In Gedanken ging er den Inhalt seines Kühlschrankes durch, doch da war alles an seinem Platz. Er öffnete im Geist alle Schränke und Schubladen in der Küche. Mehl, Zucker, Kaffee, all das war noch vorrätig. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er sich beeilen musste, denn heute wollte er sich zusammen mit Sabine ganz gemütlich die Sportschau ansehen. Die Eintracht kämpfte zurzeit um die zwingend notwendigen Punkte gegen den Abstiegskampf. Mit Till hatte er gewettet, dass die Frankfurter Mannschaft heute endlich wieder mal gewinnen würde. Er war mittlerweile bei den Süßigkeiten angelangt, warf sich noch ein paar Tafeln Schokolade zu dem abgepackten Käse, der Marmelade, den aufbackbaren Brötchen und den zwei Flaschen Mineralwasser und betrachtete wehleidig seinen mickrigen Einkauf. Rings um ihn herum waren die Wagen bis oben hin gefüllt. Die Schlangen an den Kassen bewegten sich nur im Schneckentempo vorwärts. Er fragte sich, warum die Leute sich das alles antaten, und stellte sich hinten an. Mittlerweile verschwendete er keinen Gedanken mehr daran, warum er eigentlich hergekommen war. Er starrte auf die Kassiererin, beobachtete sie, wie sie die Waren auf dem Band über den Scanner zog. Es kam ihm vor, als würde er noch Stunden hier anstehen müssen, ohne zu wissen, warum er eigentlich hier stand. Als er endlich das Band erreichte und seine paar Habseligkeiten unter den mitleidigen Blicken einer robusten Mittfünfzigerin, die auf gleicher Höhe in der Nachbarschlange wartete, auf das schwarze Gummiband beförderte, packte er noch fünf Päckchen Zigaretten dazu.

      Erleichtert verließ er den Konsumtempel und schob seinen Einkaufswagen zielstrebig zu seinem BMW. Natürlich hatte er einen Einkaufswagen erwischt, dessen Räder klemmten und eierten. Nur mit Müh und Not gelang es ihm beim Abbiegen, den parkenden Jaguar nicht mit seinem lädierten Einkaufswagen zu rammen. Zu allem Überfluss setzte jetzt auch noch ein Nieselregen ein. Genervt öffnete er den Kofferraumdeckel seines Wagens und kaum hatte er seine Einkäufe verstaut, fiel ihm auch wieder ein, warum er überhaupt hergekommen war. Klopapier, er hatte kein eines Blatt Klopapier mehr.

      Zwei Stunden später lag er mit seiner Freundin auf dem Sofa. Sabine hatte Chips und Bier und nach dem Anruf von Siebels auch zwei Rollen Klopapier mitgebracht. Sabine Karlson arbeitete als Kriminalbeamtin bei der Sitte. Siebels hatte sie bei einem Mordfall, den er zu bearbeiten hatte, erst als Kollegin und später auch als Frau zu schätzen gelernt. Seit vier Monaten bildeten die beiden nun ein Paar und in letzter Zeit schmiedeten sie immer häufiger gemeinsame Zukunftspläne. In der Sportschau lief gerade das Spiel der Bayern. Sabine, deren Blut zur Hälfte deutsch und zur anderen Hälfte schwedisch war, war ein begeisterter Anhänger des FC Bayern München. Die Münchner blieben aber unter den Erwartungen und Siebels freute sich diebisch über jeden verlorenen Ball eines Münchner Spielers. Seine Freude wurde jäh unterbrochen, als sein Handy klingelte und er die Stimme von Staatsanwalt Jensen vernahm.

      »Guten Abend, Herr Siebels. Ich hoffe, Sie amüsieren sich nicht allzu gut. Ihr freies Wochenende ist nämlich ab sofort gestrichen. Es handelt sich um einen heiklen Fall, ich erwarte Sie schnellstmöglich in Königstein.«

      »In Königstein? Warum ich? Es gibt doch diensthabende Beamte, was soll das jetzt, Herr Jensen?« Siebels wanderte unter den neugierigen Blicken seiner Freundin im Wohnzimmer umher. Er schaute zu ihr und verdrehte seine Augen, während er mit dem Staatsanwalt diskutierte. Jensen war allgemein als Nervensäge verschrien. Siebels hoffte noch, dass es sich nur um einen kurzfristigen hysterischen Anfall des immer wieselflinken kleinen Staatsanwaltes handeln würde.

      »Wie ich bereits sagte, es ist ein sehr heikler Fall, am Telefon kann ich Ihnen nicht mehr dazu sagen. Ich benötige Sie, weil Sie der Beste sind. Und vorerst kein Wort zu niemandem, außer natürlich zu Ihrem Kollegen Herrn Krüger, den bringen Sie gleich mit.« Jensen beschrieb Siebels den Weg und nannte ihm die Adresse. Bevor Siebels noch einmal widersprechen konnte, hatte Jensen die Verbindung schon unterbrochen.

      »Ein sehr heikler Fall, weil Sie der Beste sind, Siebels«, äffte Siebels den eifrigen Staatsanwalt zornig nach, während er sich seine Schuhe anzog.

      »Ich erzähle dir dann später, wer die Tore für die Frankfurter geschossen hat«, versuchte Sabine ihn zu trösten. Die beiden umarmten sich zum Abschied, der gemeinsame Samstagabend wurde wie so oft durch die Arbeit unterbrochen. Wenn es nicht Steffen Siebels war, der Dienst hatte, dann musste Sabine Karlson bei Razzien im Frankfurter Rotlichtmilieu präsent sein.

      Auf dem Weg zu seinem BMW rief Siebels bei Till an. »Einen schönen Gruß von Jensen, unser freies Wochenende ist gestrichen. Warum? Weil wir die Besten sind, Kollege. Es ist nämlich ein heikler Fall, wie der Herr Staatsanwalt sich ausgedrückt hat. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir. Und ich will kein Wort über das Spiel der Eintracht hören, das schaue ich mir später im Fernsehen an, bis gleich.«

      Erst jetzt fiel Siebels auf, dass der Spruch von Jensen, von wegen die Besten und so, auch etwas tiefgründiger gemeint gewesen sein könnte und nicht bloß ein dumm daher gesagter Spruch war. Siebels und Till waren zwar tatsächlich die Besten, wenn es um die Aufklärungsquote von Mordfällen ging. Aber das früher so überzeugende und selbstsichere Auftreten von Till hatte in letzter Zeit etwas gelitten. Das hing mit dem Fall zusammen, bei dem Siebels Sabine kennen gelernt hatte. Till hatte damals einem Verdächtigen beim Verhör schwer zugesetzt. Er war sich sicher gewesen, den Richtigen verhaftet zu haben, und wollte um jeden Preis ein Geständnis aus dem Verdächtigen herauspressen. Der Mann erhängte sich kurz nach dem Verhör in seiner Zelle, fast zur gleichen Zeit, als Siebels mit Hilfe von Till und Sabine den tatsächlichen Täter stellen konnte. Jensen machte Till später schwere Vorwürfe und Till war nicht mehr der Alte. Geplagt von Selbstzweifeln hatte er oft daran gedacht, den Dienst zu quittieren. Viele lange Gespräche mit Siebels und mit Sabine Karlson hatten ihn mittlerweile wieder Tritt СКАЧАТЬ