Название: Flusenflug
Автор: Peter Maria Löw
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783955102395
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Somit sah nach wenigen Monaten unserer strahlenden Unternehmertätigkeit die Situation wie folgt aus: Wir besaßen eine Gesellschaft ohne Geschäftsführung, wir selbst hatten ungefähr DM 7 Mio. Schulden und wir beide, Martin und ich, verfügten zu allem Übel über keinerlei Erfahrung, wie man eine solche kleine Firma irgendwo in Ostwestfalen überhaupt leitete. Dies war für mich in dieser zweifelsfrei sehr existenzbedrohenden Situation der Zeitpunkt, an dem ich ich mich entschloss, mein sehr bequemes McKinsey-Leben im oberen Luxusbereich aufzugeben und mich höchstpersönlich um meine Firma zu kümmern. Ich kündigte also mein Anstellungsverhältnis bei McKinsey und zog aus meinem 5-Sterne-Hotel, das sicherlich viele Hundert DM am Tag kostete, in ein kleines möbliertes Zimmer in einem Bauernhof in der Nähe von Preußisch Oldendorf, das nur mit DM 17 pro Tag zu Buche schlug und preisentsprechend ausgestattet war. Von nun an war ich also der Herr Geschäftsführer.
Was zunächst wie eine Katastrophe anmutete, sollte sich für meine Unternehmerkarriere zu einem wahren Segen entwickeln. Denn in dieser existentiellen Situation war ich zum einen gezwungen, das Handwerk der Firmenführung von der Pike auf zu erlernen. Zum anderen brachte die Entlassung der beiden alten Geschäftsführer ein ganz beachtliches Trostpflaster mit sich. Beide hatten sich als Geschäftswagen teure, auf die Firma zugelassene Luxusgefährte gegönnt, die nunmehr disponibel waren. Sicherlich hätte man, um den Cashflow zu stärken, an einen Verkauf denken können, aber so waren wir nun einmal nicht. Ich für meinen Teil interpretierte dies eher als einen Wink des Schicksals. So erhielt Martin als junger Familienvater die nagelneue Mercedes 500 SEL Limousine und konnte endlich die alte Kiste seines Vaters abmelden. Für mich fiel ein schickes Mercedes Cabrio 500 SL in dunkelblau metallic mit schwarzen Ledersitzen und allen erdenklichen Extras ab, ein Fahrzeug, das man sich als 32-jähriger selten aus eigener Kraft leisten kann. Entsprechend fiel das Urteil in meinem Freundeskreis aus. Entweder wurden mir illegale Geschäfte im Bereich der Drogenkriminalität oder des Menschenhandels unterstellt oder man ging einfach davon aus, dass ich mich in offensichtlichem Größenwahn übernommen hätte. Ganz anders war der Effekt bei der Damenwelt, die offenbar sehr schnell vom Auto auf den Halter schloss. Jedenfalls öffnete mir dieser Wagen sehr viele Türen.
Derweil häuften sich die Probleme in unserer Gesellschaft. Sie besaß nur eine händische Einnahmenüberschussrechnung und keine moderne Buchhaltung. Wir installierten somit erstmalig ein einfaches EDV-System und »hackten« alle Buchungsdaten höchstpersönlich in mehreren Wochenendsitzungen in die Computer. Doch das alleine reichte nicht. Da wir eigentlich kein Geld übrig hatten, andererseits eine moderne EDV-Infrastruktur aus unserer Sicht unverzichtbar war, mussten wir also eine günstige Lösung finden. Unser Technikleiter in Espelkamp hatte von einem jungen Mann in Rahden gehört, der sich mit diesem neumodischen Kram auskennen würde. Wenn ich von jungem »Mann« spreche, so war das ein wenig übertrieben. Herr Lars Windhorst war damals gerade erst 15 Jahre alt geworden und eigentlich noch Schüler. Er hatte in der Garage bzw. im Hobbyraum seines Vaters eine Art Computerwerkstatt eingerichtet. Dort versuchte er, neben dem Schulunterricht Computernetzwerke für die Handwerker der Region zusammenzuschrauben. Es handelte sich tatsächlich um jenen Lars Windhorst, der später als »Wunderkind« mit Bundeskanzler Helmut Kohl auf Chinareise ging und anfing, Wolkenkratzer in Fernost zu bauen, bis er ein-, zweimal doch kräftig auf die Nase fiel, auch einen Flugzeugabsturz überlebte, um heutzutage wieder als sehr erfolgreicher Investor im Corporate Bereich weltweit von sich reden zu machen. Als solcher ist er vor kurzem bei Hertha BSC mit einem vielfachen Millionenbetrag eingestiegen.
Jener junge Herr Windhorst war genau unser Mann. Bei Stundenlöhnen im Taschengeldbereich, aber einer sehr guten Expertise, wo man die günstigsten Komponenten bekommen konnte, waren wir uns sehr schnell handelseinig. Herr Windhorst errichtete uns für kleines Geld eine umfängliche Computerinfrastruktur, er arbeitete sogar samstags und sonntags, dann aber nur gegen Extrazulage. Wir mussten ihn kostenlos mit Pizza und Coca Cola versorgen. Sein Geschäft schien auch sonst an Fahrt aufzunehmen. Kam er anfangs noch mit einem Mofa nebst kleinem Anhänger aus dem drei Kilometer entfernten Rahden angebraust, so fuhr er ein halbes Jahr später bereits mit eigenem Kfz vor. Natürlich nicht er selbst, sondern er setzte damals einen älteren Schulfreund, der schon den Führerschein hatte, als Fahrer und Chauffeur ein, eine Marotte, die er bis heute beibehalten hat. Im Verlaufe der Wochenendsitzungen löste sich dann der Coca-Cola-Konsum mit steigender Uhrzeit mit dem Konsum des einen oder anderen Glases Wein ab, was zu fröhlichen Gelagen bis in die späten Abendstunden führte.
Dabei fragte er uns neugierig, wie man das mit dem Firmenkauf eigentlich so mache, auch wenn man kein Geld besäße, auf welche Dinge man achten müsse und welche Fehler zu vermeiden seien. Ich griff bei meinen Antworten auf meinen noch überschaubaren Erfahrungsschatz zurück und zitierte den Ratschlag meines Vaters, dass man am besten ganz unten anfangen solle und sich dann Stufe für Stufe im Leben hocharbeiten müsse. Diese Weisheit, so mein Tipp, dürfe man auf keinen Fall berücksichtigen, sonst würde man weit unter seinen Möglichkeiten enden. Wir hätten uns so auch entschlossen, nicht etwa als Lehrling, sondern gleich als Firmenbesitzer, also oben, einzusteigen. Rotwein, insbesondere der von der Tankstelle, löst bekanntlich die Zunge und so war dieser doch etwas großspurige Vortrag von mir vielleicht nicht vollständig durchdacht, jedoch unser Herr Windhorst schien gerade diesen Aspekt besonders beherzigen zu wollen. Und so stieg er später offensichtlich ganz oben ein, um dann aber auch ziemlich tief zu fallen. Wer einen solchen Sturz überlebt, der kann es wirklich zu etwas bringen. Herr Windhorst scheint es ganz eindeutig heute geschafft zu haben. Ich habe ihn jedenfalls noch das ein oder andere Mal getroffen und die Erinnerungen an diese alten Zeiten waren für beide Seiten, so glaube ich, ganz erquicklich.
Zurück zu den Problemen bei A + L. Es gab auch keinen richtigen Vertrieb. Die einzigen Vertriebspersonen waren die »Herren« Althaus und Landmeier selbst gewesen. Die gab es nicht mehr. Wir mussten also den Vertrieb neu aufbauen und das in einem wettbewerbsintensiven Umfeld. Hier kam mir eine gewisse Kreativität, aber auch ein gesundes Maß an Frechheit zugute. Wie konnte ich es schaffen, gutes Vertriebspersonal von den etablierten Wettbewerbern in unsere doch etwas klapprige Firma zu bekommen? Denn gute Vertriebsleute sind wie scheue Rehe. Sie kennen weder Loyalität, noch haben sie große Skrupel und sind beim ersten Sturm weg. Also dachte ich mir Folgendes aus: Die neuen Vertriebsmitarbeiter sollten ein extrem niedriges Grundgehalt von DM 1000 pro Monat erhalten, jedoch, und das war die Chance gegenüber den Wettbewerbern, das Doppelte an Provision gezahlt bekommen. Dies sollte dazu führen, dass der schlechte Vertriebsmitarbeiter bereits nach kurzer Zeit die Firma wieder verließ, da er mangels Provision und zu niedrigem Grundgehalt nichts verdiente. Der gute Vertriebsmitarbeiter jedoch würde durch die verdoppelten Provisionen überproportional stark verdienen und war dadurch besonders motiviert.
Und ein zweites Element hatte ich mir ausgedacht. Bei allen Wettbewerbsunternehmen erhielten die Vertriebsmitarbeiter immer einen Opel Astra. Dies schien wohl das typische Branchenauto zu sein. Ich hatte mir über das Wesen des Vertriebsmitarbeiters, insbesondere über seine narzisstische Natur, Gedanken gemacht. Ein guter Vertriebsmitarbeiter war ein extrovertierter Mensch, der sich an seinen Erfolgen nicht nur selbst erfreute, sondern seine Umwelt daran teilhaben lassen wollte. Mit anderen Worten, das Social standing war für ihn etwas sehr Wichtiges und das Prestige bildet sich, jedenfalls in Deutschland, vor allen Dingen im Auto ab. So hatte ich mir einen perfiden Plan einfallen lassen. Die Vertriebsmitarbeiter sollten nicht etwa einen von uns vorgegebenen Vertriebswagen erhalten, sondern ihnen würde eine feste Leasingrate für ein Leasingfahrzeug als Firmenwagen zur Verfügung gestellt werden. In der konkreten Auswahl des Wagens wären sie jedoch völlig frei.
Tatsächlich ging dieses Konzept unerwartet gut auf. Potentielle Vertriebsmitarbeiter rechneten sich anhand der Leasingrate schon einmal aus, welchen СКАЧАТЬ