Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band). Else Ury
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Читать онлайн книгу Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band) - Else Ury страница 273

СКАЧАТЬ als merke er die kleine, nasse Hand nicht, die sich an seinen Arm klammerte.

      »Haben’s nur keine Angst, ‘s geschieht Ihnen nix«, tröstete er.

      Was – er hielt sie am Ende gar für feige? Jäh sank Annemaries Hand wieder herab. »Ich kenne keine Gewitterfurcht, nur erschreckt hatte ich mich«, sagte sie möglichst keck.

      Er lächelte.

      »Wir waren halt schon mal bei so einem arg bösen Wetter beieinand’.«

      »Ja, in der Nebelhöhle –« entfuhr es Annemarie.

      »Ich meint’, halt in Blaubeuren auf dem Rusenschloß. An die Nebelhöhle hab’ ich nimmer g’dacht«, behauptete Rudolf.

      Doktors Nesthäkchen biß sich auf die Lippen. O Gott, er würde doch nicht etwa annehmen, daß sie ihn an die Nebelhöhle, die seinem Gedächtnis ganz entschwunden war, hatte erinnern wollen? Nur das nicht!

      Sie hatten die Rokokohalle, die in den Charlottenburger Schloßgarten führte, erreicht. Hier fanden sie Schutz vor Regen und Sturm. Draußen rauschte es wie ein Gießbach vom Himmel herab. Es heulte in den Baumwipfeln, knackte in den Ästen. Ganz allein waren die beiden. Nur kleine Steinamoretten, Rosengirlanden in den Händen, schauten pausbäckig von der Decke herab.

      Still war es zwischen ihnen geworden.

      »Fräulein Annemarie – wollen’s meinem Gedächtnis nit ein bißle nachhelfen?« In bangforschender Frage hingen Rudolfs Augen an Annemaries jede Regung offenbarenden Zügen.

      Es zuckte darin – es kämpfte – Trotz, Stolz, Liebe und Nachgiebigkeit. Immer weicher wurde der Ausdruck ihres Gesichtes, je länger sie Rudolfs guten Blick auf sich fühlte. Da war er wieder, der Herzenston, der so lange verstummt gewesene.

      »Haben Sie die Nebelhöhle denn ganz vergessen?« Leise, ganz leise kamen diese Worte von Annemarie zu ihm.

      »Darf ich daran denken, Annemarie?« Er griff nach ihren kalten Händen.

      »Manchmal – mal ein bißchen – wenn – wenn Sie mich anranzen wollen, wie heute vormittag.« Vergeblich versuchte Annemarie zu scherzen. Wo war all ihre Keckheit hin?

      »Nein, Annemarie – das mag ich nimmer. Einschränkungen lass’ ich mir nit auferlegen. Alles will ich halt – dich ganz und gar. Gelt, jetzt sperrst dich nimmer, Herzle? Gelt, hast es halt eing’sehen, daß wir beid’ zueinander gehören – daß nix uns zu trennen vermag?« Kühn schlang er den Arm um die neben ihm Stehende.

      »Nicht anfassen – ich bin naß wie eine Katze!« wehrte Doktors Nesthäkchen, barg aber ungeachtet dieser Worte den nassen Kopf an Rudolfs nicht minder feuchter Brust.

      »Annemarie, ich wart’ halt auf die Antwort –«, drängte er.

      »Die wissen Sie doch selbst. Daß ich Sie lieb hab’, trotzdem Sie mich jetzt so oft angesäuselt haben, das wissen Sie seit der Nebelhöhle. Und daß – daß ich Ihre Frau nicht werden kann, das hab’ ich Ihnen doch auf dem Ulmer Münster auseinandergesetzt.« Annemarie zitterte vor Erregung. Sie weinte.

      »Ruhig, Herzle, ruhig! Was drunten unter der Erde begonnen und droben in den Lüften nimmer zunichte werden könnt’, das soll jetzt auf der Erde uns fest miteinander verbinden. Es sind ja Hirngespinste, Annemarie, die du als Trennungsgründe anschaust. Dein Vater ist der letzte, der sich dem Glück seines Kindes in den Weg stellen würde. Und schlimmstenfalls meld’ ich mich bei ihm als Ersatzmann. Also ich denk’, du fügst dich, mein Lieb – wenn’s auch das erstemal in deinem Leben ist.« Er küßte ihr die Tränen von den Augen.

      »Und Ola?« warf Annemarie noch pflichtschuldigst ein.

      »Ola wird am End’ auch einen – Ersatzmann finden«, scherzte Rudolf in seligem Glück. »Hast es nimmer g’merkt, Herzle, daß der Hans und die Ola einander mögen? Dein Bruder und ich, wir haben bereits Schwagerschaft miteinander getrunken.«

      »Ohne uns zu fragen?« begehrte Annemarie auf. Und dann plötzlich, die ganze Glücksübermacht erst richtig fassend, schlang sie jubelnd beide Arme um Rudolfs Hals: »Dann darf ich Sie lieb haben!«

      »Sie darfst nimmer lieb haben – Du bin ich und Rudi, verstehst?«

      »Das werde ich nicht lernen – dazu hab’ ich zu viel Respekt vor meinem Herrn Vorgesetzten«, klagte Annemarie mit drolligem Ernst.

      »Bis zu unserer Silberhochzeit wirst’s halt können, gelt, mein Nesthäkchen, mein lieb’s?«

      »Halt – Nesthäkchen dürfen Sie mich nicht nennen! Das wär’ ja noch schöner, wenn ich als – als – na ja, als Braut auch noch Nesthäkchen genannt werde. Dagegen protestiere ich ganz energisch.« Alle Weichheit war von Annemarie gewichen. Sie war wieder das übermütige Mädel, das es dem jungen Mediziner sofort in Würzburg angetan hatte. Nur ein seliger Glückston schwang bei allem Übermut mit.

      »Schön – schließen wir halt einen Vertrag. Sobald du wieder ›Sie‹ zu mir sagst, nenn’ ich dich zur Straf’ Nesthäkchen.« Ganz fremd erschien der sonst so ruhige Herr Doktor der Annemarie in seiner glückseligen Ausgelassenheit.

      Die beiden merkten nicht, daß Donner und Blitz längst ausgetobt hatten, daß der Gießbach da draußen in sanftes Plätschern übergegangen war. Erst als die Sonne plötzlich wieder durchbrach, erwachten sie aus ihrer Glücksversunkenheit.

      »Ein Regenbogen – ein wundervoller Regenbogen!« Wie ein Kind jauchzte Annemarie.

      Arm in Arm schritt Doktors Nesthäkchen mit Rudolf Hartenstein unter diamantglitzernden Zweigen mitten hinein in den farbenleuchtenden, geradeswegs in den Himmel führenden Regenbogen.

      Und die kleinen pausbäckigen Liebesgötter in der Rokokohalle lachten sich ins Fäustchen.

      13. Kapitel

       Nesthäkchen ist Braut

       Inhaltsverzeichnis

      Vera wartete heute vergeblich auf die Freundin. Zweimal hatte sie schon telephonisch angeläutet, um zu hören, wo Annemarie denn stecke.

      Frau Doktor Braun ging vom Balkon zum Erker, und vom Erker zum Balkon, nach ihrem Nesthäkchen ausspähend. Das tobende Unwetter hatte eine starke Unruhe bei ihr ausgelöst. Wenn nur ihre Lotte erst zu Hause wäre!

      Minna deckte bereits den Abendbrottisch. Der Vater war gerade im Begriff, am Krankenhaus Westend anzutelephonieren, ob Annemarie noch dort sei, denn so spät war es noch nie geworden. Da erklang Annemaries doppeltes Klingelzeichen.

      Hanne öffnete mit bärbeißiger Miene.

      »Na – du hast woll ooch nich eher nach Hause finden können, was? Nächstens behalten se dir ooch noch nachts ins Klinik. Viermal hat unsereins das Essen schon wieder aufjewärmt. So’ne Zucht!« so räsonierte Hanne. Sie hatte es doch nicht übers Herz bringen können, ihre furchtbare Drohung, Nesthäkchen nach ihrer Heimkehr »Sie« und »Fräulein« zu nennen, wahrzumachen.

      Statt jeder Antwort, die Annemarie sonst stets bereit hatte, fiel sie der verwunderten Köchin wie früher als Kind um den Hals. »Schimpfen СКАЧАТЬ