Название: Im Alten Reich
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 4064066388843
isbn:
Gelnhausen
Kaiser Barbarossa hatte bei der alten Reichsstadt Gelnhausen eine Burg, wo er sich gern aufhielt, von einer wunderschönen Geliebten, die Godula hieß, gefesselt. Nah bei der Burg war damals ein kleiner See, von Erlen und Birken umgeben, der voll bunter Fische war; sie schimmerten wie Edelsteine milchweiß, silbern, bläulich und rosenrot. Das Volk getraute sich nicht, sie zu fangen, weil ein Neck im See hauste: der stieg oft aus dem Wasser, setzte sich ans Ufer und spielte auf einer Harfe. Er hatte langes, schilfiges Haar und grüne Augen und tat niemandem etwas zuleide. Die schöne Godula hatte große Freude an den Fischen und belustigte sich damit, ihnen Brot zuzuwerfen und zuzusehen, wie sie danach schnappten; besonders einen roten, der wie eine Feuerflamme durch das Wasser zuckte, gewann sie lieb, und wenn sie ihn einen Tag lang nicht gesehen hatte, wurde sie traurig. Da, eines Tages, als er langsam, langsam ans Ufer geschwommen kam, sah sie, daß Blutstropfen aus seinen Schuppen quollen, und nach einigen Minuten war er tot und versank in die Tiefe. Die schöne Godula verfiel in Traurigkeit und starb nach drei Tagen; seitdem mochte Kaiser Barbarossa nicht mehr in der Burg verweilen, ritt hinweg und kam nie wieder nach Gelnhausen.
Diese seltsame Sage raunt von der dämonischen Macht der Elemente und der elementarischen Leidenschaften über das, was der bewußte Mensch hervorbringt. Unaufhörlich ringen sie mit ihm um sein Werk, das sie lieben und an dem sie Anteil haben; Feuer und Wasser wühlen und nagen daran, der Sturm erschüttert es und die Erde wächst darüber hin. Gras und Blumen dringen aus der geborstenen Mauer, das Moos kriecht daran herauf, der Purpur des Efeu umhüllt sie. Nicht mehr widerhallt sie vom Klirren der Waffen oder vom Gebet der Mönche oder vom Sausen des Spinnrads, nicht mehr begrüßt das Horn des Wächters den Morgen von der Zinne; aber die Musen rauschen daran vorüber mit unsterblichen Gesängen.
In früherer Zeit ließen die Menschen gebrochene Burgen, abgebrannte Klöster und Kirchen verfallen und in die Erde verbröckeln, wenn sie nicht etwas Neues darüber errichteten oder die brauchbaren Trümmer zu anderen Bauwerken verwendeten. So ging es auch mit der alten Burg von Gelnhausen; wer in der Stadt etwas baute, holte sich das Material dazu aus der herrenlosen Burg, wo es nichts kostete. Dem machte die preußische Regierung ein Ende: das denkwürdige Gebäude wurde gesäubert und instand gesetzt, wissenschaftlich untersucht und angeordnet, der Zugang versperrt und die Besichtigung nur in Begleitung eines Aufsehers gestattet. Das war dankenswert und notwendig, wenn überhaupt noch die Ruine erhalten bleiben sollte; aber schöner muß es damals gewesen sein, als noch der Zauber der Insel ungehindert in die verfallende Burg hineinwuchs, als das Gestrüpp die klagenden Figuren verschlang, die einst Säule und Gesims schmückten, und ein Klang von Harfe oder Tränen über das Wasser rieselte.
Auch die aufgeräumte Burg ist noch herrlich und ergreifend, ein Stück Vergangenheit, das der Kinzigfluß und ein Dickicht von Schwarzpappeln und Wasserweiden von der rastlos veränderlichen Zeit abtrennen. Die Welt bleibt hinter einem zurück, wie wenn man eine Kirche betritt, obwohl man ihr Walten hier wie dort spürt. In der Vorhalle werden besonders wertvolle Trümmerstücke aufbewahrt, und es finden sich da Adler als Schmuck an Säulenkapitellen, die mit überraschender Kunstfertigkeit und Sorgfalt gearbeitet sind. Den Hauptteil des Erhaltenen bildet der Festsaal, zu dem man über eine Treppe hinaufsteigt, wo der mächtigste Fürst des Abendlandes seine Gäste versammelte, mit dem Bogenfenster, wo er und seine Gattin Beatrix von Burgund standen und die Bürger von Gelnhausen grüßten. Es befinden sich dort die Reste eines Kamins mit orientalischem Muster, wie es die Kreuzzüge nach dem Westen gebracht hatten. Orientalisch mutet auch das rätselhafte Haupt mit dem langen geflochtenen Bart an, das jetzt außen über dem Portal des Pallas angebracht ist, und das Schenkendorf als das des großen Friedrich besang. Von dem übriggebliebenen Turm überblickt man die Stadt und das wellige Land und den Büdinger Forst, der als Jagdgrund die Gegend dem Kaiser lieb machte.
Lange vor den Hohenstaufen, schon zur Zeit der Merowinger, soll sich da, wo jetzt Gelnhausen liegt, ein Dorf befunden haben und auch eine Burg, die den Grafen von Gelnhausen gehörte. Erst Barbarossa jedoch erhob die alte Siedlung zur Stadt, errichtete eine neue Burg, besetzte sie mit Burgmannen und unterstellte sie einem Burggrafen, den er belehnte. Den Burggrafen als Vögten des Büdinger Waldes waren erblich belehnte Forstmeister beigegeben; aus ihnen ging die Familie derer von Forstmeister hervor, die eine Wolfsangel im Wappen führten, eine Erinnerung an die Zeit, wo Wölfe im Büdinger Forst gejagt wurden. Für den Kaiser, der bisweilen um zu jagen in die Burg kam, mußte der Forstmeister einen weißen Bracken mit herabhängenden Ohren bereithalten, der auf einem seidenen Kissen liegen sollte; auch sein Leitseil sollte von Seide, sein Halsband von vergoldetem Silber sein. Ferner mußte für den Dienst des Kaisers ein weißes Roß da sein, eine Armbrust aus Ebenholz und ein Pfeil mit silberner Spitze, befiedert mit Straußen- und Pfauenfedern. Im Jahre 1180 wurde in Gelnhausen auf sehr besuchtem Reichstage die Acht über Heinrich den Löwen ausgesprochen; anwesend waren die Erzbischöfe von Magdeburg, Köln, Trier und Salzburg, Landgraf Ludwig von Thüringen, Markgraf Otto von Brandenburg, die Äbte von Fulda und Hersfeld, viele Bischöfe und der älteste Sohn des Kaisers, Herzog Friedrich von Schwaben, dessen Verlobung mit einer Tochter des Königs von Ungarn damals gefeiert sein soll. Fünfzehn Jahre später wurde auf einem Reichstag in Gelnhausen über den Kreuzzug beraten, von dem Barbarossa nicht zurückkehrte. Auch die späteren Kaiser haben sich in Gelnhausen aufgehalten: Heinrich II., Philipp von Schwaben, Friedrich II. und sein Sohn Heinrich, Konrad IV., Rudolf von Habsburg, Albrecht I., Heinrich VII., Ludwig der Bayer und Ruprecht von der Pfalz. Damals jedoch war die Blüte der Stadt bereits vorüber.
Wenn je eine, so war die Wiege der Stadt Gelnhausen mit verheißungsvollen Patengeschenken ausgestattet. Der große Hohenstaufe, der die Zeit Karls des Großen, Ottos I., Heinrichs III. erneuerte, war ihr Gründer, Beschützer und Freund und verlieh ihr wertvolle Freiheiten; er befreite sie von allen Handelszöllen an allen kaiserlichen Plätzen und Zollstellen und bestimmte, daß nur die Kaiser selbst oder kaiserliche Beamte in der Stadt Gericht halten sollten, womit sie zur Reichsstadt erhoben war. Da sie auf Reichsboden entstanden war, hatten ihre Bürger nur dem Kaiser einen Arealzins zu leisten und durften ihre Häuser und Besitzungen ihren Erben überlassen, wenn diese den Zins weiterbezahlten. Die folgenden Kaiser fuhren fort, Gelnhausen mit allerlei Rechten und Freiheiten zu begaben, so daß die Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts deren mehr als vierzig besaß. Darunter war ein Privileg Heinrichs VI., das sie von allen Zöllen im Reich befreite, das wichtige Privileg de non evocando von Rudolf von Habsburg, das wichtige von Kaiser Sigismund, es dürfe auf eine Meile Wegs von Gelnhausen keine neue Burg errichtet werden. Sämtliche Privilegien wurden von allen Kaisern bis auf Joseph I. bestätigt. Nicht viele Reichsstädte führten ein ebenso pompöses Siegel: die Brustbilder Kaiser Friedrichs I. und seiner Frau Beatrix in einem Doppelbogen mit der Umschrift: Sigillum sculteti et civium de Geilnhausen. Der Bogen deutet das romanische Fenster in der Burg an, von dem aus das Kaiserpaar auf die erblühende Stadt hinabgesehen hatte.
Die kaiserlichen Gnaden konnten nicht ersetzen, was Natur und Geschichte versagt hatten; hier war kein starker Strom, kein alter Handelsweg, kein besonders günstig zu verwertendes Erzeugnis, und auch auf diese kleine Schwesterstadt warf Frankfurt einen drückenden Schatten.
Die Verbindung mit der Burg wurde für Gelnhausen nicht so verhängnisvoll wie für Friedberg; denn es war zwar mit dem Burggrafenamt ein Reichsgericht über die Umgegend verbunden, aber rechtlichen Einfluß auf die Stadt hatten die Gelnhauser Burgmannen nicht und scheinen ihn auch nicht angestrebt zu haben. Sie bildeten wie auch in Friedberg eine Ganerbschaft, d. h. eine zusammen lebende und gemeinsam erbende Genossenschaft, und unterstanden einem Burggrafen, der vom Kaiser belehnt, in späteren Jahrhunderten von den Burgmannen gewählt wurde. Anfangs wohnte eine Reihe von adeligen Familien in der Stadt, so die von Breidenbach, die von Trimbach, die von Bünau, die von Grimmelshausen, die von Füßchen. Einer aus der Familie von Grimmelshausen hat diesen СКАЧАТЬ