Gesammelte Werke. Ricarda Huch
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ricarda Huch

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 4064066388829

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СКАЧАТЬ reformationis in Betracht gezogen, die das Konstanzer Konzil von der causa fidei, der Glaubensfrage, abgesondert hatte. Diese beschäftigte das so vielfach von den hussitischen und waldensischen Sekten beeinflußte Volk. Man möchte glauben, daß solchen Kreisen jener ungenannte Elsässer nahestand, dessen Gedanken über die Reichs- und Kirchenreform auf uns gekommen sind. Wie er den rechten Kaiser in die Nähe Gottes rückt, so stellt er die rechten Priester Engeln gleich; aber er findet nicht, daß es rechte Priester gebe. Sie sind alle verweltlicht, ganz und gar verwerflich, man soll sie in den Türkenkrieg schicken und die Pfaffenkinder verhungern lassen. Die Kirchengüter und geistlichen Fürstentümer sollen eingezogen werden. Jeder fromme Mann kann Priester sein, die guten Werke nützen nichts, wenn das Gemüt nicht zu Gott gewendet ist, auch der Ablaß hat keinen Wert, denn nur Gott verzeiht dem Reuigen seine Sünde. Die Messe soll in deutscher Sprache gefeiert werden, denn kein Gebet ist so herzlich andächtig wie in der Muttersprache. Der Papst und alle Geistlichen sind dem weltlichen Recht unterzuordnen, das kanonische Recht muß verschwinden. Gott hat niemandem Ehelosigkeit, im Gegenteil, er hat die Ehe geboten, deshalb wird der Zölibat und werden auch die Klöster aufgehoben. – Das war keine Reformation mehr, sondern eine gewaltige Revolution im ketzerischen Sinne; aber diese Gedanken wühlten nur in der Tiefe, züngelten zufällig einmal ans Licht und verschwanden wieder.

      Heftiger und schonungsloser als die offiziellen Aktenstücke, die immerhin auch eine scharfe Sprache führten, waren einige von privater Seite veröffentlichte Äußerungen. Auf dem Reichstage zu Worms 1495 erschien eine Schrift von dem Vertreter Magdeburgs, Hermann von Hermannsgrün, die darin gipfelte, daß dem Papst, wenn er die Kaiserkrone einem Franzosen zuwenden sollte, von den Deutschen der Gehorsam zu kündigen sei. Das hätte Trennung von Rom, Gründung einer Reichskirche bedeutet. Dreiundzwanzig Jahre später war noch keine Beschwerde erhoben, die Kirche triumphierte, auf dem Reichstage zu Augsburg 1518 verlangten Papst und Kaiser gemeinsam einen Zehnten für den Türkenkrieg. Maximilian drohte denjenigen, die ihn verweigern würden, mit Reichsacht und Kirchenbann.

      Während die Stände mit ihrem Votum zögerten, erschien ein Flugblatt unter dem Titel Oratio dissuasoria, eine Rede, die von der Bewilligung des Zehnten abmahnte. Das war nicht die wohlabgewogene Sprache einer Kanzlei, sondern der leidenschaftliche Erguß eines Entrüsteten, eines verzweifelten Patrioten. Es sei eine gute Sache, den Türken zu bekämpfen, sagte er, aber unter diesem Vorwande das arme Volk auszuplündern, das sei ein ärgeres Verbrechen als alle Untaten der Türken. Nicht auf das Geld komme es an: das Unerträgliche sei, daß der Satan sich in den Engel des Lichtes verstelle, daß in den Becher der Frömmigkeit Gift gespritzt werde, daß das Volk, im Glauben, gottgefällig zu handeln, der Habsucht opfere, die die Mutter der falschen Religion sei. »Den Türken wollt ihr schlagen? Ich billige eure Absicht, aber ich fürchte sehr, ihr irrt euch im Namen. Sucht ihn nicht in Asien, sucht ihn in Italien. Gegen den asiatischen kann jeder Fürst sich selbst wehren, den anderen zu bändigen reicht die ganze christliche Welt nicht aus. Jener liegt mit seinen Nachbarn ab und zu im Kampf und hat uns noch nicht geschadet, dieser wütet überall und dürstet nach dem Blut der Armen, diesen Höllenhund könnt ihr auf keine andere Art als mit einem goldnen Strom beschwichtigen.« Ebenso scharf war die Denkschrift des Bischofs von Lüttich, eines Grafen von der Mark. »Von der Hölle aus ging eines der ärgsten Tiere«, hieß es darin, »die Geldgier, die Wurzel alles Übels.« Für den Verfasser der Oratio dissuasoria hielten viele den Ritter Ulrich von Hutten; dieser aber hatte in einer Schrift zur Bewilligung der Zehnten aufgefordert, in der er freilich, hin- und hergerissen zwischen seiner Anhänglichkeit an den Kaiser und der Einsicht in die Notwendigkeit des Türkenkriegs auf der einen Seite und dem Haß und Argwohn gegen den Papst auf der anderen, nicht umhin konnte, ein Übergewicht dieses Hasses spüren zu lassen. Wahrscheinlich hat ein Würzburger Domherr, Friedrich Fischer, die Oratio geschrieben; es waren also zwei hohe Geistliche, die einen so unverhüllten, beleidigenden Angriff auf das Kirchenoberhaupt wagten. Das Bedenkliche der wirtschaftlichen Zustände, hervorgerufen, wie man annahm, durch die Ausbeutung von seiten Roms, machte blind gegen die Gefahr der Türkenkriege; wenigstens traute man den regierenden Häuptern nicht zu, daß es ihnen mit der Abwendung der Gefahr Ernst wäre. Die päpstlich-kaiserlichen Forderungen wurden abgelehnt, und zwar mit Hinblick auf den armen Mann, das vielgeplagte Volk, auf das alle Abgaben abgewälzt zu werden pflegten, und das nicht noch mehr belastet werden dürfe. Bereits waren im südwestlichen Deutschland Bauernaufstände ausgebrochen und hatten die Herren erschreckt. Man sagte sich, daß die Aufständischen mit ihren Klagen nicht durchaus im Unrecht waren; Befürchtungen, daß eine allgemeine Erhebung des bedrückten Volkes bevorstehe, wurden häufig ausgesprochen. Sei es nun, daß die Stände ernstlich daran glaubten oder nicht, sie wollten ihren Unwillen über das Ausbleiben der Reformation zeigen, indem sie ihren Beutel verschlossen.

      Traurig ritt der Kaiser von Augsburg fort, wo er so oft auf der Höhe des Lebens getagt, gescherzt, getanzt hatte; jetzt mahnte ihn die über seine Seele sinkende Dämmerung, daß er es nicht wiedersehen werde. Als er in Innsbruck, die vor allen geliebte Stadt in den Bergen, einkehren wollte, schloß sie die Tore vor ihm zu, weil er ihr ohnehin viel schulde. »Er wird ein Streuhütlein werden«, hatte sein Vater, der sparsame Friedrich, von dem Kinde gesagt, als es bei der gestellten Wahl nicht nach dem Goldstück, sondern nach dem Apfel griff, und wirklich hatte er das Geld nie festhalten können. »Der Kayser war ein herr von oesterreich«, berichtet eine Chronik von Maximilian. »Er war fromm und nicht von hoher vernunft und war stets arm.« Wie ein abgewiesener Bettler ritt der kranke Herr weiter nach Wels, wo er am 12. Januar 1519 starb. Er war noch nicht 60 Jahre alt geworden.

      Das Bild des seinem Ende nahen Kaisers, das in seinem kleinen Stüblein auf der Augsburger Pfalz Dürer von ihm zeichnete, versteht man erst recht, wenn man das Bild des jungen Maximilian damit vergleicht, das Lukas von Leyden gemalt hat. Trotz der kennzeichnenden höckerigen Nase, und wenn wir auch die gleichen Züge wiederfinden, ist doch kaum ein Zusammenhang zwischen dem blonden, weichen, ganz ungeprägten, ganz empfänglichen Prinzengesicht und dem souveränen Haupt des scheidenden Kaisers. Die Spuren eines reich ausgefüllten, weit ausgreifenden Lebens sind hier zu einem ergreifenden Akkord gesammelt. Lag vielleicht ein Keim der Schwermut auf dem Grunde dieser unermüdlich tätigen, elastischen, heiteren Seele? Schöpfte er rastlos die unzähligen Quellen seines Reiches aus, damit der dunkle Keim nicht aufschießen und ihn überschatten könne? Dem unvergeßlichen Antlitz haben sich ebensosehr die Strapazen eines mehr an Mühsal als an Erfolgen reichen Lebens eingegraben wie die Einsicht in bodenlose Tiefen und klägliche Unzulänglichkeiten alles Menschlichen, und ebensosehr wie hohe Würde scheint unausgesprochenes Leiden Distanz zu gebieten.

      Es ist schicksalhaft, daß Maximilians Körper nicht in Innsbruck, sondern in Wiener-Neustadt begraben liegt; denn nicht seiner Person gilt die übermenschliche Gedächtnisfeier, die die ehernen Kolosse an seiner Tumba in der Hofkirche zu Innsbruck begehen, sondern dem letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, des in einem Glauben einigen. Er ist ein Letzter, dessen hier voll Ehrfurcht gedacht werden soll, der Letzte einer stolzen und tragischen Reihe. Bild ist hier die Klage geworden, die zu seinen Lebzeiten, von Sebastian Brant ausgesprochen, aus vielen Herzen brach: »O Deutschland, hülle dich in Trauer, denn das Zepter wird aus deiner Hand genommen werden! Wer gibt meinen Augen Tränen, um den Zusammenbruch des Reiches zu beweinen!«

       Inhaltsverzeichnis

      Nicht Sebastian Brant allein witterte Verfall und Untergang, aber kaum einer hat der bangen Ahnung so bestimmten Ausdruck gegeben wie er in seinem großen Brief an seinen Freund, den Patrizier und Humanisten Peutinger in Augsburg. Er sieht die drohenden Vorzeichen, die andere nicht bemerken. »Keine besseren Zeiten werden kommen, im Gegenteil, ich fürchte schlimmere, da ja alles zu Verderben und Sturz sich hinneigt!« Ein Gefühl war verbreitet, wie es die Kreatur vor einem Gewitter oder Erdbeben beschleicht, als verdunkle sich das Licht, als senke sich der Himmel tiefer als sonst hinab, als höre die Natur auf zu atmen.

      Diese Ahnung unabwendbaren Unheils bemächtigte sich der Deutschen zu einer Zeit hoher СКАЧАТЬ