Название: Reboot
Автор: Robert Jacobi
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783867746847
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Zwei Monate vor jenem Abend in München steht Greta Thunberg vor der UN-Vollversammlung. »Wie können Sie es wagen«, schimpft sie die Regierenden. »Sie haben meine Träume und meine Kindheit mit Ihren leeren Worten gestohlen. … Menschen sterben. Ganze Ökosysteme kollabieren. … Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens. Und alles, worüber Sie reden können, sind Geld und Märchen vom ewigen Wirtschaftswachstum. … Wie können Sie es wagen, weiterhin wegzuschauen.«
Applaus kommt auf, auf den Straßen New Yorks jubeln ihr Fans zu, zugleich gehen gehässige Kommentare auf YouTube und anderen Social-Media-Plattformen ein, auf denen das Video abrufbar ist. Von einer Pandemie ist damals noch keine Rede. Aber es ist klar, unser Verhältnis zur Natur, die, wie uns das Virus zeigen sollte, doch viel mächtiger ist, als wir gedacht haben, ist noch immer nicht geklärt. Wäre das anders, dann würde die Diskussion zwischen Mahnern und Leugnern des Klimawandels nicht so emotional verlaufen. Machen wir uns weiter die Erde untertan oder machen wir es zu unserer Aufgabe, sie zu schützen? Sichere Jobs und Wohlstand wollen beide Seiten, aber wie nachhaltig sind die Wachstumsrekorde? Ist es überhaupt richtig, nach mehr Wachstum zu streben, und wenn nicht, warum kommen wir nicht davon los? Steckt dieses Streben wirklich tief in unserer Natur?
Vor knapp 50 Jahre hat der Club of Rome seine berühmte Studie Grenzen des Wachstums vorgelegt. In spätestens 100 Jahren erreiche die Weltwirtschaft eine absolute Wachstumsgrenze, wenn die Umwelt verschmutzt, die Rohstoffe aufgebraucht, die Weltbevölkerung weiter angewachsen sei. Die Hälfte der Zeit ist abgelaufen. »Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen.« 16 Die einen begeistert der Bericht, die anderen beschimpfen ihn als Unfug. Die Kraft des technischen Fortschritts, der die Wachstumsgrenzen sprengt, wird unterschätzt, sagen die Kritiker. Auch Technik könnte irgendwann nicht mehr verhindern, dass das System zusammenbricht, steht im Bericht – wenn auch erst in 50 Jahren.
Auch wenn einige der Annahmen des Berichts – Ressourcen, die heute schon verbraucht sein würden – sich als falsch erwiesen haben, es bleibt der Grundgedanke der Grenzen für unser Wachstum, der uns bis heute beschäftigt. In jedem Fall lohnt es sich, die Prognosen der Wissenschaftler nachzulesen, sowohl die ersten als auch die aus späteren Versionen. Im Jahr 2017 veröffentlichten Ernst Ulrich von Weizsäcker und sein Kollege Anders Wijkman, die damals den Club of Rome leiteten, einen neuen Bericht unter dem Titel Wir sind dran: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Lange vor dem Corona-Ausbruch schreiben sie darin, dass eine Pandemie die Welt genauso massiv bedrohen könne wie die Umweltzerstörung: »Wir sind weit davon entfernt, darauf vorbereitet zu sein«, warnen die Autoren.17
Außer Wissenschaftlern und Virologen denken nur wenige Menschen zu diesem Zeitpunkt über das Risiko und die Folgen einer Pandemie nach. Knapp eine Million Menschen sterben jährlich in Deutschland, das sind rund 3000 am Tag. Ein Drittel davon an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, ein Viertel an Krebs, nur sieben Prozent an einer Erkrankung des Atemsystems – und davon auch nur ein Teil von Viren ausgelöst. Das Thema Pandemievorsorge spielt sich in einem Segment der Festplatte ab, das nur selten genutzt wird. Für den Ernstfall ist das Gesundheitssystem kaum gewappnet.
Wenig Energie fließt in das Thema. Eine der wenigen Ausnahmen: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat 2012 einen Notfallplan entwickelt. Dieser Plan beschrieb die Reaktion auf einen hypothetischen Erreger namens Modi-SARS mit »neuartigen Eigenschaften, die ein schwerwiegendes Seuchenereignis auslösen« und der »plötzlich auftreten« könne. Die Beamten diskutieren mögliche Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft, auch auf das »Schutzgut Volkswirtschaft«, die nicht konkret abschätzbar, aber immens sein könnten. Die Pandemie bekommt die Stufe C im Bedrohungsraster, »bedingt wahrscheinlich«. Dieser Wert bedeutet, dass ein solches Ereignis einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1000 Jahren geschehen könnte.18 Noch davor kommt im Bericht die Risikoanalyse »Extremes Schmelzhochwasser aus den Mittelgebirgen«.
Am Tag nach dem Abendessen mit dem Konzernmitarbeiter in München sitze ich bei einer Konferenz in einem Hotel auf dem Podium. »Disruption« lautet der Titel. Niemand ahnt etwas von der großen Disruption, die für ein ganzes Jahr lang verhindern wird, dass wir Konferenzen besuchen, die sich in der physischen Welt abspielen. Ebenfalls auf dem Podium sitzt die Digitalchefin des Lastwagenherstellers MAN, Sandra Reich. »Die Budgets für Innovation dürfen nicht geringer werden«, sagt sie. Zwischen uns Martin Unger, langer Bart, Foo-Fighters-T-Shirt, schwere Lederstiefel. Er leitete damals WattX, Digitallabor und Company Builder des Heiztechnikkonzerns Viessmann. »Der Druck, nachzuweisen, dass unsere Arbeit etwas bringt, ist gestiegen.« Werden die Zeiten gefühlt schlechter, zählt vor allem das Kerngeschäft.
Nach der Mittagspause am Stehbuffet moderiere ich mit meinen Kollegen einen Workshop. Das Ziel: Wir entwickeln eine Innovation, ein neues Produkt oder einen Service, am besten mit einem funktionierenden Geschäftsmodell. Hemd und Sakko habe ich in der Zwischenzeit gegen einen Kapuzenpulli getauscht. Das Publikum wählt unter mehreren Vorschlägen mit Handzeichen aus.
Der Gewinner ist ein digitaler Service, über den sich die Pflege der Gräber von Freunden und Verwandten weltweit steuern lässt.
5 Merkel, A. (2020, März 18). »Dies ist eine historische Aufgabe – und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen« [Video]. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Abgerufen 19.10.2020, von https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/mediathek/videos/ansprache-der-kanzlerin-1732108
6 Dinauer, R. (2020, Mai 08). Unterricht mit Zoom und Slido. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen 19.10.2020, von https://www.sueddeutsche.de/muenchen/coronavirus-muenchen-schule-digitalisierung-bildungsbooster-1.4900649
7 InfoSec-Conferences. (2020). Cybersecurity Conferences 2020–2021. Abgerufen 19.10.2020, von https://infosec-conferences.com/
8 conferenceseries.com. (2020). Related Conference of Pandemics and Biosecurity. Abgerufen 19.10.2020, von https://infectioncongress.infectiousconferences.com/events-list/pandemics-and-biosecurity
9 Statistisches Bundesamt. (2020, Juli 30). Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal 2020 um 10,1 % niedriger als im Vorquartal. Abgerufen 19.10.2020, von https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_287_811.html
10 Chödrön, P. (2001). Wenn alles zusammenbricht. München: Goldmann.
11 Grabka, M.; Halbmeier, C. (2019). Vermögensungleichheit in Deutschland bleibt trotz deutlich steigender Nettovermögen anhaltend hoch. DIW Wochenbericht 40, S. 735–745. Abgerufen 15.11.2020, von https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.679972.de/19-40-1.pdf.