Im Schatten der Vergeltung. Rebecca Michéle
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Название: Im Schatten der Vergeltung

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783943121605

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СКАЧАТЬ für die Wintermonate gut vorgesorgt worden. Die Ernte war in diesem Jahr reichlich ausgefallen und die Lagerräume bis zum Rand gefüllt, so musste niemand Hunger leiden.

      Maureen mochte ihr Leben im Hochland. Bisher hatte sie das enge Tal noch nie verlassen, einzig zum Markt nach Tomintoul durfte sie ihre Eltern manchmal begleiten. Ihr Vater war einer der Kutscher des Lairds, ihre Mutter arbeitete in der Küche und sie selbst machte sich nützlich, wo es gerade notwendig war. Sie reinigte die Kamine, putzte Gemüse und schrubbte die großen, schweren Pfannen und Töpfe. Am liebsten war sie jedoch im Stall und war glücklich, wenn ihr erlaubt wurde, sich um die Pferde zu kümmern. Der Laird war ein strenger, aber gerechter Herr, und erst kürzlich war Maureen bewusst geworden, dass sie und ihre Eltern als Sklaven des Lairds arbeiteten. Sie erhielten zwar einen geringen Lohn für ihre Tätigkeit, der Familie war es aber nicht erlaubt, ohne Erlaubnis des Lairds Beechgrove zu verlassen, um sich woanders Arbeit zu suchen. Warum hätten sie das auch tun sollen? Sie hatten ausreichend zu essen und ein Dach über dem Kopf. Das war mehr als viele andere Schotten hatten, wie ihre Eltern regelmäßig betonten.

      Lady Beechgrove war eine freundliche Frau mit einem weichen Herz. Mit geschultem Blick hatte sie Maureens wachen Verstand erkannt und hatte den Mowats ein großzügiges Angebot gemacht: Wenn Maureen ihren Pflichten im Herrenhaus gewissenhaft nachkam, durfte sie einmal in der Woche zusammen am Unterricht ihrer Töchter teilnehmen. Diese vier Stunden jeden Freitagvormittag wurden für Maureen das Wichtigste in ihrer kleinen Welt. Ihre Eltern konnten lesen und schreiben, was in der Unterschicht keinesfalls üblich war, denn öffentliche Schulen gab es keine. Zumindest nicht für die Schotten. Der junge Reverend, der die drei Mädchen unterrichtete, war ein liebenswürdiger Mann, der es anschaulich verstand, seinen Schülerinnen sein Wissen zu vermitteln. Er hatte mit der Zeit eine besondere Vorliebe für Maureen entwickelt, denn sie sog den Stoff wie ein Schwamm in sich auf, ganz im Gegensatz zu den zwei Beechgrove-Töchtern, für die der Unterricht eine lästige Pflicht war. Maureen war nicht unglücklich, dass eine nähere Bekanntschaft, die über die gemeinsamen Unterrichtsstunden hinausgingen, wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft ausgeschlossen war. Obwohl sie fast im selben Alter waren, konnte Maureen nur wenig mit den verwöhnten und wehleidigen Mädchen anfangen, denen Geschichte, Mathematik und sonstige Bildung herzlich gleichgültig waren. Gegenüber Lady Beechgrove empfand Maureen eine tiefe Hochachtung. Die Dame war höflich und zuvorkommend, eine wahre Lady eben. Manchmal lag Maureen des Nachts wach, hörte unter sich das Stampfen der Hufe und dachte sich fantastische Geschichten aus. Eine ihrer liebsten verlief so: Eines Tages stellte sich durch einen Zufall heraus, dass sie in Wahrheit ebenfalls eine Tochter von Lady Beechgrove war. Umgehend zog sie aus der kleinen Kammer in eines der eleganten Zimmer im Herrenhaus, bekam kostbare und schöne Kleider und lebte fortan wie eine kleine Prinzessin ...

      Schlagartig wurde Maureen in die Gegenwart zurückgeschleudert, als sich eine Hand schwer auf ihre Schulter legte. Von ihr unbemerkt hatte Philipp das Zimmer betreten. Missbilligend sah er sie an.

      »Hier steckst du, ich suche dich bereits überall. Kannst du mir bitte erklären, was mit dir los ist? Du hast Frederica erschreckt.«

      Maureen atmete tief ein.

      »Verzeih, Philipp, aber ich kann euch nicht zu dem Fest begleiten.« Auch nach siebzehn Ehejahren gelang es Maureen immer wieder, ihren Mann zu überraschen. Sie sah seinen entgeisterten Blick und fühlte sich äußerst unbehaglich.

      »Was willst du damit sagen? Bist du plötzlich erkrankt?«

      »Ich fühle mich nicht in der Lage, mir das dumme und geistlose Geschwätz der Damen anzuhören.«

      »Maureen, das geht nicht!« Philipp packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Lady Esther verlässt sich auf dich. Du hast versprochen, den Verkaufsstand zu betreuen.«

      Maureen fiel wieder ein, welche Zusage sie der Nachbarin gemacht hatte. Trotzdem konnte sie unmöglich auf das Fest gehen und so tun, als wäre ihre Welt in Ordnung. Nicht, solange sie nicht wusste, was in dem Brief stand.

      »Philipp, ich habe eine Nachricht erhalten ...« Sie stockte, denn sie bemerkte, dass Philipp es wenig interessierte, was sie zu sagen hatte. Leise fuhr sie fort: »Von ... meiner Mutter.«

      Ihre Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Philipps eben noch rosiger Teint wurde blass. Maureen, die den Brief noch immer in der Hand hielt, strich vorsichtig über das Kuvert, als wäre es ein kostbarer Schatz.

      »Was schreibt sie?«, fragte Philipp knapp.

      »Ich ... ich habe den Brief noch nicht geöffnet.«

      Philipp nahm ihr den Umschlag aus der Hand und betrachtete ihn mit gerunzelter Stirn.

      »Warum meldet sie sich nach so langer Zeit?«

      »Ich weiß es nicht. Der Brief kommt aus Edinburgh. Das wundert mich, meine Eltern haben die Stadt immer gehasst und wären niemals freiwillig dorthin gezogen.«

      »Es ist sehr viel Zeit vergangen, Maureen«, gab Philipp zu bedenken. »Wir sollten ihn öffnen.« Als er Anstalten machte, das Kuvert aufzureißen, nahm Maureen den Brief schnell wieder an sich.

      »Ich möchte das tun. Und ich will dabei allein sein.«

      »Aber Lady Esther …«

      Aufgeregt stieß Maureen hervor: »Lady Esther kann mir gestohlen bleiben. Ich halte hier eine Nachricht meiner Mutter in den Händen – die erste nach über siebzehn Jahren! Das ist ja wohl wichtiger als das alberne Gartenfest. Ich möchte den Brief in Ruhe lesen, und fürchte gleichzeitig den Inhalt. Alles andere ist mir gleichgültig. Kannst du das nicht verstehen?«

      Philipp schüttelte den Kopf, er war jetzt ebenfalls besorgt.

      »Es werden schlechte Nachrichten sein. Warum sonst sollte deine Mutter dir schreiben? Du lebst seit langer Zeit in Cornwall und hast mit deinen Eltern nicht das Geringste zu tun. Sie waren es schließlich, die den Kontakt abgebrochen haben. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Wirf den Brief ins Feuer und lass die Vergangenheit ruhen! Du hast schließlich Jahre gebraucht, sie zu vergessen.«

      Maureen schüttelte so heftig den Kopf, dass sich die Locken unter dem Hut lösten und auf ihre Schultern fielen.

      »Ich habe niemals vergessen! Ein Teil von mir ist immer in Schottland geblieben.«

      »Du hast nie darüber gesprochen«, warf Philipp erstaunt ein. »Ich dachte immer, du möchtest weder an Schottland noch an deine Eltern erinnert werden.«

      Maureen lächelte, aber es war ein bitteres Lächeln.

      »Es gibt Situationen, mit denen man sich abfinden muss, weil man keine andere Wahl hat. Es wäre müßig gewesen, unentwegt über Begebenheiten nachzugrübeln, an denen ich nichts ändern kann. Als ich an deiner Seite Schottland verließ, haben mich meine Eltern verstoßen. Trotzdem habe ich immer an sie gedacht und mich gefragt, wie es ihnen geht und ob sie gesund sind.«

      Philipp sah seine Frau fest in die Augen.

      »Du weißt selbst, dass es besser für dich ist, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Mit Lady Esthers Hilfe bist du ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft geworden. Maureen, du bist keine Schottin mehr, sondern eine Engländerin, und dich verbindet nichts, aber auch gar nichts mehr mit deinen Eltern oder mit Schottland.«

      »Weil ich dazu gezwungen wurde, meine Herkunft zu verleugnen, all die Jahre hindurch, bis zum heutigen Tag«, erwiderte Maureen heftig, auf ihren Wangen bildeten sich hektische rote Flecken. »Ja, du und die göttliche Esther habt ganze Arbeit geleistet und alles Schottische СКАЧАТЬ