BELARUS!. Группа авторов
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      Umfragen bestätigten die hohe Unzufriedenheit der Belarus*innen. Laut einer internationalen Erhebung vom März / April bewerteten 86 Prozent der Befragten die Reaktion ihrer Regierung auf Covid-19 als äußerst unzureichend. Das war das zweitschlechteste Ergebnis von 58 beteiligten Staaten nach der Türkei. Auch das Vertrauen der Bevölkerung in offizielle Informationen zu Covid-19 im März / April war im Vergleich zu anderen Staaten sehr gering. Die Lage wurde öffentlich sogar mit der verantwortungslosen Informationspolitik der sowjetischen Behörden nach der Explosion von Tschernobyl 1986 verglichen. Die Zeit hat gezeigt, dass die Sorgen der Belarus*innen nicht unbegründet waren. Obwohl die offiziell von den Behörden genannten Corona-Sterblichkeitsraten in Belarus weltweit zu den niedrigsten gehören, starben nach Daten der Vereinten Nationen allein im Zeitraum April bis Juni im Land etwa 5.600 Menschen mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (offiziell sind in Belarus insgesamt nur 937 Menschen wegen Corona verstorben; Stand: 21. Oktober 2020).

      Die „neue Opposition“ und ihre Botschaften

      Die neuen Gesichter in der belarusischen Politik scheinen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort aufgetaucht zu sein. Keine der neuen Figuren stammt aus der traditionellen Parteiopposition, die in Belarus weder bekannt noch beliebt ist. Noch dazu konzentrierten sie sich auf ganz unterschiedliche soziale Gruppen und konnten dadurch eine hohe Zahl unzufriedener Menschen erreichen.

      Die beiden nicht zugelassenen Kandidaten, der Ex-Chef der Belgazprombank, Viktor Babariko, und der Ex-Leiter des Belarus Hi-Tech Parks, Valeri Zepkalo, zielten auf eine eher gemäßigte Wählerschaft. Ihre Zielgruppe war vermutlich oft besser ausgebildet, verfügte über internationale Erfahrung und war mit aktuellen Entwicklungen im Land nicht zufrieden, strebte nach liberalen Reformen und hatte Lukaschenko und sein ineffizientes Staatssystem einfach satt.

      Youtube-Blogger Sergej Tichanowski adressierte eine radikalere Anhängerschaft. Diese Menschen lebten hauptsächlich in den Regionen außerhalb der Hauptstadt, waren ärmer, konnten keinen guten Job finden, waren es müde, es ständig mit der Unverschämtheit der lokalen Behörden zu tun zu haben, und sie waren wütend auf Lukaschenko persönlich, nicht zuletzt wegen dessen Rhetorik während der Pandemie. Diese unterschiedlichen sozialen Gruppen hatten im Alltag nicht unbedingt viel miteinander zu tun, aber ihr Streben nach Veränderung und ihre Opposition gegen den Präsidenten fand unter dem Motto zusammen: „Jede*r außer einem“.

      Dieses Motto erwies sich als ausgesprochen gelungen, als Swetlana Tichanowskaja mit dem spontanen „Frauentrio“ nur drei Wochen vor den Wahlen plötzlich zur nationalen Heldin wurde. Die drei Frauen standen nun für drei populäre männliche Figuren, nachdem diese nicht zur Wahl zugelassen wurden: Swetlana Tichanowskaja anstelle von Sergej Tichanowski, Veronika Zepkalo anstelle von Valeri Zepkalo und Maria Kolesnikowa anstelle von Viktor Babariko. Durch die Vereinigung der drei Teams holten die Frauen ein Maximum aus ihrer Wahlkampagne heraus, indem sie die Zielgruppen aller drei Kandidaten erreichten.

      Die Macht der Online-Medien

      Online-Medien wie Youtube und andere soziale Medien (insbesondere der Instant Messenger Telegram) spielten eine wichtige Rolle bei der jüngsten Politisierung der belarusischen Gesellschaft. Der Anteil der Menschen, die Informationen aus alternativen Online-Quellen erhielten, stieg von 24 Prozent im Jahr 2010 auf 60 Prozent im Jahr 2018. Gleichzeitig sank das Vertrauen in die staatlichen Medien (vor allem das Fernsehen) bereits seit Jahren. Soziale Netzwerke waren 2019 für fast 28 Prozent der Befragten eine regelmäßige Quelle für Nachrichten. Diese Zahl wuchs wahrscheinlich direkt vor den Präsidentschaftswahlen noch, da schnell entstehende nationale, lokale und Nachbarschafts-Telegramkanäle zu wichtigen Plattformen für Informationsaustausch und politische Selbstorganisation wurden. Überhaupt steigt die Zahl der Online-Medien-Nutzer*innen weiter an und belief sich 2019 auf mehr als 79 Prozent der Bevölkerung – damit lag Belarus weit über dem weltweiten Durchschnitt von 53 Prozent.

      Auf diese Tendenzen ging der Blogger Tichanowski ein. Er nutzte Youtube, um die Interessen der „einfachen“ Menschen aus der belarusischen Provinz bekannt zu machen. Er reiste durch das Land, traf die Menschen persönlich, filmte ihre Beschwerden und veröffentlichte das auf seinem Youtube-Kanal. Seit der Gründung im März 2019 gewann sein staatskritischer Kanal „Ein Land zum Leben“ innerhalb von einem Jahr über 200.000 Abonnent*innen, und das populärste Video (das mit der Kakerlake) wurde von über einer Million Menschen gesehen.

      Eine Pact-Umfrage aus dem Jahr 2018 zeigt, dass 80 Prozent der Belarus*innen nicht glaubten, Einfluss auf die Entscheidungen der nationalen und lokalen Behörden zu haben. Mit einem Blogger bekamen die Leute plötzlich das Gefühl, eine Stimme zu haben. Eine weitere Umfrage vom 2019 ergab, dass ein Mangel an Informationen einer der Hauptgründe für die politische Passivität der Belarus*innen war. Auch diesen Mangel hat der Blogger erfolgreich adressiert.

      Letztendlich scheinen die stundenlangen Live-Streams während der Unterschriftensammlungen und Solidaritätsketten vor den Wahlen, die von nichtstaatlichen Medien übertragen wurden, sowie Interviews mit Menschen, die in Warteschlangen warteten, um „gegen Lukaschenko“ zu unterschreiben, eine wichtige Rolle bei der Stärkung des Mehrheitsgefühls gespielt zu haben. Dank der Online-Medien hatten viele Belarus*innen womöglich zum ersten Mal das Gefühl, einer breiteren Bewegung bzw. einer Mehrheit anzugehören. Die Angst vor politischen Aktivitäten ist damit maßgeblich zurückgegangen.

      Politische Ermächtigung

      Dem Wahlkampf-Team von Babariko war es gelungen, das populäre Narrativ „Staatsmacht ist schlecht“ zu drehen auf „Menschen sind gut“. Das war eine attraktive Botschaft für die Belarus*innen, insbesondere angesichts der demütigenden Rhetorik von Lukaschenko während der Pandemie. Das Symbol von Babarikos Kampagne war ein Herz – ein starkes Zeichen von Empathie und Unterstützung.

      Babariko versuchte, ein besseres Belarus in den Blick zu nehmen, einschließlich des politischen Systems: „Wir leben in einem eher (wenn auch anscheinend undemokratischen) guten (…) Land“ und: „Der Wille des Volkes kann nicht gefälscht werden“. Indem er die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit sowie das Selbstbewusstsein und die Verantwortung der Bürger*innen in einem autokratischen Staat betonte, versuchte er die „Spielregeln“ zu ändern: Nicht „Behörden fälschen die Wahlen“, sondern „die Belarus*innen sind klug genug, das zu verhindern“.

      Das „Frauentrio“ hat diese Message konsequent in ihre gemeinsame Kampagne übernommen. Die Frauen waren authentisch, erzählten persönliche Geschichten, sprachen über Liebe und Empathie, baten die Menschen, an sich selbst zu glauben, und waren selbst ein lebendiges Beispiel dafür. Menschen skandierten bei ihren Kundgebungen: „Ich – kann – alles – ändern!” Der traditionelle Slogan der Opposition „Wir glauben, wir können, wir werden gewinnen“ klang nun manchmal so: „Wir lieben, wir können, wir werden gewinnen“. So wurde eine kritische Masse von Belarus*innen zur Wahlbeobachtung und Wahlbeteiligung mobilisiert. Sogar ihre „Bewusstseinsaufrufe“ an die Mitglieder der Wahlkommissionen funktionierte: Bei etwa hundert Wahllokalen wurden die Stimmen tatsächlich richtig gezählt.

      Frauenpower

      Was von vielen als „weibliche Revolution“ bezeichnet wird, war ursprünglich nicht als solche geplant. Es wäre auch falsch zu sagen, dass das weibliche Element das wichtigste war, das Menschen drei Wochen vor den Wahlen so stark mobilisierte. Die Belarus*innen waren bereits vor den Wahlen politisiert und weitgehend einig gegen Lukaschenko. In diesem Sinne war es eine Protestwählerschaft, die bereit war, für jede starke Persönlichkeit zu stimmen, die sich gegen den amtierenden Präsidenten stellte.

      Durch СКАЧАТЬ