Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs. Martin Oesch
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Название: Tatort Bodensee: Der Fall Winterbergs

Автор: Martin Oesch

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

Серия:

isbn: 9783839268148

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СКАЧАТЬ menschlichen Fleischs und führt es bis auf einen Zentimeter vor ihren Mund. »Meine Damen und Herren, wir treffen in wenigen Minuten in Frauenfeld ein. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Mesdames et messieurs, nous arrivons …« Sie legt ihre ganze Konzentration in das tote Körperteil vor ihrem Mund und haucht es an. Zweimal, dreimal. Erneut drückt sie den Knopf rechts außen und legt den Finger auf das für ihn bestimmte Feld. Wieder zeigt das Smartphone keine Reaktion. Sie will schon aufgeben, da fällt ihr etwas ein: eine Kleinigkeit nur. Nun drückt sie den Finger fester aufs Feld. Etwas Flüssigkeit tropft aus dem Fleisch. Es bleibt ihr keine Zeit, sich zu ekeln. Prompt erscheint nun der Startbildschirm mit den Kacheln für die diversen Apps. Der Zug verlangsamt seine Fahrt. Die hellen Lichter der Häuser vor dem Fenster werden dichter.

      Nun geht alles sehr schnell: Die Frau schaltet den Flugmodus des Handys aus, beobachtet, wie links oben der Name des Mobilfunk-Anbieters erscheint, und schreibt, wie abgemacht, die SMS. In ihrer Aufregung benutzt sie zum Tippen, anstelle ihres eigenen, den abgetrennten Finger. Sie drückt auf »Senden« und lässt danach das Gerät in den Spalt zwischen Sitz und Rücklehne verschwinden. Im besten Fall würde es einige Stunden später, weit weg von hier, gefunden werden. Den abgetrennten Finger legt sie in eine leere, mattglänzende Schatulle für Cassis-Hustenpastillen, ebenso das Taschentuch, mit dem sie die roten Tropfen auf dem Tischchen aufgewischt hat.

      Der Zug hält an. Die Frau springt auf und verlässt den Waggon durch die hinterste Türe. Sie schaut sich auf dem Perron kurz um und sieht wenige Meter entfernt einen Abfallkübel. Sie versichert sich kurz, dass sie von niemandem beobachtet wird, wirft die Schatulle in den Kübel und geht zügigen Schrittes Richtung Parkplatz.

      Blutige Spur im Museum

      Drei Wochen zuvor: 11. Januar

      »Ruhe, ihr Rabauken!« Die Stimme von Clemens Hofer hallte durch das hohe Foyer des Museums. Die 5a hatte heute die Lektion »Bildnerisches Gestalten« aus der Schulstube ins Kunstmuseum verlegt, wo am Abend die Vernissage der Ausstellung »Charakterköpfe im Wandel der Zeit« stattfinden sollte. Museum statt Klassenzimmer – eine Idee, von der alle zu profitieren schienen: die Schüler, weil alles, was außerhalb der Schulmauern stattfand, an und für sich ein Gewinn war. Das Museum, das 20 junge Menschen in die Besucherstatistik aufnehmen konnte, eine Zielgruppe, die freiwillig kaum einen Fuß über die Schwelle des Hauses setzen würde, und Hofer freute sich in erster Linie auf einen kurzen Flirt mit der attraktiven Dame hinter der Kasse. »Silvia Kündig«, stand auf ihrem Namensschild.

      »Hört mir gut zu, ja, auch du, Noah!« Nach dem zweiten Anlauf kehrte endlich Ruhe ein. »Ihr benehmt euch wie bei Oma an Weihnachten. Seid ruhig und fasst vor allem nichts an.« – »Vor allem nicht die Oma …« – »Wer war das?« Nur leises Gekicher war zu hören. Hofer machte eine kurze Pause, damit sich die Botschaft in den Kinderhirnen setzen konnte. »Eure Aufgabe ist es, eines der Gesichter, die in der Ausstellung gezeigt werden, abzuzeichnen. Dazu fünf Sätze, warum ihr euch genau für dieses Bild entschieden habt. Ihr habt zwei Stunden Zeit. Ich komme vorbei, sobald ich hier den Papierkram erledigt hab. Gibt’s noch Fragen?«

      Merima streckte den Finger in die Höhe. »Wo ist Toilette?«

      Hilflos schaute Hofer zu Silvia. »Komm, ich zeig’s dir«, offerierte sie.

      »Ey, du Opfer!«, tönte es abfällig von den Jungs, die sich in einer Ecke zusammenrotteten. Die Hälfte der Mädchen schloss sich spontan dem Unternehmen »Biopause« an.

      Hofer wunderte sich und wandte sich an die Verbliebenen. »Gut, dann: Los geht’s! Ab in den ersten Stock. Und wie gesagt: nichts berühren. Das gilt auch für dich, Noah!«

      Halbwegs gesittet machte sich die 5a auf zu den Ausstellungssälen im Obergeschoss, während der Lehrer auf die Rückkehr der WC-Karawane wartete und sich Silvia zuwandte.

      Die Ausstellung umfasste über 50 Exponate – Bilder, Büsten, Skulpturen – und zeigte in chronologischer Reihenfolge Kunstwerke vom antiken Marien-Gemälde aus dem Mittelalter bis zu Warhols berühmten Pop-Art-Bildern von Marilyn Monroe. Die Kunst im Wandel der Zeit. Die Ausstellungseröffnung am Abend versprach, der erste gesellschaftliche Höhepunkt des noch jungen Jahres zu werden: Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Sport und natürlich Kultur versammelten sich zu einer Art verspätetem Neujahrsempfang, und der zog, der feinen Häppchen und des Gratis-Alkohols wegen, nicht nur die kunstaffine Minderheit der vermeintlich vornehmen Gesellschaft an. Das war zumindest der Plan, bis zu dem Moment, als Noah Lehrer Hofers Geplänkel mit Silvia hinter der Kasse unterbrach.

      »Herr Hofer, hallo?«

      Unwirsch drehte sich der Angesprochene um. »Du wieder, Noah! Du siehst doch, ich bin beschäftigt. Ich komme zu euch hoch, wenn es so weit ist. Bis dahin …«

      Noah blieb stehen und stammelte: »Da liegt was rum …«

      Hofer stutzte und versuchte den Umfang der Katastrophe zu ermessen. »Wie, da liegt was rum? Hast du was umgestoßen, du Tollpatsch?«

      »Also ich war’s nicht. Jorin meint, das muss vielleicht so sein, weil moderne Kunst und so. Aber ich bin mir nicht sicher.«

      »Sie entschuldigen mich bitte kurz.« Widerwillig folgte Lehrer Hofer seinem Schüler. Auf der Treppe sah er mit jedem Tritt aufwärts einen deutlicheren, blutroten Schuhabdruck auf dem strahlend weißen Boden. Etwa Größe 37.

      Fressen, Saufen, Schleimen

      »Rumstehen, gescheit dreinschauen und während der Ansprachen nicht einschlafen. So eine Vernissage gibt journalistisch rein gar nichts her«, versuchte Roger Wüthrich, Chef der Lokalredaktion des Kreuzlinger Anzeigers, Schlimmeres abzuwenden. »Ich schlage vor, wir schicken einen Fotografen hin und gut ist.«

      »Hast du dir die Gästeliste angeschaut?« Chefredaktor Gustav Fromm ließ nicht locker. »So eine Promi-Dichte gibt es selten: der Stadtpräsident mit Gattin, natürlich die Thurgauer Apfelkönigin, der Präsident des FCK mit Entourage, der Chef von ›Stottler-Train‹, dem größten Arbeitgeber weit und breit, der Verwaltungsratspräsident des Anzeigers …«

      »Ach so!« Wüthrich versuchte, nicht herablassend zu tönen. »Der auch!«

      »Unseren Aktionären dürfen wir auf diesem Weg mal was zurückgeben«, unternahm Fromm einen neuen Anlauf.

      »Reicht denen die Dividende nicht mehr?«, warf Oliver Tschanz, einer der Redaktoren, bissig ein.

      Zeit für Wüthrich, seinen freien Abend zu retten. »Du erwartest aber trotzdem nicht, dass ich deswegen die Party zum zehnten Geburtstag meiner Tochter verpasse?« Der und seine Familie, dachten die anderen am Redaktionstisch neidisch, denen keine ähnlich gute Ausrede einfiel.

      »Na, Tschanz? Wäre das nicht was für dich? Schließlich sind die Kuratorin und du gut befreundet, sagt man.« Fromm versuchte, einen neuen Sündenbock zu finden.

      »Mindestens sooo gut befreundet«, schob Wüthrich unnötigerweise nach, zeichnete mit den Händen ein großes Herz in die Luft und erntete damit einige kümmerliche Lacher in der Runde, die froh war, dass die Chefs anscheinend ein neues Opfer erkoren hatten.

      »Die Vernissage im Kunstmuseum: Charakterköpfe. Das klingt wie für dich gemacht, mein lieber Tschanz. Ein Abend unter guten Freunden sozusagen. Und mit dem Stottler und dem Winterberg sind immerhin zwei Schwergewichte aus deiner Welt zugegen.«

      »Pahh, Kultur. Damit könnt ihr mich jagen.« Tschanz schien den Ernst der Lage erkannt zu haben. »Fressen, Saufen, Schleimen. Ist nicht meine Welt.«

      Oliver СКАЧАТЬ