Feuersetzen. Tom Wolf
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Название: Feuersetzen

Автор: Tom Wolf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hansekrimi

isbn: 9783863935160

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СКАЧАТЬ enthusiastisch und voller Überschwang hatte Volpi den Brief an den Bruder in Paris begonnen. Wenn er auch sonst am Rande der dunkelsten Verzweiflung reiste, so war der Gedanke an Tomaso stets der Lichtblick, der ihn den nächsten Tritt wieder sicher setzen ließ. Doch weiter kam er vorerst auch an diesem Abend nicht. Weiter in diesem … Brief … war er seit Köln nicht gekommen …

      Auch wenn Volpi also der Barbarei in diesem Jahrhundert theoretisch keine Chance mehr einräumte, so war er doch barbarisch matt. Unfähig, noch einen klaren Gedanken zu fassen, legte der Weitgereiste sich zur Ruhe – im Unruh-Haus. Der Schlaf hielt sich auf Abstand. Dazu waren das Wasserpatschen des Kehlmannmühlrads zu laut und die Eindrücke des beschwerlichen Harzabstiegs und der Ankunft noch zu rege. Das wäre es noch, dachte er, wenn ihn außer der Inspiration jetzt auch der Schlaf dauerhaft zu fliehen beabsichtigte! Dann könnte er sich rund um die Uhr den Kopf zermartern, auf der Suche nach dem neuen Grün in seinen ausgedörrten Gedanken … Eine steinige Halde war sein Gemüt, kein Halm spross, keine grüne Zeile entwand sich dem harten Boden, den nichts überzog außer Trockenrisse …

      Volpi lauschte den Nachtgeräuschen der fremden Stadt. Eine Nachtigall schlug, dass es eine Freude wäre – hätte man eine Liebste, an die man denken könnte … Der Vogel war bloß lästig … Er dachte an Johanna und hörte im Geist nur eine katholische Brieftaube krächzen, eine Rabenkrähe … Das Schlagen und Läuten der Glocken störte ihn, auch das Malmen und Walzen und Wassergeplärr der Mühle und des großen Rades. Dazu gesellte sich der ausrufende Nachtwächter, der seine genau ausgetüftelte Runde durch die Stadt machte. Immer kurz nach dem Dreiviertelschlag war er mit seinem Spruch zu hören, in dem sich nur die Stunden abwechselten. Warum man Menschen, die doch im Grunde bloß in Ruhe schlafen wollten, stets sagen musste, wie spät es war? Wenn es sie interessierte – im Traum etwa –, dann konnten sie es ohnehin am Glockenschlag erkennen, der es ihnen selbst im allertiefsten Schlaf einhämmerte. Auch der dringliche Hinweis, das offene Licht zu löschen, kam Volpi angesichts der vorgerückten Stunde mehr als überflüssig vor. Die jahrzehntelange Erziehung zur Vorsicht schien bei den Goslarern gründlich gewirkt zu haben. Nach Einbruch der Dunkelheit war’s allda naturgemäß zappenduster.

      Volpis Gedanken wollten und wollten nicht ruhen. Jetzt hatten sie wieder Feuer gefangen. Warum stand er nicht auf, entzündete seine Kerze, die er mitführte für den dringenden Fall, dass er schreiben müsste? Wahrscheinlich könnte er es jetzt! Oh ja, er würde schreiben, bis der Wächter wieder vorüberkäme! Eine Strophe, eine zweite, dann noch eine – für jede weitere Stundenrunde des Nachtwächters eine Strophe. Und morgen früh wäre er mit dem geforderten Lobpreis dieser schönsten aller Städte fertig. Fast glaubte er, es sei schon geschehen, er hätte es getan … Hatte er es getan? Hatte er an dem kleinen Tisch gesessen, den man ihm extra hingestellt, und auf das Schindeldach hinausgesehen? Den Blick wieder auf das kleine gerollte Heft gesenkt, in dem bisher nichts anderes als unpoetischste Pflanzenbeschreibungen und Notizen zu stehen gekommen waren? Nein, aber nein … Er war liegen geblieben. Alles war dunkel. Keine Kerze brannte. Nichts hatte Volpi erleuchtet. Kein Geistfunke war ihm gekommen, nicht der verendende Glühwurm einer halben oder viertel Idee … und wenn hier etwas rauschte außer dem Blut in seinen Schläfen, so war es das Wasser des rauschenden Baches, der draußen vorbeizog und Abzucht genannt wurde – ein Name, der noch dunkel an das römische aquaeduct erinnerte. Sie entsprang den Gruben des erzreichen Rammelsberges, der für die fortgesetzten Händel mit dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel verantwortlich war. Vitriole und andere Gifte hatten sich in den Sickerwässern gelöst, die aus den Entwässerungsstollen zu Tage rannen. Auf Wasserbrettern den Mühlen zugeführt, war aus der Abzucht kein Trinkwasser zu schöpfen. Sie floss daher in einer strengen Einfassung. Das gute Wasser eines Rinnsales daneben – der Gose, nach der die Stadt hieß – wurde durch die saubere Trennung nicht verunreinigt.

      Seltsam, dachte Volpi, während er dem Rauschen und dem Knarren des großen Mühlrades zuhörte … Vielleicht hatte sich sein Glück ja doch gewendet? Wenn es so wäre? Er musste an Fortunas Rad denken und lächelte schwach, für alle Welt unsichtbar und auch nur kurz: Fortunas Mühlrad! Angetrieben von den giftigen Wässern, die dem Berg entströmten, auf dem Goslars Glück gebaut war, insonderheit das Glück des Herrn, der ihn so gastfreundlich aufgenommen … Daniel Jobst, ein großer Mann, ein Wandschneider wie aus dem Bilderbuch der Gewerke! Der Erfolg seiner Handlung hatte sich aufs Körperformat geschlagen. Er war nicht mehr der drahtige 33er, der er vor 25 Jahren wahrscheinlich gewesen war, dachte Doktor Volpi, in den Belangen des Körpers wohlbeschlagen … Für sein fortgeschrittenes Alter dagegen wirkte Jobst sehr gut beieinander und wurde sicher oft für jünger gehalten. Er hatte, das zeigte seine Hausburg, im zurückliegenden Vierteljahrhundert keine Chance ungenutzt verstreichen lassen, mit Metallen und edlen Tuchen, mit Gewürzen und Farben Gewinn zu machen. War der Reichtum des Oheims Unruh bereits beträchtlich gewesen, so war der des Neffen nun fast unheimlich … Jobst hatte inzwischen mehrere Nachbarhäuser gekauft und alle Außenmauern in Stein aufführen lassen, sodass aus der Kemenate der an sich schon stattlichen Halskrause das Zentrum einer kleinen Stadtfestung geworden war. Nichts fürchtete Jobst inzwischen so sehr wie Feuer und Diebe.

      Volpi drehte sich auf die andere Seite, er fühlte die knisternden Gänseflaumfedern im Kissenbezug aus französischer Seide … Wann hatte er zuletzt etwas anderes als Stroh unter der Wange gespürt? War es dieses betörende Gefühl von Luxus, das ihn keinen Schlaf finden ließ? Wie ein Strauchdieb sah er offenbar noch immer nicht aus, so schmutzig er auch am Tag noch gewesen war. Denn Unruhs Erbe, dieser feine, furchtsame Mann, hatte ihn bereitwillig aufgenommen. Bartholdi hatte es sich nicht nehmen lassen, vorbeizuschauen, als er die Aktenflut kanalisiert hatte. Jobst und Bartholdi hatten in der Bibliophilie eine gemeinsame Leidenschaft, und der Kleine war ein gern gesehener und bevorzugt behandelter Gast, wie es schien. Er brauchte nicht nach Hause zu laufen, sondern konnte ebenfalls bei Jobst übernachten. Als Volpi todmüde den Rückzug angetreten hatte, waren Hausherr und Archivar noch ganz bei ihrer Sache geblieben …

      Volpi drehte sich behaglich auf die andere Seite. Nein, billiger wäre es kaum gegangen. Besser hätte er es gar nicht treffen können. In diesem reichen Haus, im Gespräch mit diesem belesenen Gönner, würde das Gedicht für Monika Bacchiglione wie von selbst entstehen! Einschlafen konnte er aber nicht, trotz – oder gerade wegen – dieser schönen, gänzlich unverhofft aufgeschienenen Aussichten. Das ihm so generös angebotene unbekannte lateinische Gedicht vorzunehmen … daran war ohnehin kein Gedanke gewesen … wo der Brief an Tomaso noch wartete.

      Dann war Volpi doch eingeschlafen, denn er wachte schweißnass wieder auf, nach einem schrecklichen Nachtgesicht! Es schlug halb … Halb wie viel? Zu dumm. Wenn man erst einmal eingeschlafen war, dann hatte es sich mit dem Uhrenschlagenwissen … Halb zwei, halb drei? Wie auch immer … Volpi hatte im Traum auf einer großen Blumenwiese einem Drachen gegenübergestanden, so lang wie ein Heufuhrwerk, mit einem speckigen, hellen Schweinehinterleib. Vorn aber hatte er schwarze Borsten am Kopf wie ein Wildschwein. Die Flügel einer gewaltigen Fledermaus, auch deren Ohren und einen Schmetterlingsrüssel. Am Bauch gelb, weiß und scheckig, und Flügel und Oberteil schwarz; der halbe Schwanz wie ein Schneckenhaus krumblicht. Ganz kleine, fast nur punktgroße, tückische Fuchsaugen hatte das Unvieh auf ihn gerichtet, ihn regelrecht damit aufpieken wollen … Er – der heilige Volpi dagegen – hatte eine viel zu große Lanze in der Hand gehalten, einen wahren Maibaum von Lanze … Spielend leicht hätte er, mit gewaltigen Kräften begabt, den Drachen damit erstechen oder noch besser erschlagen können … Doch der hatte sich verwandelt. Nicht im Mindesten mehr feindselig war er, geschrumpft wie aufs „Mutabor!“ eines Hexenmeisters, und machte Anstalten, die große gelbe und weiße Hundskamille zu fressen: Aus der dicken Schlange mit Flügeln war eine ganz profane Milchkuh geworden! Seine Lanze hatte er zurückgelassen, da sie unnötig war … Sie schlug, einer gefällten Buche gleich, in die Wiesenblumen. So friedlich, so harmlos, so niedlich beinahe stand die Kuh vor ihm … Ihre stumpfen Kiefer mahlten, sie muhte … Er war wieder der kleine Hütejunge von einst, passte auf die Kühe des väterlichen Landgutes in den Euganeischen Hügeln bei Monterosso auf, wo die rote Erde durchs Gras brach … Volpi trat, erfreut über diese Entwicklung, an die friedlich Grasende heran, um ihr СКАЧАТЬ