Название: In den Drachenbergen
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591836
isbn:
„Unsere Welt ist wütend und verzweifelt wegen ihrer eigenen Machtlosigkeit. Irgendwann werden die Beben so stark sein, dass nichts mehr stehen bleibt. Aber noch ist es nicht so weit. Jedenfalls hoffen wir das alle. Sicher dürfte sich allerdings niemand mehr sein. Es ist mehr Hoffnung als Wissen.“
Tama verstand nicht, warum Altwi nicht mehr sagen konnte. Aber wenn ihre Mutter nicht wollte, dass sie verstanden wurde, dann war das eben so. Schließlich ging nichts von dem, was im Elfenviertel passierte, Tama wirklich etwas an. Die Familie hatte sie sprechen wollen, sie hatten sich gesprochen, und das war es. Altwi war ihre leibliche Mutter, und es war gut zu wissen, dass es sie gab und wie sie aussah. Ein leerer Fleck ihrer Erinnerung war nun ausgefüllt, hatte Umrisse und Farbe bekommen. Dass ihre Mutter offensichtlich nichts von ihr wissen wollte, war zwar nicht schön, aber auch nicht zu ändern. So einfach war das. Sie würde so tun, als mache ihr das nichts aus. Ganz kühl würde sie reagieren. Mindestens genauso kühl wie ihre Mutter.
Dass ihr bei diesen Gedanken eine Träne die Wange hinunterlief, bemerkte Tama nicht und die anderen auch nicht. Die waren mittlerweile zurückgekommen und sammelten jetzt gemeinsam Scherben auf. Baerben hatte einen Besen mitgebracht und fegte den Staub zusammen. Das waren keine Tätigkeiten, bei denen man den Kopf hoch hielt.
Als Tama ankündigte, dass sie nun gehen wolle, und sich für die Gastfreundschaft bedankte, ging ein Ruck der Überraschung durch die Gruppe. Aureon protestierte halbherzig, bat sie zu bleiben. Ihre Stiefgeschwister redeten auf sie ein, aber für Tama waren das alles leere Worte. Argenton schüttelte mit Bedauern im Blick den Kopf und Paluda starrte mit großen Augen ins Leere.
„Du bist sicher, dass du nicht noch etwas bleiben will?“, fragte Altwi.
„Ja, ich bin sicher. Ich weiß jetzt, dass du meine leibliche Mutter bist. Um das zu erfahren, bin ich gekommen. Mutterliebe habe ich nicht erwartet, Hass oder Abscheu auch nicht. Und habe keine Sorge, ich werde dir nicht zur Last fallen. Wo ich nicht willkommen bin, werde ich mich auch nicht aufdrängen.“
„Rede nicht über etwas, wovon du nichts verstehst. Schon gar nicht über Liebe oder Hass. Liebe hast du bisher nicht viel kennengelernt. Das ist bedauerlich. Wirklichen Hass aber auch nicht, und dafür solltest du die Götter preisen.“
„Die Frau, die mich aufgezogen hat, hat mich geliebt!“
„Sie hat dich umsorgt. Das ist etwas völlig anderes als Liebe. Und was du für Gefühle gehalten hast, war Magie. Die Wesen, die dich lieben, übersiehst du, die Wesen, die dich hassen, weil sie dich fürchten, übersiehst du ebenfalls. Also erzähl mir nichts von Liebe und Hass. Und schon gar nichts von Abscheu.“
Altwi schwieg abrupt und presste für einen Moment ihre Lippen so hart zusammen, dass von ihrem Mund außer einem geraden Strich nichts mehr zu erkennen war. „Ich weiß nicht, wer dir gesagt hat, dass ich deine Mutter bin, Tamalone. Von mir hast du das nicht gehört. Aber es stimmt. Ich bin deine Mutter. Ich wusste es von dem Augenblick an, als du aus dem Dunkel in das Licht des Elfenviertels tratest. Was nicht stimmt, ist, dass du nicht willkommen bist. Deshalb sage ich es dir ganz deutlich jetzt und vor allen Anwesenden, damit du es auch wirklich verstehst. Komme so oft, wie du möchtest. Komme immer, wenn du eine Frage hast, wenn du Hilfe brauchst, wenn du nicht weiter weißt oder wenn du einfach das Bedürfnis nach etwas Gesellschaft hast. Du kannst immer kommen. Und auch wenn du es mir nicht glaubst, du bist mir immer willkommen.
Ich habe nur einen einzigen Vorbehalt, für dessen Gründe ich dir noch nichts sagen kann. Du solltest niemals lange bleiben. Mit dieser Einschränkung wirst du leben müssen, und du wirst dafür auch keine Erklärung von mir bekommen. Auch wirst du ertragen müssen, dass ich dich nicht in den Arm nehme und lieber den Abstand zu dir suche. Irgendwann wirst du die Gründe für dieses Verhalten erfahren. Für fast alles gibt es Gründe. Überall, wohin man sieht, gibt es Ursachen und Auswirkungen. Noch nicht einmal das kurze Schütteln einer verzweifelten Erde geschieht ohne Grund. Und nun geh, wenn du gehen möchtest. Aureon und Argenton werden dich in das Viertel des Handwerks zurückbringen.“
„Ich glaube dir kein Wort, Altwi, und gehen kann ich allein. Ich brauche keine zwei jungen Männer, die mich heimbegleiten.“
„Solange du hier bei mir bist, wirst du tun, was ich sage. Jeder tut hier, was ich sage. Auch du. Es ist also nicht persönlich gegen dich gerichtet. Aureon und Argenton werden dich ins dunkle Viertel und dann durch das dunkle Viertel hindurch begleiten. Sie werden dich erst wieder im Viertel der Gestaltwandler verlassen. Wo das sein wird, kannst du gern selbst entscheiden. Und wenn du doch einmal an uns denken solltest, vergiss Paluda nicht. Sie gehört auch zu unserer Familie, ebenso wie Pola-Polon, dem du noch nicht begegnet bist. Und jetzt weg mit euch dreien.“
Tama schwieg verblüfft. Wer war Pola-Polon? Doch lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, als nach ihm zu fragen. Außerdem war etwas anderes für sie wichtiger. „Kannst du mir noch etwas zu meinem Vater sagen, Altwi?“
Diese Frage wirkte beinahe wie ein dritter Erdstoß. Altwis Kinder schauten sich an, als hätte Tama eine Sünde begangen, über die in sieben Generationen noch geflüstert werden würde, Aureon und Argenton bekamen den Mund nicht mehr zu. Nur Altwi stand wie immer ruhig und gelassen unter ihnen. Aber der Ruck, der durch ihren Körper gegangen war, war niemandem verborgen geblieben.
„Er war oder ist immer noch ein Mensch ohne einen Tropfen Fremdblut. Nicht so wie ich. Unsere Beziehung hat einmal schön begonnen und bitter geendet. Er ist ein Mensch, der wenig Gefühle kennt, sie aber trotzdem meisterhaft vorzutäuschen versteht.“
„Und warum habt ihr euch getrennt?“
„Weil ich nicht vertrug, was er sagte.“
„Und was sagte er?“
„Das habe ich vergessen.“
Der Tonfall in Altwis Stimme ließ es geraten sein, nicht weiter zu fragen, und Tama gab es auf, noch etwas klären zu wollen. Sie drehte sich um begab sich zur Tür. Aureon und Argenton liefen ihr nach. Noch vor der Haustür veränderten die beiden jungen Männer ihre Erscheinung so weit, dass sie auf den ersten Blick für Elfen durchgingen. Tama gelang es nur, ihre Haut ein wenig zu verdunkeln.
Argenton ging als Erster auf die Straße, schaute von links nach rechts und von rechts nach links. Dann suchte er den Halbkreis vor sich ab. „Wir haben ganz schön was abbekommen.“ Er zog Aureon zu sich heran und zeigte auf die verschiedenen Stellen, wo ein paar Trümmer herumlagen. „Du kannst rauskommen, hier ist grad niemand“, sagte er zu Tama. „Die Bürgerwehr scheint an anderen Stellen aufzuräumen. Aber du kannst sicher sein, hierher werden sie auch noch kommen.“
Die beiden jungen Männer nahmen Tama in ihre Mitte, jeder von ihnen legte seinen Arm besitzergreifend um ihre Taille. „He, lasst das“, beschwerte sie sich.
„Pssst, sei still. Es sind nur wenige Leute unterwegs, weil es noch so früh ist. Und wenn wir der Bürgerwehr begegnen, wirkt es so, als hätten wir eine vergnügliche Nacht miteinander verbracht. Sei sicher, niemand wird uns ansprechen.“
Tama fand bereits den Gedanken daran vergnüglich und fing an zu kichern. Sie gleich mit zwei jungen Männern … Aber schon Argentons nächste Frage vertrieb alle Heiterkeit. „War es wirklich nötig, Altwi gegenüber so hart und unversöhnlich zu sein?“
„Sie hat mir weh getan. Dann passiert so etwas manchmal. Könnt ihr mich denn nicht verstehen?“
„Nein, das können wir nicht“, sagte Aureon. „Aber mach dir nichts draus. Wir СКАЧАТЬ