Die Bestie im Turm. Tom Wolf
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Bestie im Turm - Tom Wolf страница 2

Название: Die Bestie im Turm

Автор: Tom Wolf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Hansekrimi

isbn: 9783863935153

isbn:

СКАЧАТЬ Während der Rohrweih übers Schilf strich, zeterte ein Zaunkönig, stimmte dann ein hell-lautes Gezwitscher an. Eine Wasseramsel schnurrte vorbei, den hellen Brustschild vorweisend.

      Daniels Pferd setzte über struppiges Gebüsch aus Hagedorn, Schlehen und Brombeeren und erklomm den kurzen Steilhang. Als der Reiter, dem Tier zu Fuß nachsteigend, über den Rand kam, lag blau vor ihm der Harz. Die Blätter rauschten, wispelnd bog sich das hohe Gras. Eine frische Brise blies ihm ins Gesicht.

      Daniel atmete tief ein und ließ den Blick schweifen, das Ende seines Zweitagerittes vor Augen. Zur Linken hatte sich, von reichem Gefolge flankiert, der dicke Brocken hingefläzt und wärmte sich in der ersten Sonne. In der Mitte standen der Sudmerberg, der Hahnenberg, der Brautstein, Gelmke- und der Rammelsberg wie palavernd beisammen, rechts folgten, ausgeschlossen vom innigen Gespräch, der Herzberg, der Steinberg und der Todtberg und so viele weitere, dass es schier kein Ende nehmen wollte. Doch wo war Goslar abgeblieben? Unsichtbar von diesem Fleck aus lag es noch verschlafen in der Senke, halb vom Ausläufer des Steinberges verdeckt, halb hinter Gebüsch verborgen. Sah man da nicht wenigstens den mittleren der fünf Finger des Torturmes vom Breiten Tor? Nicht weit davon wohnte sie … Rike … die Tochter Simon Raschens …

      In Daniels Bauch machte sich ein wunderbares Ziehen breit, wenn er an sie dachte. Kaum zwei Wochen war es her, dass sie einander in Braunschweig getroffen hatten. Nun ja, eigentlich hatten sie sich nur gesehen. Wenn man es genau nahm, war er es gewesen, der sie gesehen hatte. Rike war mit ihren Schwestern und der Mutter im ersten Gasthof abgestiegen. Daniels Kontor hatte direkt gegenüber gelegen. Er hätte viel darum gegeben, durch ein Fenster etwas von der Angebeteten zu erblicken … doch alle Bemühungen waren vergeblich geblieben. Der Bergrichter Schmidt hatte den Raschens wohl einmal seine Aufwartung gemacht. Sonst war Daniel leider gar nichts ersichtlich gewesen.

      Er blinzelte, aber er konnte keine Turmspitze erkennen – müsste sich wohl oder übel eine Brille anmessen lassen … Mit seinen 33 Jahren fühlte er sich noch immer nicht alt, auch wenn die Augen schwächer wurden. Ob sie, die so Vielbegehrte, einen alten Mann wie ihn überhaupt noch würde haben wollen? Wahrscheinlich hatte sie längst mehrere Geliebte, und mit Sicherheit war sie einem von ihnen bereits versprochen.

      Daniels Ohren wenigstens taten ihren Dienst wie eh und je. Deutlich hörte er, dass Goslars Kirchen zur Frühmesse läuteten. Es war fünf Uhr. Noch bis vor Kurzem hätte das den bevorstehenden Beginn der Arbeit im Berg bedeutet. In Sankt Peter und Paul und in Sankt Johannis hätten die Bergleute um diese Zeit vorm Einfahren gebetet. Aber jetzt ruhte der Bergbau schon seit Monaten, und eine unsichtbare Wolke aus Unmut zog sich über der Tochter des Rammelsberges zusammen.

      Während der Gaul die Ruhe zum Grasen nutzte, versank Daniel in Gedanken, den Blick zum kahlen Goslarer Hausberg gerichtet, wo nebelfarbenes Gestein das Bild bestimmte. Deutlich waren der schlanke Wachturm auf der Halde und die spitzen zeltförmigen Schindeldächer über den zahlreichen Vorhäusern der Gruben auszumachen. Ob sich dort jemals wieder die Göpel-Pferde im Kreis bewegen würden, um die Menschen und das Gestein aus den Schachtanlagen zu heben?

      Daniels Oheim, stets gestreng darauf bedacht, seinen Ziehsohn aufs Berufsleben vorzubereiten, hatte ihn früher die Namen der Schächte aufsagen lassen – der Redding, die Bleizeche, die Rathstiefste, der Deutsche Schacht, Rottmanns Grube, die Nachtigall, der Breitling, das Kaninchenloch, Innigs Schacht, der Hasenstall, die Detlefsche Grube, das Neuwerk, der Vogtsche und der Froborgsche Schacht, Hogewart Tillings Grube, die Heuscheune, Sieh-dich-um, der Sumpf, die Silberhöhle, der Aschenort, die Kohlengrube, In-der-Katz und das Hirschgehege. Sollten aller Schweiß der Bergleute und alle Tränen der Financiers nun vergeblich geflossen sein?

      Der Bergbau, der schon seit unvordenklichen Zeiten betrieben wurde, hatte deutliche Spuren in der Gegend hinterlassen. Nicht nur der Rammelsberg mit seinen Schächten – auch der Herz-, Stein- und Sudmerberg zeigten sich so gut wie kahl. Unablässig gierten die gefräßigen Blei- und Silbergruben nach Holz, kaum dass der Wald reichte für all die Werke. Ein Bergwerk erforderte Stempel zum Ausbau und Gestänge für die Wasserkünste, Pipen-Rohre, Zapfen, Wasserräder, Gestelle, Hunte, Karren und Wagen für den Erztransport, doch vor allem Feuerholz zum Feuersetzen in der Nacht. Die Hitze zermürbte das Gestein, und am nächsten Tag konnte das Erz mit eisenbewehrten Stangen heruntergebrochen werden. Würde jetzt der Wald wieder sprießen? Müssten die Gruben so lange ruhen, bis alles nachgewachsen war?

      Die Schmelzhütten an den nahen und fernen Wasserläufen, wo das Gebirge vom Erz geschieden und aus dem Erz das Metall gezogen wurde, kamen mit ihrer unstillbaren Gier nach Holzkohle hinzu. Forst um Forst war in den Meilern verschwunden und in Säcken, kleinstückig und schwarz, zu den Schmelzen gefahren worden. In den Öfen erweicht, verflüssigt, hatte sich das Metall tropfend vom Stein getrennt und war nach dem Anstich aus dem Vorherd in die Laib-Formen geschöpft worden, wo es erstarrte. Sollte das jetzt auf Dauer Vergangenheit sein? Würde je wieder ein Tropfen heißes Metall aus dem glühenden Gestein sickern, jemals noch ein Blei-Brot oder ein Silber-Kuchen die eisernen Schmelzformen verlassen?

      Daniel vermisste die Schwaden der Kohlenmeiler, die sich früher überall von den Kahlschlägen erhoben und mit den Ausdünstungen der feuchten Erde vermischt hatten. Es hatte ausgesehen, als würden die Füchse, die Feen und Geister, die Hexen und Kobolde am weiten Horizont ihre Suppen und Lebenstränke kochen. So war es ihm vor allem an jenem kühlen Morgen erschienen, als er zum ersten Mal die einsamen Harztäler erblickt hatte, da seine Muhme Grete und sein Oheim Hans ihn zu sich nach Goslar holen ließen. Damals erzählte ihm Lisbeth, die Bez, seine Kinderfrau, um ihn zu beruhigen, die Sage vom Jäger Ramm, dessen Pferd angeblich einst aus Langeweile mit seinen Hufen den ersten Erzgang angekratzt hatte.

      Jetzt war die Muhme schon seit neun Jahren tot und der Oheim Hans ihr nach langem Siechtum gefolgt. 82 Jahre war er alt geworden, das war viel, selbst für einen wohlhabenden Mann.

      Schreie brachten Daniel in die Wirklichkeit zurück. Unten aus dem überschwemmten Bachtal kamen sie.

      »Zu Hilfe! Jesus! Gott im Himmel, hilf! Ihr Heiligen, helft! Maria, Martha, Magdalena, Johannes, Petrus, Paulus: Ich kann – … urrgh! … – doch nicht schwimmen!«

      Ein Maulesel trieb vorüber, scheinbar von zwei prall gefüllten, schwimmenden Wachstuchsäcken über Wasser gehalten. Aber so ein Tier konnte schwimmen, seine Augen glänzten irr; seine Nüstern zogen die Luft heftig ein und stießen sie wieder aus, dass es dampfte. Die Schreie rührten wohl von jemand anderem her …

      »Zu Hilfe! Ich ertrinke!«

      Aha – jetzt kam der Schreihals angetrieben, an einen Ast geklammert. Wasser ausspuckend und den Kopf immer wieder aus der dreckigen Brühe reckend, fixierte er Daniel mit flehendem, schräg aufwärts gerichtetem Blick, als könnte er sich auf diese Weise an ihm festhalten und vor der sicheren Verdammnis retten.

      »Was hältst du dein spätes Johannisbad auch in dem reißenden Bach ab?«, rief Daniel ihm zu und schwang sich aufs Pferd. Rasch war er wieder den Hang hinab und folgte am Ufer entlangreitend dem menschlichen Treibgut.

      »Versuch, dich daran festzuhalten!«, rief er, zog seinen langen Bogen aus einem seitlich dem Pferd umgeschnallten Futteral und hielt ihn übers wilde Wasser. Nach einigen fehlschlagenden Versuchen gelang es dem Treibenden, den schmalen Stock zu fassen. Daniel zog ihn behutsam näher ans Ufer, bis er Tritt fasste und sich schließlich durchs Geäst einer Weide an Land hangelte. Da stand er dann kurz darauf, zitterte und tropfte.

      »Ich verdanke dir mein Leben!«

      Der Retter wies den Triefenden mit spöttischem Blick auf den weiteren Verlauf des Flüsschens hin. Nur wenige Steinwürfe entfernt nahm eine Sandbank fast die ganze Breite des vormaligen Bettes ein. Die Wucht des Wassers verströmte sich seitlich, sodass sich der Junge leicht auch selbst hätte retten können. Sein Maulesel hatte СКАЧАТЬ