Die Frage bleibt. Freda Meissner-Blau
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Название: Die Frage bleibt

Автор: Freda Meissner-Blau

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

Серия:

isbn: 9783902998088

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СКАЧАТЬ Es gab auch damals genug schreiende Ungerechtigkeit, Missbrauch und Ausbeutung, aber auch mehr Verantwortung füreinander.

      3GOTTLOSES KIND

       Verbleiben wir doch noch ein wenig in Ihrer Kindheit. Als Historiker versuche ich Menschen immer auch aus ihrem Gewordensein zu verstehen. Wenn Sie nun über Ihr Elternhaus, über Ihre Verwandtschaft ein wenig hinausschauen: Welche weiteren wichtigen Erfahrungen gab es für Sie, vielleicht auch solche, wo Sie mehr Freiräume erfahren haben als zu Hause?

      Da fällt mir sofort die Natur ein. Mit der Natur habe ich ja noch heute eine unverbrüchliche Zusammengehörigkeit. Sie hat mich getröstet und beschützt, ich habe sie verteidigt und bewundert. Unsere Großeltern hatten dieses gemütliche Holzhaus am Waldrand von Reichenberg, das wir die Alm nannten. Als wir in Linz und Wien lebten, haben wir dort immer die Ferien verbracht. Meine Zuflucht auf der Alm war zwischen zwei Felsen, darüber beugten sich eine Esche und eine Trauerweide. Dorthin flüchtete ich, wenn ich unglücklich war. Dann habe ich mir, was viele Kinder tun, ausgedacht, dass ich andere Eltern habe, dass meine Eltern eigentlich ein König und eine Königin sind und ich bei meinen Eltern nur als Findelkind bin. Und dann, wenn’s ganz schlimm war, habe ich mir vorgestellt, dass ich sterbe und wie sie weinend hinter meinem Sarg hergehen. Dort in meiner Zuflucht habe ich mir auch die verschiedensten Märchen ausgedacht. Ich würde noch heute blind den Weg zu diesen Felsen finden, wenn’s die Wege noch gibt. In dem Moment, wo ich dort gesessen bin, bin ich ruhig gewesen, da konnte mir nichts passieren, es roch so gut, und ich hörte das Summen der Insekten und den Wind, und alles war gut.

      Noch heute gehe ich, wenn ich zornig oder traurig bin, in die Natur, und der Zorn und die Trauer verrauchen. Ich bin ja wirklich keine Esoterikerin, das muss ich betonen, aber wenn ich die Hände auf den Stamm einer Eiche oder einer Birke lege, dann pulsiert es, da spüre ich, das ist Kraft, das sind Energien. Ich liebe das so sehr. Ich bewundere die Bäume, und mir tut’s weh um jeden, der geschlägert wird. Das ist eine ganz viszerale Beziehung, die ich mit der Natur habe. Ich spürte schon damals intuitiv, was unser Freund und Mitstreiter gegen Zwentendorf und für die Au, Friedensreich Hundertwasser, fünfzig Jahre später sagte: »Die freie Natur ist unsere Freiheit.« Und heute sage ich mir: Freda, auch wenn du nicht mehr ordentlich gehen kannst, du kannst dich immer noch dort hinsetzen und das anschauen. Die Liebe zur Natur war auch wichtig für mein Engagement in der Ökobewegung, und deshalb haben die Leute leicht sagen können: »Na, Ihnen hat man geglaubt, man spürt bei Ihnen die volle Überzeugung.« Na ja, Kunststück, klar war’s so, denn ich musste ja nicht spielen. »Weißt du, was ein Wald ist?«, hat Bertolt Brecht gefragt. »Ist ein Wald etwa nur 10 000 Klafter Holz? Oder ist er eine grüne Menschenfreude?«

      Ich habe außerdem in meiner Kindheit sehr gerne Sport betrieben, zum Beispiel war ich eine gute Skiläuferin: Und: Ich muss gestehen, ich habe die Geschwindigkeit geliebt. Das hatte für mich etwas von Freiheit. Ich bin immer über meine Verhältnisse gefahren, gerade immer an der Grenze. Das hat mich wahnsinnig gereizt. Einmal waren wir zu Weihnachten auf der Plannerhütte in den Tauern. Ich muss fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein. Es war saukalt, und eigentlich habe ich nur gefroren und nasse Füße gehabt. Aber wie hat mich die Natur fasziniert! Ich entdeckte einen Bach mit vielen glänzenden Eiszapfen. Wenn ein Lichtstrahl auf sie fiel, haben sie wundervoll gefunkelt. Da konnte ich stundenlang hocken, mir das anschauen und mich freuen. Und dann eben meine Liebe zum schnellen Skifahren: Ich bin immer Schuss-Bumm gefahren, dann hat’s mich natürlich hingehaut, und das haben meine Eltern nicht goutiert. So haben sie mich in einen Skikurs für Kinder gegeben, und da sagt doch mein Vater zum Skilehrer: »Wenn sie nicht pariert, dann hauen Sie sie mit’m Skistock.« Ist doch sehr demütigend, oder? Und ich hab mich auch noch geschämt dafür! So musste ich Schneepflug und Stemmbogen fahren und nicht einfach Schuss. Aber mir hat’s dann eh gefallen, und ich habe eine tolle Standfestigkeit dabei bekommen.

      Später bin ich auch noch geritten, das war schon in der NS-Zeit, dann wurde das aber als vormilitärische Ausbildung deklariert und wir Mädchen durften ab 1943 nicht mehr. Und, stellen Sie sich vor, ich habe Segelfliegen angefangen, das war wirklich mein großer Traum. Ich habe sogar noch die A-Prüfung machen können. Das hätte ich geliebt! Aber dann hieß es wieder: Das dürfen Mädchen nicht. Also ich spürte damals schon Freiheiten in mir, aber das meiste kam erst in der Pubertät, als mein Vater uns schon verlassen hatte.

       Welche Bedeutung hatte in dem bildungsbürgerlichen Umfeld, in dem Sie aufgewachsen sind, das Lesen, hatten für Sie bestimmte Bücher?

      Beim Lesen war ich immer in einer anderen Welt, und das war nicht die Welt der anderen. Sehr viele Tierbücher habe ich damals gelesen; auch den Hermann Löns, den man heute sehr kritisch sehen kann, liebte ich sehr. Die Biene Maja und diese ganzen Sachen habe ich verschlungen. Mädchenbücher konnte ich zu Hause gar nicht lesen. Da haben sie mich verhöhnt, auch mein Bruder hat mich ausgelacht, wenn ich Trotzkopf und Nesthäkchen las, die ich so geliebt habe. Und lange, lange Jahre waren Märchen und Sagen eine Hauptlektüre von mir. Sie sind mir geblieben, auch der Robinson Crusoe, die Riesen und die Zwerge. Das war ganz wichtig für mich, diese Vorstellung der Verschiedenheit der Menschen, und die Mystik in den Märchen. Da lernt man noch, wenn man selbst älter wird und Kinder hat, von den Kindern so viel.

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       In Wien, ca. 1937

       Zum Beispiel?

      Ted, meinem ältesten Sohn, musste ich immer wieder die Hänsel-und-Gretel-Geschichte erzählen oder vorlesen. Er war fünf oder sechs Jahre alt, als er plötzlich zu weinen anfing. »Was ist los, Ted?«, fragte ich. Da sagt er: »Mir tut die arme Hexe so leid. Hänsel und Gretel lügen sie immer an und stecken da ein Hölzchen hin und zeigen gar nicht ihre Finger.« Gerade das ist ja das Interessante an Kindern, dass sie Dinge sehen, an denen man selbst immer vorbeigegangen ist. Kinder können querdenken, wenn man sie lässt. Und festhalten an einer Welt, die sie haben wollen, und da glauben sie eben noch ans Christkind oder an den Weihnachtsmann, auch wenn sie eigentlich wissen, dass es die gar nicht gibt. Darauf kommt’s auch nicht an. Es muss ein Phantasiebild sein. Ich halte das für so wichtig. Wir lernen beispielsweise über Märchen, mit Schmerzen oder Ängsten fertigzuwerden. Ich selbst habe mich als Kind geängstigt für diese zwei Kinder, die sich verirrt haben. Ich habe das damals nicht verstanden, ich hatte immer einen ausgeprägten Orientierungssinn in der Natur, und habe mich gefragt: Wie können Hänsel und Gretel sich verirren, die müssen doch die Wege gekannt haben, diese Kinder, was ist denn los mit denen?

      Dann fällt mir noch eine Geschichte ein, wo ich mir einen verwunschenen Prinzen phantasiert habe. Ich wollte wahnsinnig gerne Rad fahren. Der Einzige von uns, der ein Fahrrad – und zwar ein Steyr-Waffenrad – bekommen hat, war natürlich mein Herr Bruder. Er war damals fünfzehn und ich war sieben. Einmal durfte ich nachmittags zu Hause bleiben, denn ich hatte angeblich Halsweh. Der Peter war in der Schule, so habe ich mir sein Waffenrad geschnappt. Über die Stange konnte ich natürlich nicht drüber, bin also unten durch und losgefahren. Wir haben in Linz auf dem Bauernberg gewohnt, und am Römerberg war damals die einzige wirklich gut asphaltierte Straße, eine Serpentine. Ich bin diese Serpentine, die ziemlich steil war, jeden Tag von der Schule hinaufgegangen. Nun bin ich dort mit dem Fahrrad runtergesaust. Und dann, ich konnte ja noch nicht anständig Rad fahren, bin ich am Trottoir angestreift und geflogen, über das Rad drüber. Ich hatte ziemliches Weh, lag zuerst ganz benommen da und dann vor allem der Schreck – das Rad! Ich hab gesehen, es ist verbogen. Damals gab’s dort einen alten Mann, der immer mit einem Leiterwagen unterwegs war und die Pferdeäpfel und das Laub gekehrt hat. Er hatte, ich erinnere mich noch genau, nur einen Zahn oben. Er kam gerade in dem Moment, wo ich daliege. Er wusste natürlich genau, wo ich wohne, schmeißt mich auf seine Pferdeäpfel und sein Laub drauf, wirft das Rad über mich und führt mich, blutend, nach Hause. Und wie der СКАЧАТЬ