Die Frage bleibt. Freda Meissner-Blau
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Название: Die Frage bleibt

Автор: Freda Meissner-Blau

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783902998088

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СКАЧАТЬ Mädchen habe mich hemmungslos in diesen verwunschenen Prinzen verliebt. Aber nachdem ich auch den Froschkönig gelesen hatte, dachte ich mir: Na hoffentlich muss ich dem keinen Kuss geben.

      Wissen Sie, wenn ich jetzt von all dem erzähle, was ich in meiner eher zerrissenen Kindheit erlebt habe, fällt mir auf, was ich damals womöglich Positives daraus gezogen habe. Ich glaube, ich habe damals gelernt, allein sein zu können. Damals war ich oft froh, wenn ich nicht von irgendwas oder irgendjemandem bedrängt wurde.

       Stichwort »bedrängt werden«: Sie erlebten Ihre Kindheit in Linz zu einer Zeit, in der das damalige politische System, der Austrofaschismus der 1930er Jahre, etwas Bedrängendes haben konnte. Wie haben Sie das erlebt?

      Sie dürfen nicht vergessen, damals ist Linz das Schwärzeste und Provinziellste gewesen, was man sich vorstellen kann. »Linz an der Tramway«, hieß es, denn das Einzige, was Linz hatte, war eine Tramway. Wie hat man damals noch gesagt? Linz ist ein Mostschädelnest. Das hatte schon etwas Verächtliches.

      Es gab eine starke Dominanz der katholischen Kirche. Was heißt Dominanz? Österreich war damals klerikal-faschistisch, die Kirche und die Regierung haben regiert, vor allem die Kirche. Das war spätestens seit den Februarkämpfen 1934 so. Als die in Linz losgingen, bekam ich die Schießereien mit. Gerade in Linz war es dramatisch. Ich – noch nicht einmal sieben Jahre alt – habe aber natürlich nicht verstanden, wer da gegen wen kämpft, das hat mir kein Mensch erklärt. Mir wurde nur gesagt, ich dürfe nicht aus dem Garten raus und nicht auf die Straße. Aber mein Bruder lehrte mich, wenn Heimwehrler mit dem Hahnenschwanz am Hut vorbeikommen, mich hinter einem Busch zu verstecken und laut »kikeriki« zu rufen – meine erste politische Aktion!

      Ich selbst bin ja in einer Familie aufgewachsen, die nicht anti-religiös, sondern die areligiös war. Das heißt: Religion hat bei uns keine Rolle gespielt, man hat nicht gebetet, man hat nicht darüber gesprochen. Aber dann machte ich meine eigenen Erfahrungen in diesem stockkatholischen Linz, als ich in die Schule kam. Da kommen jetzt Bilder, Bilder, Bilder, ich kann gar nicht so viel reden, wie die Bilder jetzt auf mich einstürmen.

      In der Volksschule hatte ich sofort Religionsunterricht, und Religion war für mich etwas völlig Neues. Wie jedes Kind habe ich zugehört, habe aber vieles nicht verstanden. Das fing schon in der zweiten Klasse an, als von der Unbefleckten Empfängnis geredet wurde. Ich hatte keine Ahnung, wovon der Religionslehrer, der auch Pfarrer war, spricht, denn ich kannte nur Flecken und wusste, dass man dafür Fleckenwasser braucht. Wir hatten immer welches zu Hause, weil wir uns als Kinder ja gerne angepatzt haben. So habe ich den Religionslehrer gefragt: »Wie war denn das mit der Unbefleckten Empfängnis? Wo waren denn die Flecken?« Ich war ja durchaus ein neugieriges und aufgewecktes Kind. Da sagt er mir, wie unartig ich sei, schickt mich in die letzte Bank, und ich hätte keine Fragen mehr zu stellen. Ich setzte mich in die letzte Bank und war dort eigentlich sehr zufrieden, weil ich unter der Bank lesen konnte, das hat niemand gesehen. Ich habe meinen Dr. Dolittle gelesen und auch die Mädchenbücher, die ich zu Hause verstecken musste.

      Ein Jahr darauf kam die Erstkommunion. Es ist merkwürdig, wie wach diese Erinnerung in mir noch ist, wie sehr mich das geprägt hat, diese scheinbaren Äußerlichkeiten, die aber etwas Gewalttätiges haben. Da passierte Folgendes: In der Schule wurde gesagt, die Mädchen müssten für die erste heilige Kommunion weiße Kleider haben und die Buben Matrosenanzüge, aber vorher müssten wir noch beichten gehen und ein Sündenbekenntnis schreiben. Ich sehe mich noch zu Hause an dem abgeschabten, kleinen, weißen Pult sitzen, das im Kinderzimmer stand, an dem wir immer herumgekratzt haben, wenn wir arbeiteten. Dort habe ich nachgedacht: Was ist ein Sündenbekenntnis, was mache ich da? Ich hatte keine Ahnung. Geht mein Bruder durchs Zimmer und fragt: »Was machst denn du da? Was spielst du herum?« – »Ich muss ein Sündenbekenntnis schreiben, und ich weiß nicht, was ich schreiben soll.« – »Ist doch leicht, schreib einfach hin: ›Ich habe gelogen, ich habe betrogen, ich habe die Katz am Schwanz gezogen.‹ « Ist ein altes Sprücherl. Ich frag noch: »Meinst?« – »Ja.« Na, wenn mein älterer Bruder das sagt. Ich war erleichtert und schrieb das Sprücherl auf.

      Am nächsten Tag mussten wir in den Neuen Dom in Linz, wo alles so unheimlich war, recht düster. Und in den ganz düsteren Ecken waren diese kleinen Häuschen, die Beichtstühle, in denen man niederknien musste; ich kniete auch. Plötzlich geht bei dem Gitter das Türl auf – ist da mein Religionslehrer. Ich erschrecke, denn der mag mich ja nicht. Er fragt: »Was sind deine Sünden? Bekenne!« Ich sage mein blödes Sprücherl auf. Na, mehr hat er nicht gebraucht. Er war außer sich und sagte: »Du gehst jetzt zum Marienaltar und sagst fünfzig Vaterunser und zwanzig Ave-Maria, und den Rosenkranz betest du zehn Mal.« Ich habe nicht gewusst, warum, aber ich ging dorthin, kniete nieder und hab’s schnell runtergeradelt: »Vater unser, der du bist im Himmel …« Ich hab’s brav gemacht und bin rausgegangen.

      Dann hieß es, am nächsten Tag müssten wir nüchtern in die Schule kommen, denn da sei der große Tag, die heilige Kommunion. Ich hatte noch zu meiner Mutter gesagt: »Mami, ich brauch ein weißes Kleid.« Worauf meine sehr vernünftige Mutter, die zwar Taufscheinkatholikin war, aber der die katholischen Rituale fremd waren, meinte: »Ich denke nicht daran, dass ich dir ein Kleid für ein Mal kaufe. Zieh ruhig dein rotes Samtkleid, dein Sonntagskleid an.« So zog ich das rote Sonntagskleid an und ging in die Schule. Dort fiel mir das Herz in die Hose. Waren doch die ärmsten Kinder aus der Altstadt in Organdykleidern, die bis zum Boden reichten, mit beneidenswerten Kerzen mit Silber- und Goldschrift und Kreuzen. Ich war geblendet. Ich stand da in meinem roten Kleidchen und war voller Neid und Sehnsucht. Alle hatten große Maschen in den Haaren, und ich hatte nichts. Als die Lehrerin und der Pfarrer – es war immer derselbe Pfarrer, der mich verfolgt hat – kamen, sagt dieser Pfarrer: »Meissner, du gehst zwischen der Frau Lehrerin und mir, du störst das ganze Bild.« Ich durfte nicht mit den Kindern, die in Weiß waren, gehen!

      Das hat mich tief gekränkt. Dann bekamen wir die Oblate. Ich hatte Angst, dass ich in sie reinbeiße, denn es war uns gesagt worden: »Wenn ihr hineinbeißt, dann beißt ihr in den Leib des Herrn Jesus Christus.« In den wollte ich ja nicht beißen. Die Oblate blieb mir – ich spüre das heute noch – am Gaumen kleben. Jetzt muss ich ja darüber lachen, aber damals war ich verzweifelt. Ich versuchte, die Oblate mit der Zunge runterzudrücken. Nachher gab’s dann im Pfarrhof Kakao mit Guglhupf. Und stellen Sie sich vor, ich durfte wieder nicht bei den anderen Kindern sitzen, musste wieder die ganze Zeit zwischen diesem schrecklichen Priester und der Lehrerin sein.

      Ich habe es meiner Mutter sehr übel genommen, dass sie in dieser Situation aus mir eine Außenseiterin gemacht hatte. Lange Zeit wagte ich nicht, es ihr zu sagen. Erst, als ich erwachsen war, fragte ich: »Du sag einmal, Mami, warum hast du mir damals nicht …?« Da antwortete sie: »Ja, warum hast du nicht gesagt, dass das sein muss, dann hättest du es auch bekommen.« Na ja … Aber damals bei der heiligen Kommunion hat meine Abkehr von der Kirche endgültig begonnen. Es war für mich eine Pein, dass wir Volksschulkinder – das war ein derartig strenges Regime – jeden Sonntag in der Schule antreten mussten; von dort wurden wir von einem Priester in den Neuen Dom geschafft. Jeden Sonntag mussten wir der Messe zuhören. Da war der Sonntag verpfuscht.

       Da gingen Sie schon lieber in den Kürnberger Wald?

      Das ist wahr, da war’s mir noch lieber, sonntags keltische Scherben zu suchen. Eigentlich war ich froh, wenn mir meine Eltern eine Entschuldigung schrieben.

       Haben Sie noch weitere Erinnerungen an Ihre Linzer Schulzeit?

      Ich besuchte eine Volksschule, in die vor allem die armen Kinder gingen, die in der Nähe der Altstadt und in der Altstadt selbst wohnten. Aus der »schönen« Schule, der Figuly-Schule, war ich rausgeflogen. Das kam so: Als ich noch in die Figuly-Schule ging, mussten wir Mädchen natürlich auch sticken, ich konnte aber nicht sticken. Bei mir wurde das immer sehr braun und mal zugezogen, dann habe ich wieder ganz locker gelassen und es wurde zu СКАЧАТЬ