Die Frage bleibt. Freda Meissner-Blau
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Название: Die Frage bleibt

Автор: Freda Meissner-Blau

Издательство: Bookwire

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783902998088

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СКАЧАТЬ Kinder, ihr müsst euch doch lieb haben!« Aber ich hab die nicht lieb gehabt, weder die Doris noch den Peter, und zu Marianne hatte ich kaum Kontakt. Der Peter hatte ein teuflisches Vergnügen daran, mich zu quälen, er war um so viel stärker als ich. Wir durften ihn in der Öffentlichkeit auch nicht grüßen. Er schämte sich so, dass er zwei kleine Schwestern hat. Unter Androhungen der ärgsten Folter durften wir in der Straßenbahn nicht zeigen, dass wir ihn kennen. Mit meiner Schwester Doris war ich als Kind am engsten, aber zu ihr habe ich eigentlich erst viel später ein wirklich liebevolles Verhältnis entwickelt. Unsere gemeinsame Flucht nach dem Krieg hat uns sehr verbunden. Dadurch ist so viel Anteilnahme entstanden, die ich sonst in meiner Familie kaum kannte. Sie lebt ja schon seit vielen Jahrzehnten in den USA, aber bis heute telefonieren wir jeden Sonntagabend. Um acht Uhr am Sonntagabend muss ich zu Hause sein, da sage ich alles andere ab.

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       Mit meiner Schwester Doris telefonieren wir bis heute jeden Sonntagabend.

      Aber von einer glücklichen Kindheit kann ich nicht unbedingt reden.

       Was immer eine glückliche Kindheit sein mag …

      Ich habe zumindest im Laufe der Zeit eine Vorstellung davon bekommen, was eine glückliche Kindheit sein könnte. Vielleicht romantisiere ich ein wenig, vielleicht projiziere ich da etwas hinein, aber mir fällt meine Freundin Gaigai ein – später werde ich noch mehr über sie erzählen. Gaigai kommt aus einem sehr glücklichen Elternhaus. Sie ist auf der Pfaueninsel in Berlin aufgewachsen, ihr Vater war dort Gartenarchitekt und dadurch viel präsent. Wunderschön! Sie hat mich einmal vor vielen Jahren mit hingenommen. Ihr Elternhaus muss unglaublich harmonisch und liebevoll gewesen sein, mit vielen Tieren, Lyrik und Natur.

      Dazu fällt mir ein: Als wir in Wien in der Argentinierstraße gewohnt haben, musste ich als Zwölf- oder Dreizehnjährige, nachdem ich eine Rippenfellentzündung fast überstanden hatte, immer im Park beim Palais Schwarzenberg spazieren gehen, weil mein Mutter sagte: »Das Kind muss an die Luft.« So bin ich immer allein in den Park gegangen und habe mich gar nicht wohlgefühlt – und auf einmal war da doch tatsächlich ein Exhibitionist. Hinter der Hecke ist der mir nachgeschlichen. Ich hatte panische Angst. Aber glauben Sie, ich wäre auf die Idee gekommen, das meiner Mutter zu sagen? Das war völlig undenkbar. Also hatte ich immer Angst, wenn ich in den Park gegangen bin. Viele Jahre später gehe ich mit meiner Freundin Gaigai in Paris im Bois de Boulogne spazieren. Wir finden ein Wiesenstück mit Bäumen rundherum, setzen uns dort hin und essen eine Baguette. Dann sagt sie, sie war ja eine phantastische Zeichnerin: »Geh, lehn dich gegen den Baum, ich will dich zeichnen.« Die Zeichnung habe ich bis heute noch. Ich habe die Augen zugemacht, mich gegen den Baum gelehnt und geträumt, und sie hat gezeichnet. Und in einem Moment, als ich kurz die Augen aufmache, sehe ich einen Mann zwischen den Bäumen herumkriechen. Ich sehe heute noch, wie seine Glatze über den Sträuchern hopst. Und plötzlich steht er mit seiner ganzen Pracht, mit dem offenen Hosentürl vor uns. Und was macht die Gaigai? Die fängt zu lachen an. Sie lacht schallend und ruft: »Comme une baguette, comme une baguette!« Seine Pracht fiel sofort zusammen, und er war weg, denn Lächerlichkeit tötet.

      Damals dachte ich: Schau mal an, sie ist als Kind in idealen Bedingungen aufgewachsen, mit liebevollen Eltern mitten in der Natur, mit einem Vater, der ihr Gedichte schon in der Wiege vorgesungen hat, ihr die Liebe zum Wort geschenkt hat, zur Dichtung, das Gespür dafür, die Mutter auch … Ein bissel Sehnsucht habe ich da bekommen, eine Art Nostalgie. Bei uns war’s nicht so. Da wurden Anforderungen gestellt, da gab’s kaum Widerrede. Uns Kindern haben die »Erzieherinnen« immer gedroht: »Wart nur, wenn der schwarze Mann kommt!« So hat mich die Angst vor dem Mann im Schwarzenbergpark lange verfolgt. Ein Kind wie die Gaigai dagegen, die konnte frei rauslachen und den Exhibitionisten lächerlich machen. Das hat mir zu denken gegeben, wie wichtig es ist, wie man mit Kindern umgeht.

      Später habe ich es bei meinen Kindern zumindest versucht, aber ganz gelungen ist es mir auch nicht. Auch ich habe als Mutter zunächst noch geglaubt, das Beste für sie sei das, was ich als Mutter für das Beste halte. Na ja … Aber ich habe mich unendlich für meine Kinder interessiert. Später einmal hat mich meine Mami, als ich die Zwillinge hatte, in Wien besucht, und da sagte sie: »Du bist eine viel bessere Mutter als ich. Ich hab geglaubt, wenn man euch zu essen gibt und ein Dach überm Kopf, dann genügt das.« Na, Mami, das ist aber dürftig, dachte ich da. Als sie noch meinte: »Du hast ja Angst, dass die Seelen deiner Kinder zu viele blaue Flecken kriegen«, sagte ich: »Ja, das will ich nicht, das möchte ich verhindern, soweit ich’s verhindern kann.«

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       Drei Generationen: meine Mutter, Aleksandra, Freda

      Erst als erwachsene Frau habe ich begriffen, dass meine Mutter gar nicht anders sein kann, dass sie eigentlich ein sehr verschlossener Mensch ist und selbst nie ein Aufgehoben-Sein gekannt hat, sondern immer nur Forderungen, die an sie gestellt worden sind. Dadurch, dass ich das verstanden habe, ist es in ihren letzten Lebensjahren zwischen uns eigentlich ungeheuer friedlich und liebevoll geworden. Nie werde ich vergessen, wie ich einmal zur Tür hereingekommen bin, und sie muss gefühlt haben, dass ich entspannt bin, dass ich nichts mehr suche, und sie sagt: »Da bist du ja, mein Dachs.« Freda, Fredachs, Dachs hat sie mich genannt. Sie war erleichtert, ich war erleichtert. Endlich waren wir auf einer Ebene, dass keine etwas von der anderen gefordert hätte.

      Und ich habe sie auch in den Tod begleitet. Sie war 89 Jahre alt und gestürzt; ich war gerade zum ersten gesamteuropäischen Treffen der Grünen in Schweden gefahren. Die Ärzte meinten, sie müsse operiert werden, sonst bleibe nur mehr der Rollstuhl, und sie sagte: »Das muss meine Tochter entscheiden.« Ich habe ihr zur Operation geraten, die aber vermurkst worden ist. Danach ging es ihr ganz schlecht; sie lag im Spital im Sterben. Ich war bei ihr, meine Schwester Doris aus Amerika ist gekommen, auch meine Tochter Aleksandra kam noch rechtzeitig. Wir zündeten Kerzerln an, streichelten ihr die Hände, und sie hat gekämpft. »Mami, lass gehen, lass jetzt gehen«, sagte ich zu ihr. Dann atmete sie noch einmal durch … Wir drei Frauen haben sie da hineinbegleitet, das war wirklich bewegend, und ich war richtig froh über dieses Ende für sie.

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       Beim ersten gesamteuropäischen Treffen der Grünen in Stockholm 1987, v. l. n. r.: die vier Grünen-Gründerinnen Freda Meissner-Blau (A), Petra Kelly (BRD), Solange Fernex (F), Sarah Parkin (GB)

       Also doch auch ein versöhnlicher Rückblick auf Ihre Mutter, überhaupt auf Ihre Eltern?

      Auf jeden Fall! Ich möchte meine Eltern im Nachhinein weder verdammen noch be- und schon gar nicht verurteilen. Sie waren ja auch das Produkt ihrer Erziehung und ihrer Prägungen. Es ist nichts schwarz oder weiß. Ich habe ihnen auch vieles zu verdanken: ihr soziales Verantwortungsbewusstsein, viele intellektuelle Anregungen, die Wissbegierde, die Welt und deren Schönheiten auch als ein Abenteuer und Privileg zu sehen. In seiner bildungsbürgerlich-liberalen Einstellung war mein Vater in den 1930er Jahren politisch sehr kritisch gegen die Christlichsozialen, gegen den Ständestaat und später gegen die Nationalsozialisten. Klerikal-faschistisch hat er das System, das zwischen 1933 und 1938 in Österreich herrschte, schon damals genannt. Schließlich gaben mir meine Eltern das Interesse und die Freude an der Kunst mit, damals auch schon an der heute klassischen Moderne.

      Auch sehe ich inzwischen eine bestimmte Form der damaligen Haltung meiner Eltern positiv – eine Haltung, die ich heute weitgehend vermisse: Meine Eltern sind zu ihren Überzeugungen gestanden, auch wenn sie unpopulär waren. Und es gab das, was man Konventionen nennt, zumindest ein Minimum an Konventionen, die das Leben so viel leichter, glatter machen, weil man nicht mit dieser Patzigkeit über andere drübergefahren ist, und, ja, weil dieser extreme Egoismus, СКАЧАТЬ